Der Bundesliga-Check: Hoffenheim Nagelsmann macht den Idiotentest
11.08.2016, 14:41 Uhr
Julian Nagelsmann steht mit der TSG Hoffenheim vor einer richtungsweisenden Saison.
(Foto: imago/Ulmer)
Die Rolle des Feindbildes Nummer eins in der Bundesliga ist weg, Kevin Volland auch – als Attraktion bleibt nur der Trainer. Hoffenheim geht in der neuen Saison auf Identitätssuche.
Julian Nagelsmann kann darüber lachen, wenn Leute ihn wegen seines Alters aufziehen. Zum 29. Geburtstag schenkten Fans dem Hoffenheimer Coach eine Packung Fruchtgummi-Schnuller und bekamen ein Lächeln zurück. Als der jüngste Coach der Bundesliga im Februar sein Amt beim designierten Absteiger antrat, war "Bubi-Trainer" noch das Harmloseste, was über ihn geschrieben wurde. Eigentlich sollte er in der Zweiten Liga den Neuaufbau anleiten, doch Huub Stevens' Herzprobleme änderten den Plan. Und Nagelsmann? Ließ die Bubi-Schreiber alt aussehen, rettete den Verein - und darf den Neuaufbau in der Bundesliga in Angriff nehmen.
Was gibt's Neues?
Mit Kevin Volland und Tobias Strobl haben zwei der wichtigsten Spieler den Verein verlassen, für Volland kassierte die TSG immerhin satte 20 Millionen Euro aus Leverkusen. Die Hälfte der Summe überwies Sportdirektor Alexander Rosen für die feste Verpflichtung von Stürmer Andrej Kramaric nach Leicester, der neue Knipser kam dagegen ablösefrei: Sandro Wagner, der in Darmstadt sein persönliches Märchen vom hässlichen Entlein zu einem guten Ende brachte. Generell hat Hoffenheim in die Breite und in die Höhe investiert: Lukas Rupp, Kevin Vogt, Marco Terrazzino und Kerem Demirbay vergrößern den Konkurrenzkampf im Mittelfeld; der 1,94-Meter-Mann Wagner soll als Wandspieler agieren, der ein Zentimeter kleinere Benjamin Hübner (kommt vom FCI) in der Innenverteidigung die Lufthoheit sichern. Die derzeit 28 Feldspieler will Rosen noch auf 24 reduzieren – auf der Streichliste stehen Eduardo Vargas, Tarik Elyounoussi und Jiloan Hamad. An einen Wechsel denkt wohl auch Pirmin Schwegler, Nagelsmann hat ihm die Kapitänsbinde abgenommen und an Eugen Polanski übergeben.
Auf wen kommt es an?
Sehr gute 1,64 Punkte im Schnitt hat Julian Nagelsmann auf seiner 14-Spiele-Rettungsmission in der vergangenen Saison geholt. Hochgerechnet auf eine ganze Saison wären das 56 Punkte, Champions-League-Territorium. Aber langsam, liebe Sinsheimer Ultras, erst einmal muss der 29-Jährige den Erfolg bestätigen, oder um es mit seinen Worten zu sagen: den Idiotentest bestehen. Dem "Westen" sagte Nagelsmann vor einigen Wochen: "Wenn du fachlich top, aber ein Idiot bist, wirst du vielleicht nicht absteigen, aber richtig erfolgreich kannst du nur sein, wenn du ein guter Typ bist und ein gutes Verhältnis zur Mannschaft hast." Fachlich top - das trifft auf Nagelsmann sicher zu. Seinen Trainerschein absolvierte er mit einem Notenschnitt von 1,3. Nicht absteigen - das hat er geschafft. Richtiger Erfolg - den muss er noch erreichen, definiert hat er ihn bereits: Offensiven, begeisternden Fußball spielen. Dafür will er das Team flexibler ausrichten, nicht nur reagieren und kontern, sondern je nach Gegner und Spielsituation auch selber das Spiel machen. Auch deshalb hat Rosen seinem Coach einen sehr breiten Kader bereitgestellt, es liegt an Nagelsmann, eine feste Formation zu finden – oder die Spieler an ständige Rotation zwischen Spielfeld, Bank und sogar Tribüne zu gewöhnen.
Was fehlt?
Dietmar Hopp muss sich dieser Tage vorkommen wie der Bösewicht Gru aus "Ich, einfach unverbesserlich": Es ist ein neuer Superschurke aufgetaucht, und er ist um Längen fieser und abscheulicher. Red Bull Leipzig wird sich nicht aus dem Stand zum Bayern-Jäger katapultieren, wohl aber zum größten Hassobjekt der Liga. Welche Rolle bleibt Hopp und der TSG, wenn sie keine Graue Maus sein wollen? Im Film findet Gru erst mit einer Wendung zum Guten aus seiner Identitätskrise hinaus, vielleicht schaut sich Dietmar Hopp diesen Weg noch einmal genau an: Denn unter Nagelsmann könnte die TSG zum Trendsetter werden, mit einem modernen Spielsystem und aufregenden, jungen Spielern. Das waren sie schon einmal, noch unter Ralf Rangnick, damals aber noch mit dem Ruch des unerwünschten Emporkömmlings. Nun sind sie nur noch ein Team unter vielen. Eine schöne Chance.
Wie lautet das Saisonziel?
Wofür stehen die Hoffenheimer eigentlich? Und wo wollen sie hin? Das war in den letzten Jahren stets die große Frage. Die verkorkste Vorsaison macht die Antwort leichter: Bloß nicht wieder in den Abstiegsstrudel. Eine "sorgenfreie Saison" wünscht sich stellvertretend Trainer Nagelsmann. Das übergeordnete Thema der Saison lautet: Identitätssuche. Oder in den Worten von Julian Nagelsmann: "Wir wollen unser Profil schärfen."
Die n-tv.de-Prognose
Mit Superstreber Nagelsmann und einem variablem Kader könnten die Hoffenheimer tatsächlich wieder zu einem der interessanteren Teams der Liga werden - wenn der junge Coach es schafft, den großen Konkurrenzkampf zu moderieren. Für den Abstiegskampf scheint die Truppe zu stark besetzt, für Platz 13 bis 10 sollte es allemal reichen.
Quelle: ntv.de