Knallhart kalkulierter Rücktritt Niemand stürzt König Jogi!
09.03.2021, 15:27 Uhr
Löw entscheidet selbst.
(Foto: picture alliance/dpa)
Das Schicksal von Joachim Löw legt Joachim Löw in seine eigenen Hände. Nach der EM im Sommer ist Schluss für den Bundestrainer. Die Gründe dafür sind unklar, und weil das so ist, wirkt der nun gewählte Zeitpunkt der Verkündung reichlich eigenartig.
Die Ewigkeit hat manchmal eben doch eine zeitliche Befristung. Beim Deutschen Fußball-Bund endet die Ewigkeit nach 17 Jahren. So lange wird Joachim Löw in diesem Sommer Trainer des DFB-Teams gewesen sein. Erst zwei Jahre als Assistent, dann 15 Jahre als Chef. Und wird irgendwann einmal mit zeitlichem und emotionalem Abstand auf diese ewige Ära zurückgeschaut, es wird vermutlich ein sehr wohlwollender Blick werden. Denn Löw ist einer von vier deutschen Weltmeistertrainern, das macht ihn selbstverständlich zur Legende. Er hat der Mannschaft, die Anfang der 2000er-Jahre national und international belächelt wurde, die Würde zurückgegeben. Er hat sie bisweilen sogar zu einer Attraktion gemacht.
Dieser wohlwollende Blick auf die Ära Löw ist allerdings seit Jahren deutlich verklärt. Denn Zuneigung für den Bundestrainer spüren nur noch sehr wenige Menschen. In den meisten von sehr vielen Umfragen fanden sich zuletzt kaum noch zehn Prozent, die mit der Arbeit des 61-Jährigen zufrieden waren. Zu viel war in der Beziehung zwischen den Sofa-Bundestrainern und dem offiziellen Amtsinhaber vorgefallen: die vergeigte WM 2018 in Russland, absurde Aufarbeitungen von Misserfolgen, die überraschende Ausbootung der damals schwächelnden WM-Helden Thomas Müller, Jérôme Boateng sowie Mats Hummels und schließlich noch eine unangenehme Überheblichkeit im Umgang mit Kritik. Der Bundestrainer bin ich!
Es ist eine Entfremdung zwischen Löw und der Öffentlichkeit, die einen sehr langen Anlauf genommen hat. Je größer die Kritik wurde, desto vehementer wurde Löw. Nur sein Weg, der richtige. Von erkennbaren, guten Entwicklungen und größeren Erfolgen unterfüttert wurde das nicht, bloß von Worten, von Beschwichtigungen. Der beschworene "Umbruch" wurde so zum Synonym des Scheiterns. Des Scheiterns von Löw. Der "Umbruch" wurde zur Schwachstelle in der Löw'schen Trutzburg. Allerlei Geschosse wurden von allen Seiten in Stellung gebracht, um die Nationalmannschafts-Festung zu erobern, um König "Jogi" zu stürzen. Das mündete in detaillierten Angriffsplänen über die Dreier-, Vierer- und Fünferketten. Löw hatte die Hoheit über die Diskussionen längst verloren. Auch, weil er nicht lieferte. Oder nicht mehr liefern konnte.
Die Diskussion ist müßig
Im Dezember holte Löw dann zur überraschenden Attacke aus. Statt über den Zustand seiner Truppe zu referieren, die sich beim 0:6 in Spanien drei Wochen zuvor aufs Heftigste blamiert hatte, zündete er eine bemerkenswerte Wutkerze. Es ging plötzlich um persönliche Enttäuschungen (mit "Explosionsgefahr") und um Indiskretionen beim Verband. So war kurz bevor berichtet worden, dass DFB-Chef Fritz Keller Löw um einen Rücktritt nach der EM gebeten haben soll. Drei Anläufe soll der Präsident unternommen habe. Löw kämpfte sich Tage später mit seiner Wutkerze die Hoheit im Amt zurück. So wie es ihm stets wichtig war. Ohne allerdings Pläne vorzustellen, wie es wieder besser werden könnte. Wie sich Fußball und Atmosphäre wieder zum Guten wenden könnten. Wie Deutschland sich mit dem DFB-Team versöhnen könnte. Lediglich ein Bekenntnis zum eigenen Weg gab's. Wieder einmal. Und es lief bis heute noch einige Male in Dauerschleife durch.
Nun, am heutigen 9. März 2021, bekommt Keller seinen Wunsch nachträglich doch noch erfüllt. Löw geht nach der EM. Warum genau er diesen Entschluss mit so viel Verspätung getroffen hat, das ist (noch) nicht klar. War's ein Eingeständnis von Rat- und Perspektivlosigkeit, von Abnutzungserscheinungen? War's ein Eingeständnis von mangelnder Motivation, von Amtsmüdigkeit? Nun, solange die Gründe nicht bekannt sind, wirkt der Entschluss vor allem eines: egoistisch. Löw steuert sein Schicksal selbst. Niemand anderes. So war es 17 Jahre lang. So soll es bleiben. Und so rettet er sein Erbe. Denn keine Entscheidung, die er in den wenigen Monaten bis zu seinem Rücktritt noch trifft, wird mehr zur nationalen Angelegenheit. Weder der von ihm selbst gepflasterte Rückkehr-Pfad für Müller, Hummels und Boateng, noch ein Scheitern bei der EM. Löw geht, alle Diskussionen müßig.
Und selbst wenn ihm im Sommer noch gelingt, was ihm niemand zutraut, ein (erster und einziger) EM-Triumph, dann bleibt seine Entscheidung richtig. Ganz egal, warum er sie getroffen hat. Immerhin würde sich der Blick auf ihn aber langsam wieder klären.
Quelle: ntv.de