Die wilde Rache der Wut-Bayern Als würden Hasen gegen Schnecken spielen
04.11.2023, 21:01 Uhr
Leroy Sané war einer der Anführer der Bayern-Offensive.
(Foto: dpa)
Was für ein Statement: Nach der Pokal-Blamage in Saarbrücken meldet sich der FC Bayern beeindruckend zurück. Und das ausgerechnet gegen Borussia Dortmund. Die Tempo-Offensive der Münchner rauscht gnadenlos über den schwachen BVB hinweg.
Was ist im alten Westfalenstadion passiert?
Die Tür war sperrangelweit offen, befand Experte Dietmar Hamann in den vergangenen Tagen, der BVB müsse im Topspiel der Fußball-Bundesliga gegen den FC Bayern nur noch durchschreiten. Doch so einfach ist das eben nicht. Borussia Dortmund hat eine ausgeprägte Panik vor geöffneten Türen. Ende Mai war sie so groß, dass die erste Meisterschaft seit 2012 noch vergeigt worden war. Und an diesem Samstagabend war es kaum besser. Klappernd traten die Schwarzgelben dem angeknockten Gegner gegenüber und der schlug sofort zu.
Ohne jede Deckung standen die Dortmunder in der Arena und die Wut-Bayern trommelten wie die Wilden drauflos. Als wäre nichts gewesen, fand der FC Bayern sein Selbstverständnis zurück, die beste Mannschaft des Landes zu sein. Am Ende stand ein höchst verdienter 4:0 (2:0)-Sieg. Puzzlekönig Thomas Tuchel, Ex-Trainer des BVB und amtierender Coach des FC Bayern, fischte aus seinem Mini-Setzkasten, sprich verletzungsbedingt und von Sperren tüchtig gebeutelter Klein-Kader, genau diejenigen heraus, die die Verhältnisse im deutschen Fußball zurechtrückten. Zumindest in diesem Klassiker. Denn da ist ja noch Bayer Leverkusen, die auch nach diesem 10. Spieltag an der Tabellenspitze bleiben, zwei Punkte vor München.
Und wie ist es passiert?
Tuchel überraschte mit seiner Aufstellung. Zumindest ein bisschen. Leon Goretzka und Dayot Upamecano, die beide angeschlagen waren, begannen und waren maßgeblich am Power-Start beteiligt. Der Innenverteidiger traf nach vier Minuten per Kopf nach einer Ecke und half hinten mit, den Laden dichtzuhalten. Goretzka wurde in Abwesenheit von Antreiber Joshua Kimmich zum Chef. Und füllte die Rolle chefig aus. Die Mannschaft spielte mit einer Aggressivität, die ihr der Trainer an der Außenlinie vorlebte. Kurz vor der Pause sah er die Gelbe Karte, weil er fortwährend gemeckert hatte.
Thomas Müller, der Leader, der seine flüchtenden Mitspieler nach dem Pokal-Debakel beim 1. FC Saarbrücken öffentlich in den Senkel gestellt hatte, saß dagegen mal wieder nur auf der Bank. Über die Rolle des Edeljokers war in den vergangenen Wochen immer häufiger diskutiert worden. Auch Tuchel bekannte, dass es immer schwerer werde, diese Situation zu moderieren. In der 89. Minute kam er und wurde gefeiert. Ein Dank der Fans für seinen Starrüffel. Aber wenn es eben so läuft wie an diesem Samstagabend, dann hat Tuchel alle Argumente auf seiner Seite. Die Offensive um die seit Wochen formstarken Leroy Sané, Jamal Musiala, Kingsley Coman und der phänomenale Harry Kane mit einem Hattrick und seinen Ligatreffern 13 bis 15 erdrückte den BVB.
Das war ICE gegen S-Bahn. Das war Concorde gegen Segelflieger. Das war Formel-1-Bolide gegen Smart. Das war einfach zu schnell für die Gastgeber, die dauerhaft nach vorne gesungen wurden, aber am Ende wieder negative Gefühle verarbeiten mussten. Nicht so bitter wie Ende Mai freilich, dafür ist die Saison noch zu lang. Aber es ist und bleibt die ewige Geschichte: Gegen den Giganten aus dem Süden bricht sich der Zwerg aus dem Westen zu oft die Beine.
Teams & Tore
Tore: 0:1 Upamecano (4.), 0:2 Kane (9.), 0:3 Kane (72.), 0:4 Kane (90.+3)
Dortmund: Kobel - Wolf (46. Süle), Hummels, Schlotterbeck, Ryerson - Sabitzer, Özcan (57. Nmecha) - Reus, Brandt (66. Moukoko), Malen (57. Adeyemi) - Füllkrug (79. Haller); Trainer: Terzić
München: Neuer - Mazraoui, Upamecano (60. Pavlovic), Kim, Davies - Laimer, Goretzka - Coman, Musiala (89. Choupo-Moting), Sane (89. Müller) - Kane. - Trainer: Tuchel
Schiedsrichter: Deniz Aytekin (Oberasbach)
Zuschauer: 81.365 (ausverkauft)
Die Tore im Spielfilm
4. Minute, TOOOOOR für den FC Bayern, 1:0 Upamecano: Was für ein Start des Rekordmeister: Nach einer Ecke von Leroy Sané löst sich Dayot Upamecano ganz geschickt von seinen Manndeckern Nico Schlotterbeck und Mats Hummels und köpft locker und lässig aus sechs Metern ein.
9. Minute, TOOOOOR für den FC Bayern, 2:0 Kane: Ojemine BVB! Weil auf der rechten Seite Sané Hummels enteilt, kann der ehemalige Schalker im Sechzehner vor dem herausstürmenden Torwart Gregor Kobel auf Harry Kane querlegen, der vor dem leeren Tor nur einschieben muss. Wut-Tuchels Wut-Bayern überrollen den BVB.
72. Minute, TOOOOOR für den FC Bayern, 3:0 Kane: Zuerst spielen Musiala und Coman im zweiten Drittel einen schönen Doppelpass. Nach einem weiteren feinen Pass von Kingsley Coman vom rechten Flügel taucht Kane frei vor Kobel auf und macht das, was er qua Mega-Ablöse tun soll: ein weiteres Tor erzielen.
93. Minute, TOOOOOR für den FC Bayern, 4:0 Kane: Nach einem katastrophalen Abwehrfehler von Niklas Süle landet der Ball bei Aleksandar Pavlović, der nur noch nach vorne zum Goalgetter chippen muss und sich somit seinen ersten Bundesliga-Assist abholt. Denn Kane bleibt vor Kobel natürlich cool.
Was war gut?
Wow, was für eine erste Halbzeit des FC Bayern. Als wäre nichts gewesen, keine Pokal-Blamage, kein Fan-Ärger, miasanmierte der Rekordmeister ins Westfalenstadion ein und erklärte die elektrisierte Arena nach nicht mal zehn Minuten zum Münchner Land. In Überschallgeschwindigkeit donnerten Leroy Sané, Harry Kane und Co. über den BVB hinweg. In Perfektion zu erleben beim 2:0.
Braucht es im Lehrbuch mal wieder eine Anleitung, wie man einen perfekten Konter spielt, die 9. Minute lieferte eine. Sané legte lässig mit der Hacke ab, der überragende Goretzka büffelte sich und den Ball nach vorne, schickte Sané tief, der hängte Hummels locker ab, schob in die Mitte und drin das Ding. Es war, als würden Hasen gegen Schnecken rennen.
Danach dosierten die Bayern das Tempo, kontrollierten das Spiel. Nicht immer war ihnen das in dieser Saison gelungen. Oft war es die individuelle Klasse, die den Münchnern den Sieg brachte. Dieses Mal war es das Kollektiv, das glänzend agierte und von Goretzka hervorragend angeleitet worden war. Der Nationalspieler, der um seinen Wert beim FC Bayern und der Nationalmannschaft kämpft, hätte beinahe noch ein Traumtor erzielt, doch sein Fallrückzieher (36.) segelte knapp über den Kasten von Kobel. Es war, ohne Wenn und Aber, das beste Spiel der Saison, vielleicht sogar das beste Spiel der Ära Tuchel beim FC Bayern.
Was war nicht gut?
Wie erwachsen hatte Borussia Dortmund in den vergangenen Wochen gespielt? Auf die schwachen Spielen zu Beginn der Saison waren sehr reife Auftritte gefolgt. Der beste vielleicht erst vor anderthalb Wochen, als es in Newcastle einen robusten Erfolg gab (1:0). Aber aus diesem Selbstvertrauen konnten die Schwarzgelben keine Kraft für den Klassiker entwickeln. Zumindest nicht in den ersten 45 Minuten. Zu langsam, zu fahrig, zu ängstlich.
Vor allem Salih Özcan erwischte einen gebrauchten Abend. Der Stabilisator, der er in den vergangenen Spielen war, war er nicht mehr. Fast immer kam er zu spät, fast immer wurde es gefährlich, wenn er überspielt worden war. Auch Marius Wolf hatte auf der rechten Abwehrseite nix entgegenzusetzen, wenn die fixen Bayern-Außen angerauscht kamen. In der 36. Minute wurde er von den eigenen Fans ausgepfiffen, als er Sané einfach machen ließ und den engen Zweikampf verweigerte.
Und Niclas Füllkrug? Stand auf dem Platz, mehr muss man über die Leistung des Nationalstürmers nicht wissen. Trainer Edin Terzic wird sich fragen müssen, warum er formstarke Spieler wie Felix Nmecha oder auch Youssoufa Moukoko nicht von Beginn an aufgeboten hatte.
Alles wieder gut?
Ja, zumindest aus Sicht von Dietmar Hamann. Das Eigengewächs des FC Bayern steht seit Jahren an der Spitze der Chefkritiker und war in den vergangenen Wochen so richtig heiß gelaufen. Tuchel befand, er sei aus dem Ruder gelaufen. Hamann ließ sich davon nicht beeindrucken und nahm den Rekordmeister weiter munter auseinander. Er erkenne keine Entwicklung, erst recht keine Weiterentwicklung. Das nahm der Bayern-Coach zum Anlass, die Vorwürfe einfach umzudrehen. Ein verbales Duell wie eine Seifenoper. Weiter, immer weiter.
Nun aber haute Hamann unmittelbar vor dem Topspiel das Stoppschild in den Rasen. Er moderierte den wochenlangen Schlagabtausch souverän ab: "Ich fand das sehr witzig und amüsant, was er gestern gesagt hat. Das gehört halt dazu. Diese Streit- oder Diskussionskultur ist etwas, was uns immer ausgezeichnet hat und die uns durch die sozialen Medien stückweise verloren geht. Deswegen bin ich der Letzte, der sich da ungerecht behandelt fühlt." Alles wieder gut? Für den Experten ja, für Tuchel offenbar nicht.
"Ich will euch nicht stören, wenn die Experten über uns sprechen", sagte er kurz vor Anpfiff im Gespräch mit Sky-Reporter Patrick Wasserziehr. Der 50-Jährige war zunächst kurz angebunden, forderte: "Gerne nächste Frage." Auf Wasserziehrs Einwand, was ihn denn gestört habe, folgte ein: "Nichts, alles gut." Also doch? Nunja.
Nach dem Spiel ließ die Tuchel abermals eskalieren, wie Sie hier nachlesen können!
Stimmen zum Spiel
Gregor Kobel (Torwart des BVB): "Ich hatte das Gefühl, dass die Bayern einfach aggressiver in den Zweikämpfen waren. Sie waren gefährlicher. Warum? Schwer zu sagen. Das bessere Team hat gewonnen, ganz klar."
Manuel Neuer (Torwart des FC Bayern): "Es war sehr bitter, wie wir unter der Woche Fußball gespielt haben, aber heute haben wir uns von der richtigen Seite gezeigt. Wir haben schnelle Leute in der Offensive, mit denen wir den Dortmundern sehr wehgetan haben."
Quelle: ntv.de