Das Problem mit der offenen Tür Oje, oh weh, der BVB
05.11.2023, 06:22 Uhr
Schwarzgelbes Eieiei.
(Foto: IMAGO/ActionPictures)
Borussia Dortmund verabschiedet sich vorerst aus dem Meisterschaftskampf der Fußball-Bundesliga. Nicht nur in der Tabelle werden die Schwarzgelben vom FC Bayern abgehängt, sondern auch auf dem Rasen. Das Gigantenduell der Bundesliga endet als einseitige Auferstehungsgeschichte.
Welchen Plan auch immer Edin Terzić gehabt haben mag, er war nach vier, spätestens nach neun Minuten hinfällig, vom FC Bayern in der Luft zerfetzt. Abwehrspieler Dayot Upamecano und Starstürmer Harry Kane hatten die Münchner 2:0 in Führung gebracht und eigentlich war jedem klar: Das war's für den BVB. Klar, es waren noch 81 Minuten zu spielen plus Nachspielzeit. Aber der Rekordmeister war so wütend angereist und auf den Platz des alten Westfalenstadions gekommen, dass die Dortmunder ihre Schockstarre kaum mehr aus den Knochen geschüttelt bekamen. Donyell Malen ließ unmittelbar vor der Pause die Riesenchance ungenutzt, die Borussia zurück in dieses Spiel zu zerren, später vereitelte Manuel Neuer noch eine Möglichkeit von Marco Reus.
Mehr aber war an diesem Abend nicht. Wieder einmal nicht. Mit 0:4 (0.2) gingen die Dortmunder unter und verabschieden sich damit vorerst aus dem Titelkampf. Ebenso wie RB Leipzig, das am Nachmittag mit 0:2 gegen das bisherige Schlusslicht FSV Mainz 05 gepatzt hatte. An der Spitze entwickelt sich so ein Zweikampf zwischen eben dem FC Bayern und den weiterhin furiosen Fußballern von Bayer 04 Leverkusen. Wie vor sieben Monaten, als die Münchner mit einem 4:2 gegen Dortmund nach der überraschenden Trennung von Julian Nagelsmann eine starke Reaktion gezeigt hatten, war es auch diesmal wieder ein immens wichtiger und wuchtiger Sieg.
Dortmund: Kobel - Wolf (46. Süle), Hummels, Schlotterbeck, Ryerson - Sabitzer, Özcan (57. Nmecha) - Reus, Brandt (66. Moukoko), Malen (57. Adeyemi) - Füllkrug (79. Haller). - Trainer: Terzic
München: Neuer - Mazraoui, Upamecano (60. Pavlovic), Kim, Davies - Laimer, Goretzka - Coman, Musiala (89. Choupo-Moting), Sane (89. Müller) - Kane. - Trainer: Tuchel
Schiedsrichter: Deniz Aytekin
Tore: 0:1 Upamecano (4.), 0:2 Kane (9.), 0:3 Kane (72.), 0:4 Kane (90.+3)
Zuschauer: 81.365 (ausverkauft)
Beste Spieler: Kobel, Reus - Laimer, Goretzka, Kane
Gelbe Karten: Hummels (3), Ryerson, Sabitzer - Sane
Und niemals waren die Schwarzgelben auch nur einen Hauch in die Nähe des furiosen 2:2 vor fast einem Jahr, als Anthony Modeste das Stadion in der 95. Minute komplett ausflippen ließ, als der mittlerweile vom Hof gefegte Ex-Boss Oliver Kahn vor Schreck vom Stuhl gerutscht war. Geschichte. Geschichte, die sich nicht wiederholt. "Besonders gegen uns rufen die Bayern meistens ihre beste Saisonleistung ab. Für sie ist es dann ein Spiel, in dem es um mehr geht als nur um drei Punkte", klagte Terzic mit Blick auf die Schreckensbilanz mit elf Pflichtspielen ohne Sieg gegen den Champion.
Wieder Angst vor der eigenen Courage
Dabei hatte an diesem Abend alles anders werden sollen. Die Münchner waren angeschlagen angereist, hatten sich unter der Woche im DFB-Pokal beim Drittligisten 1. FC Saarbrücken tüchtig blamiert und waren, so befand Sky-Experte Dietmar Hamann, so leicht zu schlagen wie lange nicht mehr. Die Tür für den BVB sei offen, urteilte der Mann, der einst beim FC Bayern groß geworden war und dort immer mehr zur Persona non grata wird. Bereits in den vergangenen Wochen hatte er sich ein bemerkenswertes Fernduell mit Bayern-Coach Thomas Tuchel geliefert, welches der Münchner Übungsleiter am Samstagabend eskalieren ließ (wie Sie hier nachlesen können).
Doch die Sache mit der offenen Tür wächst sich bei der Borussia zum Problem aus. Wenn die Dinge einfacher erscheinen, als sie in Wahrheit sind, bekommt der BVB Panik. In größer Dramatik erlebt am 27. Mai, als ihnen die Meisterschale klappernd aus den Händen gefallen war. Und in deutlich niedriger dosierter Form gegen den FC Bayern, der so furios aufspielte, als hätte es weder die Pokal-Blamage gegeben, noch die Diskussionen über den Zustand der Mannschaft, der in Expertenkreisen alles andere als gefestigt galt. Wo war das Selbstvertrauen hin, das sich die Schwarzgelben nach schwachen Leistungen zum Saisonstart peu à peu erarbeitet hatten? Wo war das abgeklärte, erwachsene und robuste Spiel, das die Dortmunder zuletzt gezeigt hatten? Aufgesaugt von den gnadenlosen Bayern, die an diesem Abend alles wieder für sich herrichten wollten, für ihr Selbstverständnis.
Und so ist auf zwei Sachen im deutschen Fußball Verlass: Die Münchner sind immer dann am gefährlichsten, wenn sie angeschlagen und angestachelt sind. Und der BVB bekommt in großen Spielen Angst vor der eigenen Courage. "Die Bayern waren aggressiver in den Zweikämpfen, haben viele wichtige Zweikämpfe gewonnen und waren gefährlich in den Kontern", befand Torwart Gregor Kobel, der zu den besten seines Teams gehörte und noch einige Chancen der Gäste spektakulär entschärft hatte. "Sie hatten oftmals viele große Räume gehabt, sie waren gefährlicher und kamen auch besser aus der Kabine."
Wer nach dem Neun-Minuten-Debakel zum Start auf eine wütende Reaktion der Gastgeber in der zweiten Hälfte gehofft hatte, der bekam die Naivität um die Ohren gepfeffert. Auch mit dem eingewechselten Niklas Süle wurde aus dem Torso kein stabiles Konstrukt. Die BVB-Defensive verschenkte weiter großzügig Großchancen. Immerhin, der Wille stimmte, die Mittel nicht. Julian Brandt machte aus seiner Enttäuschung keinen Hehl: "Wenn du gegen die Bayern selbst Ballbesitz und Chancen kreieren möchtest, brauchst du ein bisschen was in der Hose und musst auch mal Mut haben."
Machtlos gegen Tempo und Ballsicherheit
Der BVB schaffte es eigentlich kaum bis gar nicht auf Augenhöhe. Vielleicht auch, weil Terzić mit der Aufstellung ziemlich daneben gelegen hatte. Rechtsverteidiger Marius Wolf war ein Totalausfall. Seine schwache Leistung gipfelte in Pfiffen der eigenen Fans, als er Leroy Sané nur beim Dribbeln zuschaute, ihn aber nicht störte. Auch Salih Özcan bekam als angedachter Stabilisator keinen Zugriff. Die Mitte war Münchner Hoheitsgebiet, vor allem das von Goretzka, der angeschlagen mit Handmanschette spielte.
Dem unglaublichen Tempo der Gäste war kein Dortmunder gewachsen. Brutal offengelegt beim 2:0, beim perfekten Konter. Im Laufduell war der 27 Jahre alte Sané dem sieben Jahre älteren Mats Hummels vor den Augen von Bundestrainer Nagelsmann davon gesprintet. Überhaupt hatte sich der Trainer mehr für Technik als für Tempo entschieden, auch auf den offensiven Bahnen. Das war allerdings für die Bayern leicht zu verteidigen. Kreative Ideen gab es nicht. Vielleicht hätte Felix Nmecha im Zentrum geholfen, doch der immer besser in Form gekommene Neuzugang kam erst (zu) spät von der Bank.
Und im Sturm? Da war gar nichts. Zumindest nicht auf dem Rasen, auf dem Papier war Niclas Füllkrug vermerkt. Zu sehen war nichts. Auch das ist ein Problem der Dortmunder: die Abwesenheit von einem zuverlässigen Mann im Sturm. Torjäger Sébastien Haller ist nach seiner überstandenen Krebserkrankung und einer herausragenden Rückrunde in ein Loch gefallen, Ersatzmann Füllkrug, letztes Jahr Torschützenkönig im Trikot von Werder Bremen, kommt noch nicht richtig an. Und Youssoufa Moukoko hat derzeit einfach einen schweren Stand bei Terzić.
Dem setzte die Pleite mächtig zu: "All das, was man sich vorgenommen hat für das Spiel, hat vor allem in der Startphase nicht stattgefunden - und dann liegt man nach acht Minuten 0:2 hinten. Wir haben dann versucht, Einfluss auf das Spiel zu nehmen, konnten aber weder mit dem Tempo noch mit der Ballsicherheit des Gegners umgehen." Zweimal ließen sich die Borussen noch auskontern und von Kane bestrafen. Der Plan? Blitzzerfetzt.
Quelle: ntv.de