Kein Märchen, kein Triumph Klopp geht - und verzehrt sich nach dem BVB
31.05.2015, 06:28 Uhr
(Foto: AP)
Vielleicht wäre die Geschichte zu schön gewesen, zur Dortmunder Gefühlsduselei aber hätte sie gepasst: Jürgen Klopp gewinnt mit dem BVB den DFB-Pokal und nimmt Abschied. Doch daraus wird nichts. Vielleicht ganz gut, dass er geht.
Der Abschied ist ihm dann doch schwer gefallen. Und natürlich hat er sich das alles ganz anders vorgestellt. Aber die Fußballer des BVB haben an diesem Samstagabend in Berlin nun einmal das Pokalendspiel mit 1:3 (1:3) gegen den VfL Wolfsburg verloren. Und das auch noch vollkommen verdient. So verlässt Jürgen Klopp nach sieben Jahren als Trainer mit einer Niederlage die Dortmunder Borussia. Er geht leise, ohne Triumph.
Tore: 1:0 Aubameyang (5.), 1:1 Luiz Gustavo (22.), 1:2 De Bruyne (33.), 1:3 Dost (38.)
Dortmund: Langerak - Durm (68. Blaszczykowski), Subotic, Hummels, Schmelzer - Gündogan, Kehl (68. Piszczek) - Mchitarjan, Kagawa, Reus (79. Immobile) – Aubameyang
Wolfsburg: Benaglio - Vieirinha, Naldo, Klose, Rodriguez - Arnold (81. Schürrle), Luiz Gustavo - Perisic (74. Guilavogui), De Bruyne, Caligiuri (85. Träsch) - Dost
Schiedsrichter: Felix Brych - Zuschauer: 75.815 (ausverkauft)
Direkt nach dem Spiel sagte er: "Es ist so, dass ich gerade festgestellt habe, dass der Abschiedsschmerz kommt. Das tut extrem weh. Ich habe gerade versucht, jedem meiner Spieler meinen Dank auszudrücken. Weil es mir ein großes Vergnügen und eine außerordentliche Ehre war, mit diesen Jungs zu arbeiten. Und ich habe gemerkt, dass es mir total schwer fällt, sie wieder loszulassen." Andererseits: Eine Ära endet meist mit einer Niederlage. "Es ist, wie es ist. Ich weiß: Das Leben geht weiter." Der letzte Arbeitstag eines Mannes, der vielen in der Bundesliga fehlen wird.
17.15 Uhr: Jürgen Klopp ist überall. Auch und vor allem am Breitscheidplatz im alten Berliner Westen. Das offizielle Fest war zwar kurzfristig abgesagt worden, aber die Fans der Dortmunder Borussia stört das nicht groß. Sie sind trotzdem zur Gedächtniskirche gepilgert und feiern dort seit Samstagmorgen. Manchen sieht man an, dass sie bereits seit Freitag in der Stadt sind. Und viele von ihnen haben sich verkleidet. Ein Autobauer - nein, nicht VW - hat Pappmasken mit dem Gesicht von Jürgen Klopp darauf verteilt. Man muss das nicht mögen. Sieht aber irgendwie lustig aus.
17.53 Uhr: In der S-Bahn zum Olympiastadion redet eine Frau in den besten Jahren, den BVB-Schal keck um den Hals geschwungen, auf ihre beiden Begleiter ein. "Wir schaffen das! Mit der Kraft unserer Herzen! Der Kloppi macht das schon." Kloppi?! Nun ist es raus. Jetzt wissen wir endlich, warum Jürgen Klopp beschlossen hat, zu gehen.
19.03 Uhr: Beide Kurven des mit seinen 75.815 Plätzen ausverkauften Olympiastadions sind bereits eingefärbt. Im Westen die Herrschaften in Schwarz und Gelb. Im Osten, dort, wo sonst die Fans der Hertha stehen, die in Grün und Weiß. Die gerechte Verteilung der Karten scheint einigermaßen funktioniert zu haben. Und auf dem Rasen: Jürgen Klopp! Ganz ohne Maske. Es gibt ihn wirklich. Er gratuliert der U19 der Berliner, die schon das geschafft haben, was er noch anstrebt: Sie hat den DFB-Pokal gewonnen. Gesten, das kann er. Ansonsten hat er zu diesem Zeitpunkt längst eine seiner letzten Entscheidungen getroffen: Roman Weidenfeller sitzt auf der Bank. Im Tor steht Mitchell Langerak.
19.45 Uhr: Sie lassen tatsächlich Norbert Dickel ans Mikrofon, den Helden von Berlin. 1989 hatte er den BVB zum Pokalsieg geschossen. Inzwischen ist er Stadionsprecher und darf vorlesen, wer für die Dortmunder in der Startelf steht. Das macht er auch. Und dann: "Unser Trainer: Jürgen!" … "Klopp!" Dreimal schreit er das, und die Fans machen mit. Das wird schwer für Thomas Tuchel, wenn er nach dieser Saison in Dortmund anfängt. Vielleicht sollte er sich zum Einstand eine dieser Masken aufsetzen. Im Stadion folgt das Eröffnungs-Brimborium, feierlich und pathetisch, als hätte Joseph Blatter persönlich Regie geführt. Aber die Fifa, ihre Skandale, die Korruption und ihr Präsident, der von nichts gewusst haben will, sind an diesem Abend ganz weit weg. Kurz vor dem Anpfiff steigt gelber Rauch aus der Westkurve auf. Habemus Kloppam? Nein, Pyrotechnik. Verboten natürlich. Und dass die Dortmunder auch noch Leuchtraketen aufs Spielfeld schießen, ist nicht nur verboten, sondern auch unfassbar dumm.
20.00 Uhr: Anpfiff. Der Pöhler trägt am letzten Arbeitstag stilsicher einen schwarzen Trainingsanzug und eine gelbe Kappe. Jürgen Klopp steht in seiner Coachingzone, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Was sagt uns das? Nichts.
20.05 Uhr: Der Rauch hat sich noch nicht ganz verzogen, da geht Borussia Dortmund mit dem ersten Schuss in Führung. Shinji Kagawa flankt auf Pierre-Emerick Aubameyang, der befördert den Ball volley an Wolfsburgs Diego Benaglio vorbei ins Tor. Ein Auftakt wie gemalt für den BVB und seinen Trainer. Aber Jürgen Klopp steht schon wieder vor der Bank, ganz ruhig, klatscht einmal in die Hände und verschränkt sie dann hinter seinem Rücken. Was sagt uns das? Vielleicht ahnt er da schon, was an diesem Finalabend noch alles passieren wird. Nach der Partie wird er sagen: "Ich glaube, die Anfangsphase hat uns gehört." Stimmt. Viel mehr aber auch nicht.
20.22 Uhr: Luiz Gustavo gleicht aus. Ein Fehler von Langerak? Ja, schon. Den zugegeben fulminanten Freistoß des Innenverteidigers hätte er besser nicht so abgewehrt, dass der Ball vor den Füßen Gustavos landet. Nur Klopp will davon nichts wissen. "Ich bin weit davon entfernt, diese Niederlage an einem Torhüterfehler festzumachen." Was soll er auch sagen? Und überhaupt: "Naldo hat einen Schuss wie ein Gaul."
20.32 Uhr: Kevin de Bruyne bringt den VfL in Führung. Mit einem fulminanten Schuss. Doch wieder sieht Langerak nicht gut aus. Klopp wischt sich den Mund ab und verschränkt die Arme vor der Brust. Die Wolfsburger im Osten sind bestens gelaunt.
20.38 Uhr: Klopp wird später sagen, es sei ihm vorgekommen, als hätten die Wolfsburger ihre drei Tore innerhalb von sieben Minuten erzielt. In Wirklichkeit sind es 16. Auch nicht viel besser. Torschütze Nummer drei des VfL: Bas Dost, aus fünf Metern, mit dem Kopf, ganz frei war er. Statt auf dem Lkw um den Borsigplatz in Dortmund zu fahren, bleibt Klopp wohl nur der Umzugswagen. Die Ostkurve hüpft. "Hier regiert der VfL." Und: "Wenn wir wollen, kaufen wir euch auf." Bitter.
20.47 Uhr: Pause, der BVB liegt mit 1:3 zurück. Jürgen Klopp joggt flugs zum Ausgang. Nichts wie weg. Und wie das so ist: Er macht heute viele Dinge zum letzten Mal. Zum Beispiel hält er seine letzte Halbzeitansprache in der Kabine. Was hat er der Mannschaft gesagt? "Dass ich zu hundert Prozent das Gefühl hatte, dass hier heute ein Spektakel passiert und wir das Ding noch drehen. Ich war zu keinem Zeitpunkt verunsichert – nur meine Mannschaft war es ein bisschen." Tja. Derweil steht Norbert Dickel vor dem Stadion, grinst hilflos - und sieht gar nicht wie ein Held aus.
21.20 Uhr: Die Dortmunder bemühen sich, noch haben sie eine halbe Stunde, aber es klappt wenig. Oder andersherum: Die Wolfsburger lassen wenig zu. Nur der Fanblock des BVB hat auch zur Beginn der zweiten Halbzeit wieder kurz gebrannt. Jürgen Klopp sitzt ganz rechts auf der Bank und schaut sich das Ganze an. Seinen inneren Optimismus trägt er nicht nach außen. Seltsam emotionslos wirkt er. Nach 68 Minuten nimmt er Erik Durm raus - und Sebastian Kehl. Auch für den Ex-Kapitän ist es sein letztes Spiel. Nur, dass er ganz mit dem Fußball aufhört - zumindest als Spieler. Auch er hatte sich das wohl anders vorgestellt.
21.35 Uhr: Die letzte Viertelstunde des Jürgen Klopp läuft. Was nicht läuft, ist das Spiel seiner Mannschaft. Hinterher wird auch er einräumen, dass zumindest in den letzten zehn Minuten nicht mehr viel passiert ist. Dass der BVB nun als Tabellensiebter der Bundesliga durch die Qualifikation zur Europaliga muss, tut ihm leid. "Das hätte ich den Jungs gerne erspart." Andererseits liegt die Messlatte für seinen Nachfolger jetzt nicht ganz so hoch. Klopp hinterlässt Tuchel eine durchschnittliche bis ordentliche Mannschaft, die zu Einigem fähig ist, aber auch ihre Schwächen hat - zum Beispiel in der Abwehr.
21.44 Uhr: Die Wolfsburger singen: "Oh, wie ist das schön." Minutenlang - grün-weiße Seligkeit. Die Dortmunder sind ganz still. Jürgen Klopp auch: "Ich hab’ zwar ein bisschen Übung im Verarbeiten von Niederlagen, bin aber weit davon entfernt, es besonders gut hinzukriegen. Ich hab das natürlich immer noch in mir." Und haderte hinterher dann doch. "Ich glaube, jedes Tor, das wir gemacht hätten, egal zu welchem Zeitpunkt, hätte das Ding noch mal geöffnet." Sie schießen aber keins mehr. "Tja, 3:1 verloren. Zweiter sind wir geworden. Ich glaube, bei Olympia fühlt sich das besser an als im DFB-Pokal. Obwohl ich nie bei Olympia war, glaube ich, das ist so."
21.53 Uhr: Es ist vollbracht. Nach vier Minuten Extrazeit pfeift Schiedsrichter Dr. Felix Brych die Partie ab. Der VfL Wolfsburg ist deutscher Pokalsieger, zum ersten Mal in seiner Vereinsgeschichte. Jürgen Klopp erhebt sich von der Trainerbank, zieht seine Trainingshose hoch und geht zu seinen Spielern, seinen Jungs, wie er immer sagt, die am Mittelkreis stehen. Er klatscht sie alle ab - ein letztes Mal. Und er gratuliert auch den Gegnern. De Bruyne nimmt er in den Arm. Danach scheint er nicht zu wissen, wo er jetzt hin soll. In die Kurve?
21.55 Uhr: Die Fans erwachen aus ihrer Trauer, helfen ihm und rufen seinen Namen. Langsam geht er ihnen entgegen, aber nicht zu nah’ ran. Es wirkt, als würde er sich nicht so richtig trauen. Den Blick unter der gelben Kappe gesenkt winkt er mit der rechten Hand und deutet eine Verbeugung an. Als wäre es ihm unangenehm, peinlich, sich nach einer Niederlage Applaus abzuholen. Obwohl er den vor der Ehrung der Sieger sogar von den Wolfsburgern bekommt. Später wird er sagen: "Auch Abschiede müssen gefeiert werden." Und das mit dem Applaus? "Das tröstet mich nicht. Das ist wunderschön, hat aber mit der Niederlage nichts zu tun. Wenn wir alles, was wir zusammen erlebt haben, an einer Niederlage festmachen würden, wären wir nicht die, die wir über sieben Jahre waren." Zusammengewachsen seien sie. "Dementsprechend bin ich sehr dankbar dafür, aber tröstend war es nicht – weil in so einem Moment dich nichts trösten kann."
Der Mann mit der Kappe geht - ja, wohin eigentlich? Sein Kollege Dieter Hecking, der Sieger des Abends, sagt: "Wir wissen alle, dass er zurück in die Bundesliga kommt. Ich freue mich schon darauf, Jürgen wieder als Kontrahenten an der Seitenlinie zu sehen."
Quelle: ntv.de