Nagelsmanns rappender Jodler Neue DFB-Rolle: Thomas Müller wird zum Schmiermittel
17.05.2024, 07:08 Uhr
Der Gaudibursch als Schmiermittel: Thomas Müller bekommt im DFB-Team eine neue Rolle.
(Foto: dpa)
Thomas Müller steht (natürlich) im Kader der deutschen Fußball-Nationalmannschaft für die anstehende Heim-EM. Sportlich haben andere Spieler ihm längst den Rang abgelaufen. Aber darum geht es Bundestrainer Julian Nagelsmann auch gar nicht.
Was hat Thomas Müller nicht schon alles für Spitznamen über sich ergehen lassen müssen. Der Gaudibursch, das Bayern-Urgestein, der Müllerthomas. Harmlos. Der Raumdeuter, die Schleichkatze, der Kettensprenger. Selbst verantwortet, durch seine nicht greifbare Art auf dem Platz. Aber Schmiermittel (!), so hatte den 34-Jährigen noch niemand genannt. Schmiermittel, wie schäbig das klingt! Aber, Moment, bloß keine Empörung. So, also schäbig, war es von Julian Nagelsmann, vom Bundestrainer, gar nicht gemeint. Schmiermittel ist die höchste Form der Anerkennung. Womöglich ein neuer Superlativ in der grandiosen Sprache des Fußballs.
Was der Trainer damit sagen will: Thomas Müller ist der große "Connecter". Huch, schon wieder so ein Begriff aus der hippen neuen Welt der Nationalmannschaft, die in wenigen Wochen zur Heim-EM antritt, nicht mit den 26 besten Fußballern des Landes, sondern mit jenen 26, die am besten zusammenpassen. Mats Hummels und Leon Goretzka zählen nicht dazu. So sieht es der Bundestrainer. Er nimmt damit Reibung aus dem Kader. Beide scheuen sich nicht, offensiv zu kommunizieren. Und um die (Ersatz)-Rollen der beiden würde vermutlich eine laute Diskussionen losbrechen, würde es für das DFB-Team nicht gut laufen, würden die Stammspieler Fehler machen. So wäre die zugewiesene Rolle in Gefahr. Nagelsmann will das vermeiden.
Müller gehört dagegen mindestens in Gruppe zwei (zu den passenden Spielern also), womöglich auch (noch) in Gruppe eins. Auch wenn es rein sportlich durchaus nachvollziehbare Gründe gegeben hätte, einen Julian Brandt vorzuziehen. Bei der Dortmunder Heldenreise durch die Champions League war der bisweilen geniale, ab und an auch fahrige Spielmacher in den vergangenen Wochen zu einem wichtigen Faktor geworden.
Wo sortiert sich Leroy Sané ein?
Müller, das hat Nagelsmann am Donnerstag in Berlin, als er 27 Mann für den vorläufigen Kader benannt hatte (einen muss er vor dem Turnier noch streichen), klargemacht, ist nicht mehr ein Mann für die erste Elf. In der deutschen Offensive scheinen die Stammplätze eh in Stein geschlagen. Kai Havertz dürfte als Stürmer vor Niclas Füllkrug gesetzt sein. Dahinter orchestriert İlkay Gündoğan das Geschehen, daneben wirbeln die Magier Florian Wirtz und Jamal Musiala. Einzige spannende Frage: Wo sortiert sich der beim letzten Länderspiel-Doppel gesperrte Leroy Sané ein und wer müsste weichen?
Nun ist die Nominierung von Müller aber nicht nur ein Geschenk für die großen Leistungen der Vergangenheit. In der Geschichte des DFB hat der alte Gaudibursch, Pardon, das neue Schmiermittel große Spuren hinterlassen. In der Rangliste der deutschen Fußballer mit den meisten Länderspielen reiht er sich hinter Rekordmann Lothar Matthäus, Miroslav Klose und Lukas Podolski auf Rang vier ein. 2014 ist er Weltmeister geworden, erzielte fünf Tore. Mit 45 Treffern ist er der aktuelle erfolgreichste Schütze im DFB-Aufgebot.
Auf Wiedersehen dunkle Wolken
Die WM in Brasilien, sie war sein bestes Turnier. Er hat die guten Seiten unter Joachim Löw erlebt, aber auch die schlechten. Der Ex-Bundestrainer rasierte ihn einst per überraschendem Blitzbesuch an der Säbener Straße in München und holte ihn vor der EM 2021 zurück. Im Achtelfinale ließ Müller gegen England die Riesenchance zum Ausgleich liegen. Danach traf Harry Kane, England war weiter. Deutschland wieder enttäuscht. Wie drei Jahre zuvor in Russland (Gruppen-Aus) und ein Jahr später in Katar (erneutes Gruppen-Aus). Auf die düsteren Zeiten unter Löw und Nachfolger Hansi Flick sollen unter Nachfolger Nagelsmann nun wieder heitere Momente folgen, ohne dunkle Wolken.
128 Mal hat Müller bislang das Trikot mit dem Adler getragen, zweimal weniger als "Poldi". Den dürfte Müller vermutlich noch abfangen. Ob es für Klose (137) und Matthäus (150) auch noch reicht, eher fraglich. Vorerst ist alles auf die Heim-EM ausgerichtet. Was danach kommt, völlig offen. Ob Müller, dessen Vertrag beim FC Bayern im Sommer des nächsten Jahres endet, noch Lust auf eine WM 2026 hat? Ob der Trainer dafür überhaupt noch mit ihm plant? Zu weit gedacht. Vorerst. "Hallo Leute, logischerweise freue ich mich riesig auf die EM im eigenen Land. Let's go. Ich bin gespannt. Es wird was. Ich werde einpeitschen und Gas geben. Ich bin am Start", sagte er nach der Nominierung im Video auf der Plattform X.
Müllers Rolle ist klar definiert
Für das Heim-Turnier hat Nagelsmann die Rollen im Kader klar verteilt. Das war ihm wichtig. Jeder soll wissen, was ihn erwartet. Und jeder sollte dem Coach versprechen, dass er damit einverstanden ist. Die Gruppe soll einen Spirit leben, als Einheit. Alles soll zusammenpassen. Auf dem Platz und neben dem Platz. Auch im Umgang mit Köchen, Busfahrern und so weiter. Alle gemeinsam. Und ihr wichtigster Verbinder, so die Rollen-Definition, ist Müller. "Thomas kann mit den Rappern - und mit denen, die jodeln", sagt Nagelsmann. Was er damit meint: Er kann mit den Älteren im Team, mit seinen Weltmeisterkollegen von 2014, Toni Kroos und Manuel Neuer. Und er kann mit den Jüngeren in der Mannschaft, mit den Jamal Musialas und Florian Wirtz'. Und ganz sicher kann auch er mit Spielern wie Füllkrug und Deniz Undav, die stets gerade rausknallen, was ihnen so durch den Kopf geht.
Aber Müller soll nicht nur den "Gute-Laune-Onkel" neben dem Spielfeld geben. Auch wenn diese Qualität des Spielers mit besonderen Aufgaben unbedingt gefragt ist. Wie schlagfertig es dabei zugehen kann, hat der Coach unmittelbar nach dem Halbfinal-Aus des FC Bayern in der Champions League erfahren. Aus Spaß schrieb er dem Münchner Routinier, dass er (also Nagelsmann) persönlich dafür gesorgt habe, dass der Schiedsrichter beim 2:2-Ausgleich des FC Bayern eingriff und dem Treffer vorzeitig die Anerkennung verweigerte. Er wolle die Spieler aus München schneller bei sich und zur Vorbereitung auf das Turnier haben. Müller konterte sofort und frech: "Dann hat ja der FC Bayern sein eigenes Champions-League-Aus finanziert." Zur Erklärung: Nagelsmann hatte vom Rekordmeister nach seinem Rauswurf vermutlich eine üppige Abfindung erhalten.
Als Fußballer hat Müller weiterhin seine Relevanz, sagt Nagelsmann. Er brauche etwa als Einwechselspieler keine lange Anlaufzeit auf dem Platz. Das habe er zuletzt auch bei seinem Verein immer wieder nachgewiesen. Auch wenn er nicht immer alles richtig macht, er geht voran, hatte "immer Aktionen" (Nagelsmann). Er organisiert und motiviert. Das kann den unerfahreneren Kollegen in schwierigen Turnierphasen eine wichtige Hilfe, eine wichtige Orientierung sein. So sei Müller, findet Nagelsmann, auch der "verlängerte Arm des Trainerteams" und verfüge über "den Blick auf das Große Ganze". Der Offensivspieler sei zudem "ein Bild für die Fans und ein Connecter zu den Medien". Denen stellt er sich seit jeher. Antwortet mal kritisch und attackierend, mal launig und geistreich. Auch das hilft dem Team in Abwesenheit der meinungsfreudigen Kollegen Hummels und Goretzka. Kurzum, so findet der Bundestrainer: Müller sei "Schmiermittel und Bindeglied für vieles". Übrigens: Generell unterliegen Schmierstoffe keinem Haltbarkeitsdatum wie Lebensmittel, dennoch können Schmierstoffe altern.
Quelle: ntv.de