Fußball

Der Bayern-Traum im Schnellcheck Kimmichs Köpfchen und Tuchels Versprechen

Mit Köpfchen: Joshua Kimmich.

Mit Köpfchen: Joshua Kimmich.

(Foto: dpa)

Der Traum lebt: Der FC Bayern kann noch einen Titel in dieser Saison gewinnen. Weil Joshua Kimmich zum Kopfball-Ungeheuer wird, weil Schach-Experte Thomas Tuchel und sein Team keinen Fehler machen. Das bringt den Klub zunehmend in Verlegenheit.

Was ist in der Münchner Allianz Arena eigentlich passiert?

Die gute Nachricht: Nicht nur Arsenal-Fans kommen an diesem Abend in rot-weiß gekleidet im Stadion zusammen. Auch die Bayern-Anhänger dürfen anders als beim Hinspiel wieder für Kulisse sorgen. Natürlich in rot-weiß gekleidet. Sie waren in London ausgesperrt, weil die UEFA es so wollte. Pyrotechnik im Spiel gegen Lazio Rom war die Begründung. Da kann die UEFA wohl direkt wieder tätig werden. Denn: Um ihren Protest gegen den europäischen Verband deutlich zu machen, nutzten die Fans was? Klar, Pyrotechnik. Und das Spruchband: "Wir mögen Euch auch nicht. UEFA ausschließen. Raus aus unserem Stadion."

Eine Fehde abseits des wichtigsten Spiels für den FC Bayern, Thomas Tuchel und Harry Kane in dieser Saison. Eine Pleite - und der letzte Strohhalm matscht in sich zusammen, wie es die neumodischen Dinger aus Papier eben im Kaltgetränk zu pflegen tun. Dann ist der FC Bayern in dieser Saison endgültig titellos und die letzten fünf Bundesliga-Spiele beinahe völlig egal. Das hat es seit der Saison 2011/12 nicht mehr gegeben.

Die Meisterschale hat sich Bayer Leverkusen gesichert, der Pokal ist längst nicht mehr möglich - Tuchel hat seine Kündigung längst erhalten. Doch bis zu diesem 17. April 2024 bleibt eben ein letzter Traum: Dass der FC Bayern die Geschichte wiederholt. Das Finale der Champions League findet am 1. Juni im Wembley-Stadion statt, an eben jenem Ort, in dem der Klub am Ende der Saison 2012/13 die Trophäe in die Höhe streckte.

Auch, dass der damalige Gegner nun wieder im Halbfinale steht - die Wiederholung des Finales also möglich ist -, ist Teil der Geschichte dieses Abends. Borussia Dortmund länger im Wettbewerb als die Bayern? Auch das wäre eine Schmach. Die deutsche Vorherrschaft in Europa muss drin sein, so verlangt es das Selbstverständnis an der Säbener Straße. Das letzte Mal ist lange her: 2010/11 kam ein deutscher Klub zuletzt in der Königsklasse weiter als der deutsche Rekordmeister: der FC Schalke 04. Mit Trainer Ralf Rangnick und Manuel Neuer im Tor. Der eine könnte bald beim FC Bayern sein, der andere wird doch wohl noch die nächsten zehn Jahre das Tor hüten.

Und Kane? Der Stürmer steht im Fokus der ganzen Misere. Er ist es, über den die Fans des FC Arsenal gerüchteweise lästern, dass alles, was er gewinnen kann, die Torjägerkanone ist, die ausgerechnet so aussieht wie das Logo der "Gunners". Der ewig Titellose und sein Fluch. Doch: All das Geschriebene ist rein hypothetisch. Kanes Fluch mindestens vertagt. Das Team aus seiner Heimat, der Rivale seines langjährigen Klubs Tottenham Hotspur, hält den miesen Running Gag nicht am Leben.

Kimmich wuchtet sein Team ins Halbfinale, dem ersten seit dem Titelgewinn 2020. Und stellt damit alles auf Anfang. Denn der 1:0-Sieg heißt: Auf das wichtigste Spiel des Jahres folgt am 30. April im Halbfinal-Hinspiel gegen Real Madrid das wichtigste Spiel des Jahres, ehe am 7. Mai im Halbfinal-Rückspiel gegen Real Madrid das wichtigste Spiel des Jahres ansteht.

Teams und Tore

München: Neuer - Kimmich, de Ligt, Dier, Mazraoui (76. Kim) - Sane (89. Upamecano), Laimer, Goretzka, Musiala, Guerreiro - Kane; - Trainer: Tuchel.
Arsenal: Raya - White, Saliba, Gabriel, Tomiyasu (86. Nketiah) - Ödegaard, Jorginho (68. Jesus), Rice - Saka, Havertz, Martinelli (67. Trossard); - Trainer: Arteta.
Schiedsrichter: Danny Makkelie (Niederlande)
Tor: 1:0 Kimmich (63.)

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Was war gut?

Mittelstürmer Joshua Kimmich! 1,77 Meter geballte Kopfball-Power im Strafraum. Er rauscht in der 63. Minute im vollen Lauf in die Hereingabe von Raphaël Guerreiro, der nach einer gerade so gestoppten Flanke von links alle Zeit der Welt hat, die perfekt zu platzieren. Kimmich gibt den perfekten Mittelstürmer, trifft den Ball satt mit dem Kopf, der Ball schlägt oben links im Winkel ein. Arsenal-Torhüter David Raya ist geschlagen.

Die Bayern sind in der zweiten Halbzeit das bessere, offensivere Team. Und das in einem Spiel, über das DAZN-Experte Sami Khedira in der ersten Halbzeit sagt, es sei "Schach von Leichtgewichten" als Analogie zum "Schach der Kühlschränke" beim American Football. Beide Teams stehen gut gestaffelt, ermöglichen dem Gegner kaum bis keinen Platz zur Entfaltung. Das ist aus Bayern-Sicht gut, schließlich können Nationalspieler Kai Havertz und Bukayo Saka so nicht entscheidend in Richtung Neuer durchstarten. Leon Goretzka ackert mit nach hinten, Konrad Laimer ist ein ums andere Mal schneller als die Angreifer der Konkurrenz. Und dann ist es ausgerechnet derjenige, dessen Zurücksetzung auf die Außenverteidigerposition sowohl bei den Bayern als auch im DFB-Team so viel Aufregung erzeugt, der mitten ins Herz trifft: Joshua Kimmich. Harry Kane steht daneben, schaut und jubelt. Sein Titelfluch könnte immer noch brechen. Er dürfte Kimmich sehr dankbar sein.

Was war nicht ganz so gut?

Der FC Bayern hat wieder die Gala-Anzüge für die Champions League ausgepackt, spielerisch und taktisch war das hohes Niveau. Die Leistung trägt die deutliche Handschrift von Trainer Tuchel. Der setzt ganz klar auf Sicherheit gegen den schnellen Saka und den unkonventionellen nicht-Mittelstürmer-nicht-zuordbarenen Havertz und rotiert Thomas Müller wieder raus aus der Startelf. Guerreiro darf ran, der kann den Londoner Flügel entscheidend einbrechen. Fehler verboten, Fehler passieren nicht. Schach eben, keiner will das Bauernopfer geben. Ein Spiel mit cleverem Köpfchen - nicht nur mit dem Kimmichs.

Damit entzündet sich kein Offensiv-Feuerwerk, hochkarätige Chancen sind Mangelware. Harry Kane kommt nicht entscheidend an den Ball, um seinem Ex-Rivalen einzuschenken. Spannung ist die Devise, mit einem entscheidenden Ausreißer und dem Happy End. Das bringt den FC Bayern in eine kuriose Zwickmühle. Und macht womöglich eine Entscheidung schlecht, die schon vor Wochen gefallen ist. Was ist, wenn Tuchel und das Team tatsächlich den Titel holen? Klar, Freude, Jubel, das maximalste Minimalziel. Nur ein Titel, von den möglichen jedoch immerhin der größte. Aber Tuchel ist trotzdem entlassen. Und es kommt einer, der vermutlich weniger gewonnen haben wird. Der aktuelle Bundestrainer Julian Nagelsmann zum Beispiel. Der steht, so die Gerüchte, vor einer Rückkehr zu seinem Ex-Arbeitgeber. Der 36-Jährige hat mit dem FC Bayern nur die Deutsche Meisterschaft und zweimal den deutschen Superpokal gewonnen. Er hätte weniger zu bieten als Tuchel.

Der übrigens nach dem Spiel noch Bankdrücker Thomas Müller glücklich macht. Eben jenen Bayern-Oldie, der zu Bayern-Zeiten eine Stotterbeziehung zu Nagelsmann gehabt haben soll. Weil Müller - das ist für ihn persönlich nicht ganz so gut - durch seine Versetzung auf die Bank um sein 150. Spiel in der Champions League gebracht wird, gibt Tuchel nach der Partie ein Versprechen ab. Im Halbfinale schlägt sein Stündchen (oder vielleicht auch nur Minütchen): "Jetzt gibt es noch zwei, dann kriegt er das." Einsatzzeit gegen Real Madrid, das ist doch dann doch wieder ganz gut für Müller.

Wie war es im Hexenkessel, der sich Allianz Arena nennt, Herr Bedürftig?

Hier Peter Schmeichel, dort Sami Khedira. Mittendrin mit tief ins Gesicht gezogener Basecap und darüber gestülpter Kapuze Mats Hummels. Und natürlich auch dabei: Der Bundestrainer, der vielleicht in der kommenden Saison wieder hier an der Seitenlinie steht. Julian Nagelsmann ist heute aber (offiziell) nur in München, um ein paar seiner Nationalspieler zu beobachten. Schmeichel wirft dagegen ein genaues Auge nur auf Manuel Neuer, als der Keeper sich warmmacht.

Auf jeden Fall will sich die Fußball-Weltelite diesen fußballerischen Leckerbissen nicht nehmen lassen. Apropos "Bissen". Muss der FC Bayern sparen, jetzt, da er nicht mehr Deutscher Meister wird? Bei Catering gibt es "nur" Wraps, sonst tischt ein Verein vom Selbstverständnis des Rekordmeisters natürlich warm auf. Weil es auch fußballerisch hauptsächlich auf dem Papier lecker bleibt, quatscht etwa Hummels fast die ganze Partie mit seinem Sitznachbarn durch.

Obwohl er nicht spielt, wird Thomas Müllers Name bei der Mannschaftsbekanntgabe am lautesten gerufen. Der Ur-Bayer hatte angekündigt, dass es "knistern" würde im Stadion ob der Besonderheit des Alles-oder-nichts-Spiels und der letzten Chance auf einen Titel. Vor dem Anpfiff brennt es aber sogar gleich, zumindest in der Südkurve: Die Bayern-Fans sorgen für eine seltene Pyro-Show, die in der ansonsten eher glatt-stillen Allianz Arena jedoch etwas zu koordiniert wirkt. Die Süd macht gut Stimmung und stichelt eben per Plakat. Anschließend knistert es zwar lange nicht wirklich, aber einmal dürfen dann auch alle im Rund jubelnd aufspringen. Das reicht für das Halbfinale der Champions League.

Die Stimmen zum Spiel:

Joshua Kimmich: "Überragend. Gerade die zweite Halbzeit war sehr gut. Da hätten wir das ein oder andere Tor mehr machen können und waren zielstrebiger. Unter dem Strich sind wir verdient weiter. Wir freuen uns, dass wir endlich mal wieder im Halbfinale stehen." Bei seinem Tor habe er das Glück gehabt, "dass sich keiner so recht für mich zuständig gefühlt hat".

Thomas Tuchel: Wieder zu den besten vier Mannschaften Europas zu gehören, bedeute "sehr viel. Das Halbfinale ist ein wichtiger Schritt. Die letzten Vier, das hat schon Spaß gemacht." Und weiter: "In der zweiten Halbzeit habe ich uns extrem stark gesehen. Wir haben ein bisschen mehr Persönlichkeit, mehr Mut gezeigt."

Manuel Neuer: "Die Disziplin, die wir an den Tag gelegt haben, war entscheidend dafür, dass wir heute gewonnen haben und in die nächste Runde einziehen."

Quelle: ntv.de

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