"Das Ende einer Ära" Lionel Messi, die emotionale Blackbox
27.06.2016, 13:19 Uhr
Vorbei - Lionel Messi sackt zusammen.
(Foto: REUTERS)
Witz, Wahnsinn, Eleganz, Effektivität - das alles vereint Lionel Messi. Im Elfmeterschießen des Copa-Finals versagen ihm die Nerven. Danach tritt er aus dem Nationalteam zurück. Argentinien muss ohne ihn gegen ein Trauma ankämpfen.
Lionel Messi tritt ab, er will nie wieder für Argentinien spielen. Messi ist 29 Jahre alt. Er hat zwar mit dem FC Barcelona viermal die Champions League gewonnen. Aber die größten Stars, die werden bei den Turnieren der Nationalmannschaften geboren. Sie sind die größte Bühne, die es gibt. Dabei erfolgreich zu sein, heißt, nicht nur von Anhängern eines Klubs geliebt und bejubelt zu werden, sondern von der eigenen Heimat, von allen. Messi verlässt sie. Er verzichtet und wird ohne großen Titel bleiben.
König-Fahd-Pokal (jetzt Konföderationenpokal) 1995: 0:2 gegen Dänemark in Riad
Copa América 2004: 2:2 (2:4 n.E.) gegen Brasilien in Lima
Konföderationenpokal 2005: 1:4 gegen Brasilien in Frankfurt am Main
Copa América 2007: 0:3 gegen Brasilien in Maracaibo
WM 2014: 0:1 n.V. gegen Deutschland in Río de Janeiro
Copa América 2015: 0:0 (1:4 n.E.) gegen Chile in Santiago
Copa América 2016: 0:0 (2:4 n.E.) gegen Chile in East Rutherford
"Es tut weh, kein Sieger zu sein", sagt der Mittelfeldspieler, der mit seiner Flink- und Frechheit jede Abwehr zur Verzweiflung bringen kann. "Ich habe alles getan, was ich konnte." Im Elfmeterschießen um die Kontinentalmeisterschaft Copa América gegen Titelverteidiger Chile tritt Messi als Erster für sein Team an. Sergio Agüero sah Messi an, dass er scheitern wird. "So kannst du keinen Elfmeter schießen", warnt er ihn. Messi ignoriert seinen Mitspieler - und setzt den Ball übers Tor.
Lionel Messi ist ein Superstar. Er sticht nicht nur durch seine Leichtfüßigkeit heraus, sondern auch mit seinem Auftreten. Große Emotionen gibt es bei ihm kaum zu sehen. Keine Theatralik. Keine großspurigen Interviews. Keine fiesen Fouls. Keine Arroganz. Keine ständigen Beschwerden beim Schiedsrichter, weil er so eng gedeckt wird. Keine Diskussionen. Nur Fußball. Mit Witz und ein bisschen Wahnsinn, die er mit Eleganz und Effektivität verbindet.
348 Spiele hat Messi für Barcelona absolviert und 312 Tore erzielt, 112 für sein Heimatland und dabei 55 Mal getroffen. Messi ist genial wie Maradona, aber ohne dessen Eskapaden, vom Typ Traumschwiegersohn, den eine ganze fußballverrückte Nation liebt.
Drei verlorene Finals in Folge
Nach außen wirkt Messi wie eine emotionale Blackbox. Seine Rücktrittsentscheidung hat sie einen Spalt geöffnet. Drei verlorene Finals in drei aufeinanderfolgenden Jahren waren für den fünfmaligen Weltfußballer zu viel. Die Serie begann 2014 mit dem Scheitern im WM-Endspiel gegen Deutschland, setzte sich 2015 bei der Copa América gegen Chile fort und fand nun mit der missglückten Revanche im Jubiläumsturnier seinen persönlichen Abschluss.
Mindestens eine WM hätte Messi noch problemlos spielen können. Aber er will nicht mehr. "Er ist sehr angeschlagen", sagt Agüero über Messi. Auch das passt - die Mannschaftskollegen sagen mindestens genauso viel über die Gefühle ihres Kapitäns wie er selbst. Und er hat nun mehr über sich und seinen inneren Zustand gesagt als irgendwann zuvor: "Es tut mir mehr weh als jedem anderen, dass ich nicht imstande bin, mit Argentinien einen Titel zu gewinnen." Im Fußball erzeugt Nationalität vielleicht die größte Emotionalität.
Argentinien verliert seit 23 Jahren Finale um Finale, siebenmal in diesem Zeitraum. Man könnte es Trauma nennen. Der letzte Erfolg ist der Copa-Titel von 1993. Spielübergreifend hat der zweimalige Weltmeister seit 475 Minuten kein Tor mehr in einem Endspiel erzielt. Das letzte war von Pablo Aimar beim Konföderationenpokal 2005 in Deutschland. Den Titel gewann Gegner Brasilien. Der südamerikanische Rivale schoss vier Tore.
La Nación, die älteste und wohl wichtigste Tageszeitung Argentiniens, titelte mit der vielleicht einzigen möglichen Überschrift: "Das Ende einer Ära." Darunter war ein Foto von Messi zu sehen. Er kniet auf dem Rasen, am Arm die Kapitänsbinde, sein Rücken gebeugt. Als hätte ihn die Kraft verlassen.
Quelle: ntv.de