Fußball

Obacht vor dem Selbstbetrug Der FC Bayern stürzt in gefährliche Topspiel-Krise

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Der FC Bayern scheitert im DFB-Pokal erneut früh. Viel zu früh für die eigenen Ambitionen. Die Leistung gegen Leverkusen stimmt, trotz langer Unterzahl. Und dennoch ploppt die Frage auf: Haben die Münchner ein Spitzenspiel-Problem?

Vorwerfen kann man den Fußballern des FC Bayern nichts. Weder am vergangenen Samstag noch an diesem Dienstagabend. Gegen Borussia Dortmund waren sie im Bundesliga-Klassiker so vehement angerannt, bis sie doch noch Einlass in die Festung Westfalenstadion erhielten. In der 85. Minute schnappten sich die Münchner dank Jamal Musiala noch einen Punkt, hochverdient. Auch wenn es um das 1:1 Kontroversen gab.

Gedrängt und gedrückt hatten sie auch im DFB-Pokal gegen Bayer Leverkusen. Die Leistung war stark, trotz ewig langer Unterzahl. Torwart Manuel Neuer hatte zum ersten Mal in seiner Karriere, nach 17 Minuten, Rot gesehen. Aber auch die Gäste hielten stark dagegen, vor allem defensiv ließen sie wenig zu. Den Münchnern fehlte ohne Stürmer Harry Kane der Punch vor dem Tor, es fehlte überhaupt eine zuverlässige Option vorne drin. Und damit erneut ein großer Sieg, im nun ersten Endspiel dieser Saison.

Der erste Titel ist damit schon wieder außer Reichweite. Wie so oft in den vergangenen Jahren. Der FC Bayern hat seine lange Dominanz im DFB-Pokal verloren - und auch seine Kraft, die ganz großen Spiele zu gewinnen? Es ist eine Frage, die bei den Münchnern sofort einen unangenehmen Reiz auslöst. Denn eigentlich wollen sie nach den aufwühlenden Jahren mit Julian Nagelsmann und Thomas Tuchel wieder in ein sportliches Hochdruckgebiet segeln, Titel gewinnen. Doch die Bilanz in dieser Saison spricht nicht dafür, dass der Kurs stimmt. Auch wenn die Mannschaft die Tabelle der Bundesliga anführt. Neben der eigenen Stärke sorgt aber auch die Schwäche der Konkurrenz dafür, dass das Leistungsbild offenbar etwas verzerrt ist. Denn in den direkten Duellen patzen die Bayern.

Kimmich legt den Finger in die Wunde

Große Siege in großen Spielen, das nicht mehr die Kernkompetenz des Rekordmeisters. Sie ist außer Dienst gestellt. Das nervt. Alle in München. Und ganz besonders den immer ehrgeizigen Joshua Kimmich, der das Problem nicht kleinreden will. Trotz teilweise starker Leistungen dabei. Zweimal gewannen die Bayern in dieser Saison nicht gegen Bayer Leverkusen (im Pokal und in der Liga), auch nicht bei Borussia Dortmund und Verfolger Eintracht Frankfurt. Gegen den FC Barcelona mit dem auferstandenen Supertrainer Hansi Flick gab's in der Champions League gar eine richtige Abreibung. Zudem noch eine Niederlage gegen Aston Villa. Immerhin gegen Paris St. Germain gab es einen knappen (und hochverdienten) Sieg. Macht in der Summe: K.o. im Pokal, Stress in der Königsklasse und zumindest noch ein bisschen Verfolgeratem in der Liga.

"Am Ende des Tages kommen wir da nicht weiter. Wenn man rein die Ergebnisse sieht, dann ist es natürlich ernüchternd", sagt Kimmich, den der FC Bayern langfristig binden will und ihn unter anderem mit der Rolle des Kapitäns lockt, die als Lautsprecher der Mannschaft ohnehin schon häufiger ausführt. Mit der mutigen und offensive Spielweise unter Trainer Vincent Kompany sei seine Mannschaft zwar "auf dem richtigen Weg. Aber letztendlich müssen wir das in positive Ergebnisse ummünzen", befindet Kimmich. Eine Etage höher wird das Thema dagegen nicht ganz so sachlich behandelt. Wie bei einem monosynaptischen Reflex ging Sportvorstand Max Eberl bei dem Thema in die verbale Streckbewegung: "Ich weiß, dass Sie alles infrage stellen. Das ist mir relativ scheißegal", blaffte er einen Reporter in der Mixed Zone an, der die Frage nach der Topspiel-Bilanz stellte.

"Die Leistung war besonders"

Und einmal mit dem kritischen Hämmerchen angehauen, legte er nach: "Das ist heute nicht die Frage, größere Gegner zu besiegen. Wir sind ein Mann weniger. Auch wenn man es auf dem Platz nicht gesehen hat. Deswegen ist dieses Spiel raus aus der ganzen anderen Statistik", argumentierte Eberl und hoffte,"das ist auch bei allen so angekommen". Auch Sportdirektor Christoph Freund will die Sache deutlich positiver bewertet wissen: "Von den Ergebnissen her kann man es so sehen. Aber so wie wir auftreten und spielen, bin ich überzeugt, dass wir auch große Spiele gewinnen, weil wir auf einem richtig guten Weg sind, eine richtig gute Energie versprühen."

Es stand nicht gut um die Gemütslage der Bayern. "Natürlich nervt es mich extrem, dass der Titel weg ist. Das ist das, wofür wir alle Fußball spielen – um zu gewinnen. Und es geht einzig und allein um das Gewinnen", gestand Kimmich. "Es war mit unsere beste Leistung. Wir sind auf dem richtigen Weg." Gegen eine Mannschaft von Xabi Alsonso mit zehn Mann zu spielen, sei extrem schwierig, sagte Kompany: "Die Leistung war besonders. Wenn das Gefühl bleibt, wenn die Energie bleibt, dann werden wir in Zukunft noch viel gewinnen, Titel gewinnen. Diesen Pokal in dieser Saison nicht. Aber diese Mannschaft kann weiter wachsen, sie bekommt ihre Momente."

Ergebnisse sind aber halt die Währung

Das Problem an solchen Einschätzungen: Sie gewinnen die Spiele nicht. Ergebnisse sind die harte Währung im Fußball. Sie akzeptiert keine tieferen Erklärungen: Platzverweise, verletzte Stammspieler, Chancenwucher. Am Ende geht's um zwei Zahlen, Tore und Gegentore. Und die schmücken die Bayern eben nicht. Kompany hatte in dieser Saison bereits gegengesteuert. Den gnadenlosen Hurrafußball der ersten Spiele hat er nuanciert und die beiden Innenverteidiger etwas tiefer gezogen. Das aggressive und extrem hohe Gegenpressing ist dadurch oft besser abgesichert. Mit Joao Palhinha fand zudem ein (nun verletzter) Neuzugang Einzug ins Team, das machte die Münchner stabiler. Sie waren nicht mehr so arg anfällig gegen das einfache Konterspiel des Gegners. Auf die Spitze getrieben hatte das zuvor der FC Barcelona. Der Stachel im Fleisch des FC Bayern saß tief.

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Bis zum Duell in Dortmund blieben die Münchner dann eine kleine Ewigkeit ohne Gegentor. Nun kassierten sie jeweils eins. Die Schlüsselszenen lagen dabei wieder im gegnerischen Konterspiel, wieder auf Top-Niveau. Gegen den BVB brach Jamie Gittens nach einer Finte durch, gegen Leverkusen rammte Neuer Gegenspieler Jeremie Frimpong außerhalb des Strafraums um. Es ist die immer gleiche Erzählung, die große Schwachstelle im Kompany-Spiel. Denn Topgegner, daher auch die Topspiel-Krise, nutzen diese radikal aus. Bei Bayer war die erste Rote Karte in Neuers Karriere sogar Teil des Matchplans. Leverkusens Innenverteidiger Jonathan Tah verriet der "Süddeutschen Zeitung", dass die Situation geplant gewesen sei, "das haben wir vorgehabt", sagte er. Denn Neuer, das erklärte der Torwart noch selbst der ARD, "stehe eigentlich die ganze Zeit hoch". Dass "Manu, der Libero" nun nicht mehr sein Timing von früher hat, war Teil der Kalkulationen.

Und so haben die Bayern die Debatte über die großen Spiele an den Hacken. Diese versuchen sie indes direkt in eine andere Richtung zu moderieren: Präsident Herbert Hainer rief die nächsten Ziele aus: "Wir konzentrieren uns jetzt auf die Meisterschaft und die Champions League. Da haben wir genug zu tun." Gerade in Europa wolle man "so weit kommen wie möglich". Das erneute Finale dahoam am 31. Mai lockt nämlich. Ein großes Ziel, ein großes Spiel. Für die alten Helden, die danach vielleicht scheidenden Neuer und Thomas Müller, für den Verein. Bis dahin braucht es aber vor allem eins: große Siege.

Quelle: ntv.de, tno

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