Hertha stoppt nur Lewandowski Kimmich füttert Bayerns Sechs-Mann-Monster
24.01.2022, 10:09 Uhr
Lewandowski war beim Jubeln gegen Hertha nur Zuschauer.
(Foto: imago images/Revierfoto)
Über Nacht träumt die Liga wieder wilde Meisterträume. Dann treten die Bayern in Berlin mit einem wilden Sechs-Mann-Sturm an. Hertha BSC hat viel zu viel Angst und keine Chance. Auch wenn einige Fans am Vortag den Spielern mit einem Trainingsplatzsturm die Angst nehmen wollen. Eine seltsame Idee.
Als Leroy Sané mit seinem wunderschönen Treffer zum 5:1 für den Rekordmeister die Klammer um das Spiel zwischen Hertha BSC und Bayern München legte, war es dann auch egal, dass der Treffer nicht zählte. So blieb es beim 4:1 (2:0) der Elf von Julian Nagelsmann in einem erneut von Menschen und Freude verlassenen Berliner Olympiastadion, in dem einzig ein einsamer DJ auf der Laufbahn den Anschein von Normalität vermitteln wollte. Auch ihm gelang es nicht. Was jedoch abseits des Rasens nicht gelingen will, ist für den FC Bayern auf dem Platz überhaupt kein Problem. Mit einer gerade in der ersten Halbzeit atemberaubenden Leistung ziehen sie weiter einsam ihre Kreise an der Spitze der Tabelle.
Borussia Dortmund hatte Bayern München am Vortag traditionell unter Druck gesetzt. Das 3:2 (1:1) in Hoffenheim war der dritte Sieg des BVB im dritten Rückrundenspiel. "Sollen wir jetzt aufgeben, oder was?", hatte Marco Reus bereits direkt nach dem Pokalaus beim FC St. Pauli in die Kamera geraunzt, um dann beim glücklichen Sieg im Kraichgau endlich einmal wieder das Tor zu treffen. Danach hatte das Glück den BVB zum Auswärtssieg getragen. Drei Punkte hinter Bayern. Mit großer Freude riefen sogleich wieder die üblichen Verdächtigen ein Titelrennen in der Bundesliga aus. Nicht, weil es passieren würde, sondern nur, weil es so sein muss.
"Titelkampf" nach wenigen Sekunden vorbei
Doch nur wenige Sekunden nach Anpfiff war jedem Beobachter klar: Bayern München würde sich auch diesmal aus der ohnehin nur sehr lockeren Umklammerung des BVB befreien können. Mit leidenschaftlichem Pressing, der Wucht von gleich sechs Offensivspielern und angetrieben von einem starken - und von den Berliner Zuschauern bei Ecken ausgepfiffenen - Joshua Kimmich erdrückten sie Hertha BSC. Denen wollte es nicht einmal gelingen, in der Defensive Gleichzahl herzustellen. Corentin Tolisso, Leroy Sané, Serge Gnabry, Thomas Müller, Robert Lewandowski und Kingsley Coman waren zu viel für Hertha, die, in der zweiten Minute noch vom VAR gerettet, das Spiel auf mysteriöse Art und Weise immerhin für 25 Minuten auf 0:0 halten konnten. Doch Bayerns Sechs-Mann-Monster attackierte ohne Unterlass. Die Furcht der Gastgeber war bis zum letzten unbesetzten Platz im Stadion zu spüren.
Dann traf Tolisso, der spielte wie ein Spieler, der um einen neuen Vertrag kämpft und kurz vor der Pause legte Thomas Müller nach. Er war nach einem Freistoß aus dem rechten Halbfeld einfach hinter die Abwehr gelaufen. "Unsere Spieler waren extrem scharf im Gegenpressing, da haben wir sehr viel Druck gemacht", lobte Nagelsmann seine Mannschaft für die erste Hälfte.
Und auch wenn Hertha in der zweiten Halbzeit etwas besser ins Spiel kam, den Bayern durch Sané und Gnabry nur noch zwei reguläre Treffer gelangen, die Hausherren nach einem Dayot-Upamecano-Aussetzer sogar noch verkürzen konnte, stürmten die Bayern nach 90 Minuten zufrieden in die Kabine des Berliner Olympiastadions. Dort musste Weltfußballer des Jahres Robert Lewandowski die Scherze seiner Kollegen ertragen. Dass er dabei mitgelacht hat, konnte sich zumindest Trainer Nagelsmann "nicht so extrem vorstellen". Lewandowski war erst zum fünften Mal in dieser Saison ohne eigenen Treffer geblieben. Der 17-jährige Hertha-Startelfdebütant Linus Gechter hatte ihn meist gut im Griff, blockt einen Abschlussversuch des Polen, dem die Frustration anzusehen war.
Katar hängt nach
Lewandowski hin, Lewandowski her: Die Bayern, das zeigte ihr Auftritt im Berliner Olympiastadion, machen ihr Ding. Sie gewinnen die Spiele einfach. In Berlin gegen eine völlig überforderte Hertha. Die Bayern werden nicht unter dem Druck eines von verzweifelten Experten ausgerufenen Titelkampfs zerbrechen. In ihrer Wahrnehmung existiert der nicht. Und so können sie sich sogar noch ein paar kleinere Scharmützel leisten. Immer noch arg getroffen von der verweigerten Startfreigabe nach Mitternacht auf ihrer letztjährigen Klub-Weltmeisterschaft-Mission mieden sie beim Trip nach Berlin den Flughafen BER. Sie wichen wie ein trotziges Kind auf den Flugplatz Schönhagen zwischen den Brandenburger Nestern Ludwigsfelde und Luckenwalde aus.
"Es kann schon sein, dass das am letztjährigen Abflug nach Katar lag", sagte Julian Nagelsmann nach dem Spiel, zeigte sich sonst jedoch gänzlich unbesorgt. Schönhagen oder Schönefeld, Hauptsache nach München, dachte er und sagte: "Ich steige in den Bus ein und steige wieder aus, wo er anhält, und steige in den Flieger, und dann fliege ich heim. Ich schaue, dass ich meinen Koffer dabei habe und meinen Rucksack." Seinen Rucksack also verstaute der Bayern-Trainer später dann womöglich am Flugplatz Schönhagen. Der war am 24. November 2008 der Ort für die Landung des letzten am Flughafen Tempelhof gestarteten Flugzeugs. Während aber das große Areal in der Berliner Mitte in den 13 zurückliegenden Jahren zu einem Wahrzeichen der Hauptstadt geworden ist, liegt es sogar den größten Hertha-Anhänger fern, dies von ihrem Verein zu behaupten.
Hertha kapituliert
Mit einem 3:2 beim VfL Bochum hatte Hertha am Tag vor dem letzten Flug von Tempelhof den Rückstand auf Bayern bei einem Punkt halten können. Die damals von Lucien Favre trainierte Mannschaft hegte lange Zeit sogar Meisterträume, beendete die Spielzeit auf Rang vier. So hoch über die Wolken der Mittelmäßigkeit konnten sie sich nie wieder schwingen. Trotz des Trainerwechsels von Pal Dardai zu Tayfun Korkut fehlt es dem Klub aus dem Westend weiterhin an einer Spielidee, an Zug zum Tor, an einem Plan, den Gegner zu verteidigen. Allein die Ideenlosigkeit des wie immer emsig kämpfenden Teams um den ewigen Vladimir Darida ist eine Konstante draußen vor den Toren der Hauptstadt. Nach der Länderspielpause empfangen sie den VfL Bochum. Ein 3:2 würde sie 2022, anders als vor 13 Jahren, nicht in Richtung Tabellenspitze kapitulieren, sondern vielmehr nur auf Distanz zu den Rängen, die den Sturz in die Zweitklassigkeit bedeuten.
Nach der Derby-Niederlage im Pokal waren ein paar Fans am Trainingsplatz der Berliner aufgeschlagen. Sie hatten ihrem Unmut freien Lauf gelassen und obwohl die herbeigerufene Polizei nicht mehr schlichten musste, äußerte sich ein angefasster Sportdirektor Arne Friedrich vor dem Spiel kritisch gegenüber der eigenen Anhängerschaft. "Es ist eine Sache, wenn sie mit unserer Leistung nicht zufrieden sind", sagte Friedrich auf ESPN: "Aber wie sie es dann gemacht haben, das war nicht korrekt. Wir erwarten von den Fans, dass sie anders mit uns umgehen. Auch wenn wir natürlich nicht die Ergebnisse geliefert haben, die wir uns alle gewünscht haben. Aber das liegt jetzt in der Vergangenheit." Da hegte Friedrich noch die Hoffnung auf eine Sensation gegen die Bayern. Die gelang bekanntlich nicht. Die Probleme der Vergangenheit sind die Probleme der Zukunft.
Am "Olympia-Eck", einer Gaststätte vor den Toren des Stadions, standen nach dem Spiel ein paar versprengte Fans, tranken ihr letztes Bier neben der Covid-19 Soforttest-Station. "Was wollten die Spinner gestern eigentlich erreichen?", schimpfte einer über die Ultras: "Wir haben gegen die Bayern gespielt." Und die, da waren sich die 3000 Anwesenden einig, hatten eine ihrer besten Saisonleistungen abgeliefert.
Quelle: ntv.de