"Heldinnen!" - mit Perspektive? Oranje-Girls feiern, Coach wird kritisch
07.08.2017, 12:40 Uhr
Shanice van de Sanden war eine der Leistungsträgerinnen der niederländischen Europameisterinnen.
(Foto: imago/VI Images)
In einem furiosen EM-Finale ringen die niederländischen Fußball-Frauen Dänemark nieder. Während das Team ausgelassen feiert, nutzt die Trainerin den Triumph zu einem gleichermaßen überraschenden wie leidenschaftlichen Appell an den Verband.
Hollands neue Heldinnen tanzten nach dem spektakulären 4:2 (2:2)-Triumph gegen Dänemark singend durch die Katakomben des alten Twente-Stadions, die EM-Goldmedaillen hüpften an ihren Hälsen, sie genossen den wohlverdienten Schaumwein. Doch während die Fußballerinnen glückselig ihren historischen Turniersieg feierten, stimmte Bondscoach Sabrina Wiegman im Nebenraum bemerkenswert ernste Töne an. "Ich habe noch eine Botschaft", sagte die Erfolgstrainerin am Ende der obligatorischen Pressekonferenz: "Es war ein fantastisches Turnier. Wir haben Rekorde gebrochen. Wir haben den Menschen gezeigt, wer wir sind. So haben wir den Titel gewonnen. Das ist wirklich herausragend. Die Zahl der Mädchen, die Fußball spielen wollen, wächst. Aber nun muss sich etwas in der Organisation ändern."

Bondscoach Sarina Wiegman sagt nach dem Triumph: "Nun muss sich etwas in der Organisation ändern."
(Foto: REUTERS)
Ihr leidenschaftlicher Appell richtete sich an den niederländischen Fußball-Verband KNVB und die Klubs: Es brauche zur besseren Förderung gemischte Teams in jungen Jahren, zudem mehr Trainerinnen. "Damit wir sicherstellen, dass sich die Situation für Mädchen und Frauen im Fußball bessert. Dieses Turnier kann unserer Sportart einen Schub verleihen", betonte Wiegman. Die Euphorie, die der verdiente erste EM-Triumph beim Heim-Turnier geweckt hat, soll sich in einer nachhaltigen Entwicklung niederschlagen. Das hofft Jackie Groenen vom 1. FFC Frankfurt, die mit Johan Cruyffs legendärer 14 ein starkes Turnier spielte: "Ich hoffe, die Mädels sehen, dass es ein Traum ist, hier zu spielen, und fangen mit dem Fußball an."
Die Zahlen belegen jedenfalls das große Interesse der fußballverrückten Nation, die seit dem EM-Triumph der Männer 1988 auf einen großen Erfolg warten musste. Das unterhaltsame Finale gegen Dänemark sahen neben 28.000 Fans im Stadion von Enschede auch über vier Millionen TV-Zuschauer. Bei Twitter jubelten Ikonen wie Ruud Gullit, Marco van Basten feierte einfach gleich in der Kabine mit. Am Tag nach dem Triumph bestimmten dann auch die Jubelbilder die Titelseiten der Zeitungen. "Fenomenaal" (AD), "Heldinnen!" (Tubantia), "Sommermärchen" (De Limburger) und "Ein historischer Sieg!" (De Telegraaf) lauteten die Schlagzeilen.
"Die anderen haben aufgeholt"
"De Volkskrant" urteilte überschwänglich, das Finale sei "ein Werbefilm für den Frauenfußball gewesen". Die Zeitung "Trouw" betonte, der Sieg sei "ein Triumph des Teams" gewesen. Trainerin Wiegman habe "ein Gefühl der Zusammengehörigkeit um die Mannschaft herum geschaffen, das sie früher einmal mit einer Familie verglich". Die Spielerinnen werden unter anderem mit einer eigenen Gedenkmünze geehrt. Die niederländische Münzanstalt teilte mit, es werde eine Sondermünze zu Ehren der "Oranje Löwinnen" geben.
Das Turnier mit dem Viertelfinal-Aus des Rekord-Europameisters Deutschland gegen Dänemark nach zuvor sechs deutschen Triumphen in Serie hat bewiesen, dass die Hierarchie im europäischen Frauenfußball aufgeweicht ist. "Die anderen haben aufgeholt", lautete das nüchterne Fazit von Reinhard Grindel am Sonntag im ZDF. Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) deutete trotz der enttäuschenden Leistungen einen Verbleib von Bundestrainerin Steffi Jones an: "Die Zielrichtung ist klar: Wir wollen gemeinsam mit der Mannschaft und dem Trainerstab wieder erfolgreicher werden."
Und während im erfolgsverwöhnten DFB unter Hochdruck über die Zukunft beraten wird, durften die Oranje-Frauen im Hier und Jetzt weiterfeiern. Am Montagabend stand noch der offizielle Empfang in Utrecht vor mindestens 12.000 Fans im Park Lepelenburg an. Fader Beigeschmack: Eine Grachten-Rundfahrt in Amsterdam wie die der Männer nach dem EM-Triumph vor 29 Jahren sowie nach Platz zwei bei der WM 2010 blieb den Löwinnen verwehrt.
Quelle: ntv.de, tno/sid/dpa