Ohne Balance nur Mittelmaß Klopp bindet Liverpool fatal ans Chaos
26.09.2017, 14:06 Uhr
Eine bekannte Klopp-Mimik: Zähnefletschen. Emotional-aggressiv zeigt sich der Trainer der Reds bei Siegen und Misserfolgen.
(Foto: dpa)
Spiele des FC Liverpool sind für alle Zuschauer äußerst unterhaltsam, für Fans des Klubs gleichen sie einer Achterbahnfahrt. Vorne zaubert die Offensive, hinten wackelt die Abwehr. Auch weil der Trainer sich nicht von seinem taktischen Korsett trennen kann.
Jürgen Klopp liebt es - das Chaos. Das Chaos, das seine Fußballer des FC Liverpool dank Gegenpressing und Weltklasseoffensive bei den Gegnern verursachen. Diese völlige taktische Unordnung der gegnerischen Mannschaft, die sein Team dann in Torchancen umwandelt. Und so verliebt er in die Komplexität seines Angriffsspiels ist, so verzweifelt gebunden ist Klopp an das Chaos in seiner Defensive. Denn um sein Konzept durchzusetzen, opfert er einiges.
Hochstehende Außenverteidiger dazu Innenverteidiger, die mit vertikalen Bällen den Spielaufbau mitgestalten und im Idealfall ein mitspielender Torwart. Größtes Problem bei den Reds ist aber, dass genau diese Positionen nicht adäquat besetzt sind. Allerhöchstens Ligamittelmaß haben Dejan Lovren, Alberto Moreno und Co. - das zeigt sich nunmehr seit eineinhalb Jahren. Und weil seine Defensive so hoch steht und presst, ist jeder Fehler fatal und nicht mehr durch die vorhandene Qualität auszubügeln.
Dietmar Hamann hatte die Mannschaft beim Sender RTÉ als das "unausgewogenste Top-Team in der Premier-League-Geschichte" bezeichnet. Dabei liegt das Problem nicht nur bei den Spielern. Klopp scheint es nicht zu schaffen, die Abstimmungsprobleme zu lösen, oder gar lösen zu wollen. Das Absetzen der Innenverteidiger bei hohen Bällen, der Abstand in der Viererkette - zu zahlreich wurden diese Lücken schon von Gegnern ausgenutzt, nicht nur von hochklassigen. Die Statistik dieser Saison liest sich nicht wie die eines Top-Klubs: zehn Spiele, 18 Gegentore.
Buchautor über Abwehrarbeit
Der ehemalige BVB-Trainer spielt zwar mit drei zentralen Mittelfeldspielern, die sollen sich aber auch in die Offensive einschalten. Einen echten Abräumer, der die Räume zwischen Abwehr und Mittelfeld eng macht, hat Klopp gar nicht; oder besser: Er hatte ihn - und ließ Lucas Leiva in diesem Sommer zu Lazio Rom ziehen. Zumindest das Problem erkennt der 50 Jahre alte Trainer: "Es ist offensichtlich, dass wir zu viele Gegentore fangen. Normalerweise bin ich ein richtig guter Trainer in der Defensive, aber das scheint offensichtlich nicht zu klappen", sagte Klopp nach dem 3:2-Erfolg bei Leicester City am vergangenen Wochenende.
"Ich weiß nicht alles über Fußball, aber ich könnte in den nächsten zwei Stunden ein Buch schreiben, wie, wann und wo welcher Raum auf dem Feld zu verteidigen ist. Solange nicht jeder Spieler so macht, werden wir weiter daran arbeiten. Sobald es klappt, werden wir es den Rest unseres Lebens so machen." Hier zeigt Klopp eine Festgefahrenheit, die ihm noch gefährlich werden kann. Diese Haltung kann der hochemotionale Trainer natürlich noch bis zur Winterpause so durchziehen und dann auf neue Spieler hoffen. Der hoch gehandelte Innenverteidiger Virgil van Dijk vom FC Southampton wäre da sicher eine Bereicherung. Allerdings könnte es für den LFC zu diesem Zeitpunkt sportlich bereits gelaufen sein. Tottenham, Chelsea und die beiden Klubs aus Manchester haben eine echte Balance zwischen Defensive und Offensive. Wenn diese Klubs Punkte lassen, dann in den direkten Duellen. Die Reds patzen auch gegen die vermeintlich kleinen Klubs der Liga.
Beim jüngsten Spiel in der Premier League kam dann wieder alles zusammen: Grandioses Offensivspiel und desolate Abwehrböcke, die fast noch zu einem Remis geführt hätten. Am Ende setzte sich Liverpool bei den Foxes knapp durch. Tage zuvor hatte die Klopp-Elf an gleicher Stelle im Ligapokal mit 0:2 verloren - mit fast 70 Prozent Ballbesitz. So wie die Spiele sind auch die Resultate ein Auf und Ab. Sollte Klopp nichts an der taktischen Ausrichtung ändern, wird sein Stern an der Anfield Road bald untergehen.
Der nächste Prüfstein für die Reds steht heute in der Champions League bei Spartak Moskau an (ab 20.45 Uhr im Liveticker bei n-tv.de). Der russische Meister wird den Teufel tun und versuchen, das Spiel zu machen. Liverpool wird deutlich mehr Ballbesitz haben und hoch verteidigen, Spartak auf Konter setzen - und auf Quincy Promes. Der Niederländer ist ein Spieler ganz nach Klopps Geschmack - pfeilschnell und torgefährlich. Aber auch ein Spielertyp, der die Liverpool-Abwehr ins Chaos stürzen kann, sollte er rechtzeitig fit werden.
Quelle: ntv.de