Fußball

Andrich packt das Monster aus Ohne Kroos spielt das DFB-Team plötzlich Groß-artig

Julian Nagelsmann war sehr angetan von seinem DFB-Team.

Julian Nagelsmann war sehr angetan von seinem DFB-Team.

(Foto: REUTERS)

Na klar, die Laune war bestens bei der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Die neue Mission, Weltmeister 2026 werden, mit einem 5:0-Sieg gegen Ungarn zu beginnen, das ist mehr als ordentlich. Das fand auch der Bundestrainer, aber er übte auch Kritik.

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ging auf eine lange Ehrenrunde. Und sie ließ sich Zeit. Es war ja auch warm in Düsseldorf und die Dusche konnte warten. So schlenderten sie von einer Tribüne zur nächsten, hatten reichlich Spaß dabei und genossen den Applaus der Fans, die einfach nicht gehen wollten. Sie hatten, so sangen sie ja, so etwas Schönes "lange nicht gesehen". Das mag nicht ganz stimmen, schließlich ist die EM im eigenen Land ja gerade einmal ein paar Wochen her und da waren die Anhänger ja tüchtig mitgerissen worden.

Aber eine Sache stimmte tatsächlich. So hoch wie nun gegen Ungarn, zum Auftakt der Nations League, hatte das DFB-Team unter der Regie von Julian Nagelsmann noch nie gewonnen, 5:0 stand es am Ende. Und es hätte noch ein bisschen deutlicher ausfallen können. So viele Topchancen blieben noch ungenutzt. Kai Havertz etwa knallte den Ball zweimal an die Latte. Er und seine Kollegen nahmen in anderen Szenen nicht exakt Maß. Egal, konnte man verschmerzen. Zumindest wenn man Fan dieser neuen Mannschaft war, die so viel Lust weckte.

Deutschland - Ungarn 5:0 (1:0)

Tore: 1:0 Füllkrug (27.), 2:0 Musiala (58.), 3:0 Wirtz (66.), 4:0 Pavlovic (77.), 5:0 Havertz (81., Foulelfmeter)

Deutschland: ter Stegen - Kimmich, Tah, Schlotterbeck, ab 69. Koch, Raum, ab 69. 20 Henrichs - Andrich, ab 82. 19 Stiller, Groß, ab 60. Pavlovic - Wirtz, Havertz, Musiala - Füllkrug, ab 60. Beier. - Trainer: Nagelsmann

Ungarn: Gulacsi - Balogh, Orban, Dardai - Nego, ab 46. Bolla, Schäfer, Nagy, ab 83. Nikitscher, Kerkez, ab 66. Nagy - Sallai, ab 75. Csoboth, Szoboszlai - Varga, ab 66. Adam. - Trainer: Rossi

Schiedsrichter: Clement Turpin (Frankreich)

Gelbe Karten: - Nego

Der Bundestrainer war zwar auch mitgerissen von der Spielfreude, aber er hat eine große Mission. Er will Weltmeister werden. Diese Aufgabe geht der Ehrgeizling mit voller Konzentration an. Und bevor sich wieder einmal der Schlendrian einschleicht, den man ja so schwer wieder ausgetrieben bekommt, spricht er die Dinge lieber direkt an: "Am Anfang war es ein bisschen zu schlampig, zu wenig Kontrolle im Passspiel." 20 Minuten vergingen, in denen Ungarn überlegen war, aber nie brandgefährlich wurde. Dann organisierte sich das DFB-Team einen fast perfekten Konter, den Niclas Füllkrug nicht krönen konnte. Das Spiel war aber gedreht, ohne dass sich das Ergebnis zu diesem Zeitpunkt oder aber zur Halbzeit ausdrückte, da stand es "nur" 1:0.

Überraschende Erkenntnisse aus dem Maschinenraum

Auch das erkannte Nagelsmann. Auch das sprach er an: "Dann waren wir sehr dominant, wir müssen aber höher führen in der ersten Halbzeit. Das war nicht dramatisch, weil wir in der zweiten nachgelegt haben. Da müssen wir aber ein bisschen mehr Killerinstinkt entwickeln. Aber es war schon viel Spielfreude, vieles war sehr gut." Jamal Musiala natürlich, der an vier Toren direkt beteiligt war. Und Florian Wirtz, dessen Instinkt für das schöne und kluge Spiel mitreißende Moment schafft. Aber besonders bemerkenswert war ja, wie das deutsche Team den Eingriff im sensibelsten Segment verkraftete: im Maschinenraum.

Den hatte der erfolgreichste Fußballer, den das Land je hervorgebracht hatte, im Sommer verlassen. Toni Kroos hatte bei der EM ein letztes Mal Regie geführt. Und nachhaltig in Erinnerung gebracht, wie gut er das doch kann. Umso größer war die Sorge, dass es nun im Zentrum hakt und ruckelt. Klar, Kettenhund Robert Andrich ist noch da. Aber der war ja zuletzt vor allem der Bodyguard von Kroos. Andrich aber behielt seinen Platz im Team und bekam mit Pascal Groß einen neuen Nebenmann. Der ist schon 33 Jahre alt, seit diesem Sommer zurück in der Bundesliga, und erlebt jetzt die vielleicht beste Zeit seiner Karriere, die so ungewöhnlich gelaufen ist. 2017 ging er nach England, wechselte zu Brighton Hove & Albion. Zuvor war er unter dem Radar durch Hoffenheim, durch Karlsruhe und Ingolstadt geflogen. Doch in England reifte er, veränderte sein Spiel. Wurde zu einem Strategen.

Aber nicht zu einem neuen Kroos. Diesen Vergleich scheut er, weil er ihn nur verlieren kann. Groß ist Groß, hat seine eigene Art und das möchte er zeigen. In all seiner Bescheidenheit. Er hat nicht die Ausstrahlung seines Vorgängers. Woher auch? Der hatte sich bei Real Madrid eine Aura der Unerschütterlichkeit antrainiert. Wo Real ist, ist Erfolg. Das galt über ein Jahrzehnt. Und Kroos war der Chef. Wie groß kann ein Erbe sein? Riesig. Wie sehr kann es lähmen? Wenig, überraschend wenig. Das ist eine der großen Erkenntnisse dieses Abends von Düsseldorf, der von den Magiern Musiala und Wirtz sowie dem klugen Spielmacher Kai Havertz zu einem berauschenden gemacht worden war.

Ein bisschen Kritik an Andrich

Aber diese Künstler brauchen Leute wie Andrich und nun Groß. Andrich, der dazwischenhaut, der das Monster auspackt, wenn es sein muss. Wie in der 57. Minute gegen Bendeguz Bolla. "Ich komme für den einen Moment einen Tick zu spät und war froh, dass ich nicht zu doll am Trikot ziehe, dass es ein Elfmeter wird …", gab Andrich im ZDF zu. Und Nagelsmann kritisierte: "Da musste er grätschen, weil er vorher den Gegner hat laufen lassen." Er habe, so Andrich weiter, "instinktiv einen langen Schritt gemacht, das war sehr, sehr wichtig, sonst hätten wir den Salat gehabt mit dem 1:1. So eine Aktion tut der ganzen Mannschaft gut."

Die hatte sich bis dahin nach einem trägen Start in einen kleinen Furor gespielt. Auch, weil Groß von Minute zu Minute chefiger spielte und seinen Aktionsradius ausdehnte. Er ließ sich zwischen die Innenverteidiger Jonathan Tah und Nico Schlotterbeck fallen, holte sich die Bälle tief ab und verteilte sie mal kurz und mal lang. Das Team spielt nun nach seiner Art. Und er verdiente sich jede Menge Schulterklopfer seiner Kollegen.

Nagelsmann ist wegen Pavlovic aus dem Häuschen

Musiala schwärmte, wie gut man mit dem "neuen" Mann "zocken" könne. Und vom Bundestrainer hörte er: "Er macht auch Dinge ähnlich wie Toni. Er will den Ball in den Fuß haben, er hat den Blick für die Tiefe. Er hat es gut gemacht." Doch der zum Ritter geschlagene wollte von den Hymnen nichts hören. "Ich glaube schon an meine Stärken, auch wenn ich keine großen Töne spucke", sagte der 33-Jährige nach seinem erst neunten Länderspiel. Es war mit Abstand sein bestes und prägendstes. Und das war auch durchaus nötig, denn seine eingewechselten Herausforderer scharren bereits ungeduldig und werden vom Bundestrainer verbal hofiert. "Pavlo (Anmerk. d. Red.: Aleksandar Pavlovic) hat ein sehr gutes Spiel gemacht. Er ist ein Spieler mit viel Mut und guten Ideen. Er verkörpert viel von dem, was ich auf der Sechs sehen will", schwärmte der Bundestrainer.

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Aber Groß ist erstmal die Gegenwart in der Schaltstelle der Nationalmannschaft. Pavlovic und auch der später eingewechselte Stuttgarter Debütant Angelo Stiller verkörpern die verheißungsvolle Zukunft. "Sie haben die Bälle sofort gewollt und versucht, was zu kreieren -ohne Angst", urteilte der begeisterte Nagelsmann.

Das DFB-Team nahm sich selbst und den Fans die Sorgen. Eine Ära ohne Kroos, ohne Thomas Müller, ohne Ilkay Gündogan und Manuel Neuer - geht das? Die erste Antwort: Es geht. Aber deren Belastbarkeit steht noch aus, die Ungarn waren einfach zu schwach, um als echter Stresstest für das neue Konstrukt durchzugehen. Nagelsmann war's erstmal egal: "Man hat die Lust am Siegen gespürt. Diese Lust, dieser Fleiß, das wollen wir sehen. Wir haben dadurch direkt wieder eine Verbindung zu den Fans hergestellt. Das war wichtig." Und schön.

Quelle: ntv.de

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