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Knifflige Entscheidung steht an Manuel Neuer muss jetzt höllisch aufpassen

Wann ist die Zeit für den perfekten Abgang?

Wann ist die Zeit für den perfekten Abgang?

(Foto: REUTERS)

Manuel Neuer hat sich einen schweren Fehler geleistet. Nach weit über 800 Spielen sieht der Torwart des FC Bayern im DFB-Pokal zum ersten Mal in seiner Karriere Rot. Und prompt nimmt die Debatte, ob Manuel Neuer noch Manuel Neuer ist, Fahrt auf.

Wer ist Manuel Neuer? Im Sommer 2014 war das keine Frage, die eine Antwort brauchte. Eine Werbung stellte sie trotzdem. Neuer war Torwart, Libero, Spieleröffner, Titan, Weltmeister. Ein Volksheld, unumstritten in jeder Hinsicht. Nun ist er zehn Jahre älter. Und es geht wieder um die Frage, wer Manuel Neuer ist. Er ist immer noch Torwart, in München weiter ein Held. Beides ist Fakt.

Aber ist er noch Libero? Ist er noch Spieleröffner? Ist er noch Titan? Nichts ist mehr eindeutig. Nichts ist mehr selbstverständlich. Der fast 39-Jährige muss sich dem Lauf der Dinge beugen. Das bedeutet: Das Alter fordert seinen Tribut. Gegen Bayer Leverkusen im DFB-Pokal sah er nach fast 900 Spielen zum ersten Mal Rot. Weil das Timing beim Herauslaufen nicht stimmte, rannte er den schnellen Werkselfspieler Jeremie Frimpong einfach um.

Aber gerade das Timing war einmal eine ganz große Stärke gewesen. Während das Publikum in anderen Stadien in Schockstarre verfällt, wenn ihr Schlussmann weit aus dem Kasten herausstürmt, um gefährliche Situationen außerhalb des natürlichen Habitats zu klären, konnten sich die Münchner stets darauf verlassen, dass Neuer weiß, was er tut. Und wann. Er ist der Torwart, der das Spiel veränderte. Nicht nur im Kerngebiet war er eine Klasse für sich, ebenso in der Raumkontrolle und im Spielaufbau. Doch auch der klappt nicht mehr wie einst. Einst hatte der damals beim FC Bayern verletzungsgeplagte Trainer Pep Guardiola die Idee, den Torwart als Feldspieler einzusetzen.

Das Tabu wird gebrochen

Gegen Borussia Dortmund, im Bundesliga-Klassiker am vergangenen Samstag, spielte Neuer auffällig viele Bälle ins Aus oder ungenau am Mann vorbei. Und immer weniger vorsichtig wird ausgesprochen, was lange tabu war: Der Neuer von 2024 ist eben nicht mehr der Neuer von 2014.

Tatsächlich ist der Torwart eine Heilige Kuh in der kritischen Auseinandersetzung. Er bot in seiner Karriere aber auch lange nicht viele Gelegenheiten, sich auf ihn zu stürzen. Anderen Fußballern wären große Dinge wie der folgenschwere Skiunfall nach der Katar-WM 2022 oder das Wut-Interview nach dem Bayern-Aus seines Freundes und Torwarttrainers Toni Tapalovic ganz anders übelgenommen worden. Und auch die Debatte, ob er noch unumstritten ist, vor allem in der Nationalmannschaft, etwa vor der WM 2022 und auch dem Turnier in diesem Sommer, wären bei anderen Kandidaten lauter geführt worden. Mittlerweile ist zumindest diese Geschichte, denn nach der Heim-EM hat er seinen Rücktritt erklärt.

Seine Karriere war damit aber noch nicht vorbei. Aber wie viele Kapitel werden in der Geschichte des ewigen Titan noch geschrieben? In diesem Sommer steht eine große Entscheidung an, die vielleicht letzte für den Profifußballer Neuer. Sein Vertrag beim FC Bayern läuft aus. Ebenso wie jener von Thomas Müller. Lange Zeit lief die Karriere der beiden Klubheiligen parallel. Sie waren Erfolgsgaranten, unverzichtbar. Müller musste dabei häufiger um den Status kämpfen, hatte es bei gleich mehreren Trainern in den vergangenen Jahren nicht leicht. Aber er gewann diese Kämpfe immer. Denn es gab eben immer Thomas-Müller-Spiele. Doch nun scheint der Kettenschleicher die Zeit nicht mehr beugen zu können. Sportlich rutscht er in der Wichtigkeit immer weiter nach hinten. Deswegen scheint ein vorübergehender Abgang wahrscheinlich. Irgendwann, so träumen sie in München, soll er dann aber bitte wieder heimkehren, in anderer Funktion. Vielleicht als Top-Funktionär.

Leverkusen plante, Neuer in die Falle zu locken

Bei Neuer ist die Lage aber anders. Über ihn gab es keine Zweifel. Wenn er fit war, spielte er. Und meistens tat er das herausragend. Dass er etwa nach seiner langen Pause in Folge des Skiunfalls nochmal so stark zurückkehren konnte, war kaum für möglich gehalten worden. Aber je älter er wurde, desto mehr Titanen-Lack platze ab. Die unhaltbaren Bälle, die er sich einst schnappte, bleiben immer häufiger unhaltbar. Und in Szenen, in denen er früher lange gewartet hatte, um dem Schützen nichts anzubieten, entscheidet er sich nun früher. Das hinterlässt Spuren, macht Gegner selbstbewusster im Duell mit diesem Giganten. Die Leverkusener verrieten gar, dass sie die rote Karte gegen Neuer einkalkuliert hatten, sie heraufbeschwören wollten, durch präzise Pässe in die Tiefe, die den Keeper aus dem Strafraum herauslockten sollten. Das ist schon eine bemerkenswerte Ansage.

Im extrem nach vorne ausgerichteten System von Trainer Vincent Kompany muss der Keeper, also Neuer, eine Rolle einnehmen, die er einst selbst erfunden hatte: den Torwartlibero. Aber Schnelligkeit und Timing sind nicht mehr so ausgeprägt wie früher, das macht das Spiel so gefährlich. Es war nicht das erste Mal, dass ein Gegner in dieser Saison die Positionierung der Münchner für sich ausnutzen konnte. In der Champions League schnappte etwa Aston Villa zu.

In anderen Momenten ist er aber noch immer ein Neuer, der wie Neuer spielt. Gegen Paris St. Germain zuletzt etwa, oder auch gegen den BVB, als er gegen Marcel Sabitzer das womöglich vorentscheidende 0:2 verhinderte. Dass diese Diskussionen nun losbrechen, ist ein Ergebnis der Fallhöhe, die er sich als Weltklasse-Mann erarbeitet hat.

Die große Versöhnung im CL-Finale?

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Noch ist offen, wie es im Sommer weitergeht. Und diese ungeklärte Situation macht es für Neuer schwer. Jede Aktion liegt nun enttabuisiert unter dem Brennglas. Im Schatten, in Stuttgart, lauert zudem sein ausgemachter Nachfolger, Alexander Nübel. Ein vorzeitiges Leihende ist Medienberichten zufolge möglich. Die München sind über einen Plan B abgesichert. Anders als Neuer. Die Debatten, die leise angestoßen sind, werden lauter. Dietmar Hamann hatte Neuer schon vor ein paar Wochen als Schwäche des FC Bayern ausgemacht. Nun geben sie in München schon lange nichts mehr auf die Meinung des Sky-Experten, zu sehr sind sie von ihrem umstrittenen Ex-Spieler verbal gepeinigt worden. Aber ein Thema, einmal in der Welt, lässt sich nicht so schnell abwürgen.

Noch aber winkt Neuer das perfekte Karriereende. Zumindest beim FC Bayern. Das Finale der Champions League findet am Ende der Saison in der Allianz Arena statt. Die Münchner brennen dafür, das Trauma des verlorenen "Finale dahoam" von 2012 nun zu heilen. Müller hatte damals in der 83. Minute gegen den FC Chelsea alles auf Sieg gestellt. Dann erschütterte Topstürmer Didier Drogba das Stadion. Neuer, der seine erste Saison bei den Bayern hinter sich hatte, war machtlos. Im Elfmeterschießen folgte das zweite Drama. Was wäre das für eine große Geschichte, wenn die Zeit der alten Helden mit der großen Versöhnung endet. Und für Neuer nicht eingerahmt von zwei gigantischen Enttäuschungen. Bis es so weit ist, muss des Team aber seine Topspielkrise in den Griff bekommen - und braucht einen Manuel Neuer in bester Form. Aber hat er die noch?

Quelle: ntv.de, tno

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