Fußball

Alte Dominanz, neue Risikolust Löws Genie lässt die DFB-Gegner zittern

Bundestrainer Joachim Löw hat gut Lachen - denn die Gegner haben großen Respekt vor seinem Team.

Bundestrainer Joachim Löw hat gut Lachen - denn die Gegner haben großen Respekt vor seinem Team.

(Foto: dpa)

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ist laut Fifa-Ranking die beste der Welt. Das allein ist nur semi-aussagekräftig. Viel mehr überzeugt, wie das Taktik- und Strategiegenie Joachim Löw für Furcht bei den deutschen Gegnern sorgt.

Erfolg verändert Menschen. Manchmal macht er sie arroganter, manchmal gelassener. Bei Joachim Löw ist es ganz gewiss Letzteres. Der langjährige deutsche Nationaltrainer präsentiert sich seit dem Gewinn der Weltmeisterschaft 2014 von seiner entspannten Seite. Zuvor wirkte Löw oftmals noch arg verbissen und sah Kritik als Angriff auf ihn und seine Person. Mittlerweile prallt viel an ihm ab. Er muss sich und der Welt nichts mehr beweisen.

Toni Kroos gilt als Getriebe der Mannschaft.

Toni Kroos gilt als Getriebe der Mannschaft.

(Foto: imago/Laci Perenyi)

Das heißt nicht, dass Löw nicht weiterhin erfolgshungrig ist. Aber er wirkt risikobereiter. Das zeigt sich deutlich in seiner taktischen Arbeit. Beim Titelgewinn in Brasilien vor knapp dreieinhalb Jahren war der Bundestrainer noch voll und ganz auf Stabilität bedacht. Seine Schützlinge sollten so wenig wie möglich zulassen und keine unnötigen Fehler begehen. Er hielt an einem eher konservativen 4-3-3 fest und setzte Benedikt Höwedes als Außenverteidiger ohne nennenswerten Offensivdrang ein. Deutschland machte hinten dicht und schoss vorn dank der Spielintelligenz der Stammkräfte die notwendigen Tore.

Zwei Jahre später sah die Welt schon ganz anders aus. Bei der Europameisterschaft in Frankreich wechselte Löw die Formationen immer wieder, setzte auch mal eine Dreierkette ein und ging bei seiner Personalwahl höheres Risiko. Der damals noch weitgehend unerfahrene Joshua Kimmich wurde auf der rechten Seite eingesetzt. An anderen Stellen herrschte muntere Rotation. Beispielhaft war das Viertelfinale gegen Italien, das Deutschland für sich entschied. Im Vergleich zum verlorenen Spiel gegen den einstigen Angstgegner vier Jahre zuvor, als Toni Kroos noch zum Manndecker von Andrea Pirlo degradiert wurde, lagen Welten. Löw hätte 2016 nicht im Traum daran gedacht, einen seiner Spieler für eine solche Aufgabe zu opfern.

Deutschland hat eine Ansammlung an Top-Spielern

Dieser Trend setzte sich auch nach dem enttäuschenden Halbfinal-Aus 2016 fort. Löw schien einen möglichen Rücktritt nie in Betracht zu ziehen. Vielmehr ging er sofort das Projekt WM-Titelverteidigung an. Mit Miroslav Klose, Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger haben sich seit 2014 drei seiner langjährigen Schützlinge aus der Nationalmannschaft verabschiedet. Doch der personelle Umbruch gestaltete sich alles andere als schwierig. Bis auf die Außenverteidigung hat Löw mittlerweile die Qual der Wahl.

Wie schon bei den letzten Turnieren wird Toni Kroos der Dreh- und Angelpunkt im deutschen Team bleiben. Um den 27-Jährigen herum versucht Löw das optimale Gebilde zu konstruieren. Dass er dabei in Mittelfeld und Angriff auf ganz verschiedene Spielertypen zurückgreifen kann, kommt ihm natürlich entgegen. Dies gilt auch für die variablen Verteidiger, die sowohl eine Dreier- als auch eine Viererkette ohne Probleme umsetzen können. Die größere Bandbreite an taktischen Systemen in der Bundesliga kommt erleichternd hinzu.

Taktisch stärkster Titelfavorit

Gewiss befindet sich Deutschland, das in der nur minder aussagekräftigen Fifa-Weltrangliste auf Platz eins liegt, individuell auf allerhöchstem Niveau. Die Kroos', Gündogans, Sanés und Werners sind international geschätzt und gefürchtet. Doch im Vergleich zu anderen Favoriten auf den WM-Titel ist es die taktische und strategische Tiefe, welche die DFB-Elf vom Rest des Feldes abhebt. Man nehme als Beispiel die beiden europäischen Konkurrenten Frankreich und Spanien. Beide könnten sehr wohl in Russland im kommenden Jahr den Pokal in die Höhe recken.

Frankreich verfügt über eine neue "Goldene Generation" mit physisch beeindruckenden Akteuren rund um Paul Pogba und Kylian Mbappé. Doch die taktische Variabilität geht den Franzosen ab. Das Spiel der Équipe Tricolore sieht oftmals identisch aus. Im Spielaufbau wird selten das ganze Potenzial abgerufen, was schon bei der Heim-EM 2016 auffiel und seitdem auch nicht ausgemerzt werden konnte.

Spanien ist ebenfalls hochbesetzt, auch wenn so manch gestandener Akteur wohl 2018 sein letztes Turnier bestreiten könnte. Aber der Weggang von Pep Guardiola aus Spanien und der seichte Niedergang des FC Barcelona, das nun nicht mehr den einst so speziellen und stilprägenden Fußball spielt, hat auch dem Nationalteam geschadet, das bis 2012 noch wie eine etwas schwächere Kopie von Barça aussah. Mittlerweile wirken Ballbesitz- und Positionsspiel der Selección weniger dominant und das Team als solches bei Weitem nicht mehr so angsteinflößend.

Außerhalb Europas präsentiert sich momentan lediglich Brasilien als ernstzunehmender Titelanwärter. Unter Trainer Tite sind die Südamerikaner auf Wiedergutmachung nach der Schmach bei der Heim-WM aus. Die Qualifikationsrunde auf dem eigenen Kontinent wurde dominiert. Neymar und auch Casemiro reifen zusehends zu Führungsfiguren. Aber ob die Mittelfeldzentrale, die zuletzt häufig von Paulinho und dem Ex-Leverkusener Renato Augusto besetzt wurde, gut genug ist und ob Brasilien beispielsweise in einem Duell mit Deutschland taktisch mithalten könnte, darf doch bezweifelt werden.

Dominanz bleibt das Ziel

Ist die kommende WM also ein Turnier, das die DFB-Elf gewinnen sollte? Diesen Druck würde Löw seiner Mannschaft sicherlich nicht auferlegen. Der Bundestrainer ist sich jedoch gewiss im Klaren darüber, wie hoch die Chance auf eine Titelverteidigung ist. Während der WM-Qualifikation war die Überlegenheit des deutschen Teams zumeist so hoch, dass Löw bereits die eine oder andere taktische Variante ausprobieren konnte.

Seine Spielphilosophie hat er nicht geändert und wird es auch in den kommenden Monaten nicht tun. Für ihn und sein Team geht es stets darum, Dominanz über Ballbesitz aufzubauen. Ob nun drei oder vier Verteidiger, ein mitspielender oder ein kopfballstarker Stürmer, mehr Kreative im Zentrum oder auf den Außen die richtige Wahl sind, hängt von Formkurven und den jeweiligen Gegnern ab. In jedem Fall möchte Deutschland volle Kontrolle haben und den Gegner entnerven und Verteidigungen zerspielen.

Im Vergleich zu 2014 hat Löw bei Weitem mehr Möglichkeiten als alles auf ein schlichtes 4-3-3 auszurichten. Mittlerweile ist die taktische Ausrichtung so wichtig wie die individuelle Leistung der elf Spieler auf dem Rasen. Es ist eine Luxussituation für den Bundestrainer, der sie gelassen aber auch wohlwollend zur Kenntnis nehmen wird.

Quelle: ntv.de

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