Jetzt ist die Not richtig groß Lächelnder Tuchel lässt den FC Bayern blöd dastehen
17.05.2024, 15:23 Uhr
Tuchel verabschiedet sich endgültig vom FC Bayern.
(Foto: REUTERS)
Und schon wieder steht der FC Bayern blank da: Auch die nächste Trainer-Idee ist gescheitert. Thomas Tuchel, mit dem es Gespräche über ein Kippen der Trennungs-Vereinbarung gab, verkündet seinen Abgang. Genüsslich sogar. Das wirft durchaus Fragen auf.
Thomas Tuchel wusste, was ihn erwartet und erlaubte sich einen kleinen Spaß. Noch vor der ersten Frage bei der obligatorischen Presserunde vor dem Bundesliga-Spiel bei der TSG Hoffenheim (am Samstag 15.30 Uhr bei Sky und im Liveticker bei ntv.de) warf er dem Sky-Journalisten Kerry Hau ein paar Stichworte zu, worum es nun gehen könnte. Verletztenliste? Hoffenheim? Grundordnung? Alles Quatsch, natürlich. Die erste Frage an Tuchel musste schließlich lauten, ob er denn wirklich Trainer des FC Bayern bleiben würde. Jeder, der etwas anderes erwartet hatte, ist ein Traumtänzer. Zu spektakulär war das Gerücht über die mögliche Kehrtwende gewesen, die der FC Bayern, so Tuchel, selbst initiiert hatte. Nach der Champions-League-Pleite bei Real Madrid.
Und Tuchel antwortete freimütig, geradeheraus und lächelte süffisant. Er lächelte und hörte die nächsten gut 20 Minuten gar nicht mehr auf damit: "Das ist die letzte Pressekonferenz an der Säbener Straße. Wir haben keine Einigung gefunden für eine weitere Zusammenarbeit. Deshalb bleibt es bei der Vereinbarung im Februar." Nach einer peinlichen Pleite beim VfL Bochum hatte der Klub wenige Tage später entschieden, die anstrengende Zusammenarbeit trotz laufendem Vertrag bis 2025 zum Saisonende zu beenden.
Über die Gründe für das endgültige Aus nun wollte sich Tuchel nicht äußern, das bleibe hinter "verschlossenen Türen". Es sei jedoch nur um "minimale" Dinge gegangen. Das ist durchaus auch ein Hieb in Richtung des Klubs, den er wenig kompromissbereit erscheinen lässt. Man lehnt sich vermutlich nicht all zu weit über die Brüstung, wenn man gewichtige Mitsprache in der Transfer- und Kaderpolitik und eine Verlängerung des Arbeitspapiers als unvereinbare Punkte annimmt. Nur so hätte der Trainer gesichtswahrend aus dieser skurrilen Rolle-Rückwärts-Nummer heraus kommen können. Nicht als Steigbügelhalter für einen möglichen Coup mit Jürgen Klopp, mit Xabi Alonso oder Pep Guardiola im kommenden Sommer gegolten.
Womöglich waren die Forderungen so groß, dass der Verein sie nicht erfüllen konnte. Das bessere Blatt hatte der Trainer nämlich auf der Hand. Er konnte nach dem aberwitzigen und für den Rekordmeister einfach unfassbaren Absagenhagel seiner potenziellen Nachfolger so komfortabel verhandeln wie ein Wasserverkäufer in der Wüste.
München entgleitet die Kommunikationshoheit
Das war schon reichlich skurril. Da saß also ein Trainer, ganz mit sich im Reinen, und verkündete diese große Entscheidung. Klar, der FC Bayern hatte nie öffentlich bekannt, dass es mit Tuchel Gespräche über einen Verbleib gibt. Aber die Sache war medial so ausgewachsen, dass der Klub durchaus hätte bestrebt sein müssen, die Entscheidung selbst zu verkünden. So glitt den Münchnern die Kommunikationshoheit aus der Hand. Warum saß da nicht ein Mann wie Sportvorstand Max Eberl, um Frage und Antwort zu stehen. Um aktiv zu verkünden, dass sich die Wege tatsächlich trennen. So sieht der FC Bayern blöd aus, steht abermals blamiert da.
Und Tuchel kann strahlend als Gewinner abtreten. Nach einer sehr aufwühlenden Zeit, mit einer Meisterschaft (hergeschenkt vom BVB am letzten Spieltag der vergangenen Saison), mit penetranter und lauter Kader-Kritik, mit Forderungen, mit Spieler-Degradierungen und offen zur Schau gestellter Ratlosigkeit über die mangelnde Konstanz seiner Spieler. Etwa beim peinlichen DFB-Pokal-Aus beim 1. FC Saarbrücken. Mit seinem Ausruf von "Thomas-Müller-Spielen" prägte er zudem eine unselige Debatte. Er habe alles immer zum Wohle des Teams getan, sagt er.
Was nun? Wer will denn Trainer des Rekordmeisters werden? Die Liste der Optionen kann nicht mehr sonderlich lang sein. Roberto de Zerbi (Brighton Hove & Albion) soll immer noch draufstehen. Vielleicht wird auch Oliver Glasner (Crystal Palace) nochmal interessant. Der Österreicher will, dessen Klub aber nicht. Oder nur für eine angeblich völlig absurde Ablöse irgendwo nah der 100 Millionen Euro. Das ist utopisch, als Forderung und für den FC Bayern. Aber man kann ja verhandeln.
Hansi Flick, auch mal angeblich Favorit, soll aus dem Rennen sein. Egal, ein Wunsch-Kandidat lässt sich ohnehin nicht mehr verkaufen. An Spott in den sozialen Medien mangelt es nicht. Ein Comeback von Jürgen Klinsmann wird da etwa gefordert. Dem neuen Mann hängt so oder so der Makel an, dass er an der Säbener Straße nur Plan E, F, G, X, Y oder Z ist. Für seine Autorität, sein Standing ist das ein tüchtiger Schlag in die Magengrube, noch bevor er in den Trainerring steigt.
Auch Max Eberl ist schon angeknockt
Und natürlich auch für Max Eberl, der wenige Tage nach der Trennungs-Entscheidung Mitte Februar sein Amt als neuer Sportvorstand begann. Mit der großen Aufgabe, einen neuen Trainer zu suchen. Im April wollte er diese Aufgabe erledigt haben. Pustekuchen, sie erwächst sich zu einer unterhaltsam-peinlichen Ewigkeitsnummer. Dass er am vergangenen Wochenende auf einen Abschied von Tuchel in der Arena verzichtete, darf im Nachgang als Beleg dafür gewertet werden, dass er voll auf die Karte alter neuer Trainer gesetzt hatte. Vergeblich. Ein nächstes Debakel, das ihn und seine Position schwächt. Noch bevor er in seine erste echte Saison geht. Wahnsinn alles.
"Ich glaube, dass wir immer unsere Spuren hinterlassen", sagte Tuchel derweil und geht offenbar ohne jeden Groll. "Wir haben das Recht, auch mit erhobenem Kopf aus diesen 15 Monaten rauszugehen." Man könne natürlich sagen, "dass eine titellose Saison mit Bayern München nie zufriedenstellend ist." Aber wenn man nun "das Buch nicht nur auf der Titelseite" lesen würde, sondern es in Gänze durchblättere, falle die Bilanz seiner Zeit differenzierter aus. Das furiose Ensemble von Bayer Leverkusen war einfach zu gut für diesen mit sich selbst beschäftigten und ständig unruhigen FC Bayern, der mit seiner Punktezahl in vielen Spielzeiten Meister geworden wäre. Der Pokal-Peinlichkeit gegen Drittligist Saarbrücken stand dagegen eine bemerkenswerte Königsklassen-Saison gegenüber.
Tuchel gestand, dass es ihm schwerfalle, die Mannschaft zu verlassen. In den vergangenen Wochen waren der Trainer und die Fußballer zu einer wieder kräftigen Einheit zusammengewachsen. Manifestiert in diesem einen, ikonischen Foto, das nach dem Viertelfinal-Triumph in der Champions League gegen den FC Arsenal entstand. Es zeigt einen vor Kraft und Glück strotzenden Thomas Tuchel. Einer, der gegen alle Widerstände immun schien. Bis Uli Hoeneß kam und ihn via "FAZ" heftig attackierte. Dass der Trainer hernach gestand, in seiner "Trainerehre tief verletzt" zu sein, schien der allerletzte Nagel in den Sarg des absurden Szenarios, dass der Trainer doch bleiben könne. Eine Online-Petition von fast 20.000 Fans hatte sich dafür starkgemacht. Tuchel erklärte nun, dass die überraschende Attacke des Patriarchen keine Rolle bei seinem Entschluss gespielt habe. Man habe sich im Rahmen des Champions-League-Spiels gegen Real Madrid getroffen - "und dann das Thema auch begraben".
Eine niemals endende, groteske Show
Eine Spitze Richtung Tegernsee gönnte er sich trotzdem. Als er zur EM-Nominierung von Aleksandar Pavlović für das DFB-Team gefragt wurde und dass er an der Entwicklung des Youngsters großen Anteil habe, antworte er: "Die einen sagen so, die anderen so." Großes Gelächter im Saal. Vergiftete Grüße an den Tegernsee.
Was ist das seit Wochen für eine groteske Show, in der beinahe jeder, wirklich jeder erdenkbare Coach sagen durfte oder einfach sagte, warum er nicht zum FC Bayern wechselt? Oder dass er bereitsteht. Wobei einem da außer Felix Magath im Nachgang nicht mehr allzu viele Trainer einfallen. Alles findet öffentlich statt, nichts im Verborgenen. Eberl nervt das. Nun geht diese Show weiter. Und die Not wird immer größer. Ohne Coach wird der Umbau des Kaders in diesem Sommer schwieriger. Spieler wollen wissen, wer sie trainiert, welche Rolle ihnen zugeteilt ist. Und der Sportvorstand sollte sich mit einem Spielleiter abstimmen, welche Profis bleiben, gehen und kommen. Eine führungslose Mannschaft ist nicht attraktiv, selbst wenn sie die des FC Bayern ist. Die Sinnkrise des Klubs lässt sich längst nicht mehr leugnen. Auch nicht, dass der ewig titelverwöhnte Gigant immer mehr zu einem Scheinriesen im europäischen Fußball wird.
Aber Scheinriesen gibt es dort momentan zuhauf. Sei es in Manchesters (United) Theater der Albträume, wo mit Erik ten Hag ein ehemaliger Trainer der zweiten Mannschaft der Bayern strauchelt (Tuchel wird ironischerweise als dessen Nachfolger gehandelt und der Niederländer angeblich auch als seiner bei den Münchnern) oder beim FC Barcelona, wo Xavi bleibt oder nicht und vielleicht durch Tuchel oder Flick ersetzt wird. Oder nicht.
Quelle: ntv.de