Das RB-Aus im Schnellcheck PSG erinnert an Bayerns Menschlichkeit
19.08.2020, 00:11 Uhr
Zu viel fehlte RB Leipzig, um Paris Saint-Germain gefährlich werden zu können.
(Foto: picture alliance/dpa)
Für RB Leipzig ist der Traum vom Champions-League-Finale ausgeträumt: Der Bundesligist zerschellt an der puren Überlegenheit von Paris Saint-Germain. Das Nobelensemble präsentiert sich bärenstark und als fokussierter Haufen, was der Konkurrenz Sorgen bereitet.
Was ist im Estádio da Luz passiert?
Für nicht wenige fand in Lissabon am Montagabend ein ganz anderes Spiel statt, als "nur" RB Leipzig gegen Paris Saint-Germain. Manche sahen das von den katarischen Scheichs mit vielen, vielen hundert Millionen Euro alimentierte Biotop der globalen Superstars gegen die hochgerüstete Betriebsmannschaft eines Klebebrausekonzerns. Manche haben auch das Duell der hochbegabten, aber bisweilen arg verbissenen, nicht eben volksnahen Detailfetischisten am Seitenrand gesehen. Herzerwärmend klingt beides nicht. Ganz nüchtern betrachtet zog das Paris Saint-Germain von Thomas Tuchel ins Champions-League-Endspiel ein, ziemlich souverän, ziemlich beeindruckend gegen Julian Nagelsmanns RB Leipzig.
All das beiseite geschoben, standen da heute mit Neymar, Kylian Mbappé, Angel di Maria und vielen anderen eine ganze Menge absoluter Ausnahmefußballer auf dem Platz. Das Problem aus Leipziger Sicht: Alle standen heute in der anderen Mannschaft und lieferten gemeinsam eines der besten Spiele unter dem Banner PSG ab. RB dagegen wirkte, als hätte es allen Mut gegen Diego Simeones Fußball-Gang Atlético Madrid aufgebraucht. Und so wird die Frage schnell hypothetisch, ob Nagelsmann die falsche Taktik gewählt hat. "Ich hoffe es nicht", hatte Tuchel vor dem Spiel auf die Frage gesagt, ob es zu einem "Coaches Game" kommen wird. "Wir haben eine starke Truppe mit klasse Einzelspielern und vertrauen darauf." So kam es.
Was die teuren Edelsolisten, unterstützt durch eine ungeheuer disziplinierte, klar strukturierte Begleitkapelle voller hochqualifizierter Spezialkräfte auf den Platz brachten, ist aber auch die Erinnerung: Der FC Bayern München schwebt trotz eines 8:2 gegen den FC Barcelona nicht in außerirdischen Sphären. Und wenn doch: Sie sind dort nicht alleine. "Ich bin sehr erleichtert. Es ist unbeschreiblich, so etwas zu fühlen. Ich war furchtbar angespannt bis zur Nachspielzeit, dann erst habe ich es geglaubt", sagte Tuchel hinterher und sendete gleich noch eine Botschaft in Richtung der Konkurrenz: "Wir haben nicht nur Qualität gezeigt, sondern auch Hunger. Wir werden gerade dafür belohnt. Diese Mannschaft ist echt zusammengewachsen." Gewinnt der FC Bayern gegen Olympique Lyon, kommt es zum Duell zweier außergewöhnlicher, hungriger Mannschaften. Das Spiel könnte eine Delikatesse werden.
Den Spielbericht gibt's hier.
Teams und Tore:
Leipzig: Gulacsi - Mukiele, Upamecano, Klostermann (82. Orban) - Laimer (62. Halstenberg), Sabitzer, Kampl (64. Adams), Angelino - Dani Olmo (46. Schick), Nkunku (46. Forsberg) - Poulsen. - Trainer: Nagelsmann
Paris: Rico - Kehrer, Thiago Silva, Kimpembe, Bernat - Marquinhos - Ander Herrera (83. Verratti), Paredes (83. Draxler) - Di Maria (87. Sarabia), Neymar, Mbappe (86. Choupo-Moting). - Trainer: Tuchel
Schiedsrichter: Björn Kuipers (Niederlande)
Tore: 0:1 Marquinhos (13.), 0:2 Di Maria (42.), 0:3 Bernat (56.)
Zuschauer: keine (in Lissabon)
Gelbe Karten: Laimer, Halstenberg, Poulsen - Kimpembe
Die Kampfansage im Spielfilm
3. Minute: Die erste kleine Chance gehört RB: Dani Olmo bedient im Strafraum Christopher Nkunku, dessen Schuss aber gerade noch geblockt wird. Schade, wäre eine schöne Geschichte gewesen: Nkunku wechselte erst im letzten Jahr von PSG nach Leipzig, für die Franzosen hatte er immerhin 78 Pflichtspiele absolviert. "Ausgerechnet Nkunku ..."
6. Minute: Und da ist fast der Treffer für PSG: Kylian Mbappé trollt mit einem Übersteiger die RB-Verteidigung, spielt dann einen Sensationspass auf Neymar - und der zeigt, dass auch ein 222 Millionen Euro teurer Mensch immer noch ein Mensch ist und schiebt den Ball aus wenigen Metern am Tor vorbei.
10. Minute: Kuriose Szene: Marcel Sabitzer gibt im Mittelfeld Neymar beherzt ein bisschen Körperlichkeit mit. Neymar fällt, bekommt den Freistoß und steht einfach wieder auf.
13. Minute: Tooooooooooooor für PSG! Da spricht man über Taktikfetischisten, Detailverliebtheit, hochbegabte Superstars - und dann ist es eine schnöde Standardsituation, die PSG die Führung bringt. Angel di Maria serviert eine Freistoßflanke an den Fünfmeterraum, Marquinhos steigt weitgehend unbedrängt hoch und köpft ein.
17. Minute: Jetzt heißt es aufpassen für RB, sonst ist das Ding früh entschieden. Ander Herrera filetiert die Leipziger Abwehr mit einem Steilpass, Mbappé nimmt ihn auf und scheitert dann an Gulacsi.
Marquinhos überspringt alle, nicht nur Neymar. Das wurde für RB schnell zum Problem.
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23. Minute: RB bleibt im Spiel. Am Ende einer Umschaltaktion wird Olmo vor dem Strafraum von Kimpembe gelegt, den fälligen Freistoß klärt die Mauer mit Not. Wenig später erkämpft Konrad Laimer eine große Chance für den Bundesligisten: Der Österreicher zieht über Rechts in den Strafraum, legt zurück auf den heranrauschenden Yussuf Poulsen - und der Däne setzt den Ball knapp neben den Kasten.
30. Minute: Hier sind übrigens nicht nur Edelkicker auf dem Platz versammelt. Für PSG bearbeitet einer die linke Außenbahn, der einst "einen Scheißdreck gespielt" hat und den FC Bayern "fast die Champions-League-Saison gekostet hätte". Heute macht es Juan Bernat aber im Rahmen seiner - Uli Hoeneß findet: begrenzten - Möglichkeiten ganz solide.
35. Minute: Zweiter Pfostentreffer für Neymar. Während sich alle Welt auf eine Freistoßflanke von kurz hinter der Mittellinie, in Sprungweite zur Außenlinie, einstellt, hat der Brasilianer exklusiv eine andere Idee - und schießt den Ball einfach an den Außenpfosten. Puh.
42. Minute: Tooooooooooooor für PSG! Gulacsi wird zwar angelaufen, bringt aber ohne Not sein Mittelfeld in Bedrängnis, dann geht es schnell: Schneller Pass von Paredes auf Neymar - und der zeigt, dass er nicht nur Ikone und Influencer ist, sondern einer der besten Fußballer unserer Zeit: Der Brasilianer legt mit der Hacke ab auf di Maria, der muss nur noch vollenden.
Halbzeit: Man fragt sich schon: Warum gibt es eigentlich immer so viel Unruhe bei PSG? Das Edelensemble arbeitet und spielt gemeinsam, gerade Pflichtübungen wie ein kräftezehrendes, aber erfolgversprechendes Pressing arbeiten die Stars diszipliniert ab. Und dann geht es schnell, bisweilen wird es brillant. RB hatte sicher einen ähnlichen Plan, stattdessen stehen die Sachsen permanent unter Druck, gewinnen sie den Ball, ist der Weg weit. Die Tore resultieren aus einer Standardsituation und einem erpressten Ballverlust. PSG lässt hier wenig anbrennen und wenig zu.
50. Minute: RB kommt munter in die zweite Halbzeit und inszeniert die eine oder andere kleine Aktion rund um den PSG-Strafraum. Ohne gefährlich zu werde. Noch. Leipzig presst hoch, das zwingt sogar PSG zur einen oder anderen Ungenauigkeit.
57. Minute: Tooooooooooooooor für PSG: Was für ein - entschuldigen Sie bitte - doofes Tor. Nordi Mukiele dribbelt einen Ball aus dem Strafraum aus der Gefahrenzone, fällt dann nach einem bestenfalls minimalen Körperkontakt um - und bleibt liegen. Di Maria flankt schnell auf den 1,70 Meter großen Juan Bernat und der köpft ein. Weil Mukiele das Abseits aufhebt. Und am Tegernsee denkt sich Uli Hoeneß: "Hoffentlich kostet der uns diesmal nicht wirklich die Champions League."
67. Minute: Das Spiel ist natürlich entschieden. Neben dem Platz diskutieren Julian Nagelsmann und Thomas Tuchel etwas Nicht-Taktisches aus: Tuchel schimpft in Richtung des einstigen Meisterschülers, weil er mit einem Zweikampf von Yussuf Poulsen nicht einverstanden ist.
71. Minute: Paris zeigt eine große Qualität auch hinter der ersten Offensivreihe. Leipzig läuft hoch an, aber der französische Meister entzieht sich dem Zugriff konsequent und geschickt durch präzises, schnelles Passspiel. Und dann kommt immer wieder ein schneller Vorstoß: Erst ist es Mbappé, der einen Flugkopfball neben das Tor setzt, wenig später scheitert die Maria aus kurzer Distanz an Gulacsi.
82. Minute: Es soll halt auch einfach nicht sein: RB Leipzig steht sich bei seiner besten Chance des Spiels selbst im Weg. Erst schießt der zur Halbzeit eingewechselte Schick aus kurzer Distanz Poulsen an, der Nachschuss von Forsberg wird geklärt. Oder war es andersrum? Spiel durch, Ticker durch.
Schluss: Und dann ist es vorbei. Neymar durfte noch eine Chance vergeben, sieht aber nach dem Abpfiff überaus zufrieden aus. Obwohl er selbst nicht getroffen hat. Eine Freude, die kommenden Gegnern Gänsehaut den Rücken runter jagen sollte. Für RB Leipzig ist eine großartige Champions-League-Saison damit zu Ende. Vorzuwerfen hat sich hier niemand was.
Was war gut?
"Du musst einfach den Weg finden, glücklich zu sein über das, was du erreicht hast", sagte Nagelsmann nach dem Ausscheiden. Das Halbfinale war schlicht das Maximum, was für diese Mannschaft drin war. Und vor allem: Gegen diese Mannschaft. Es ist ja nicht nur so, dass Neymar ein unerschöpfliches Repertoire an Möglichkeiten hat, an einem, zwei oder drei Gegenspielern vorbeizukommen. Mbappé ein unglaubliches Tempo hat, gepaart mit genialen Gedanken für den vorletzten oder letzten Pass. Di Maria selbst an einem mittelguten Tag Torgefahr im Minutentakt kreieren kann.
Nein, das große Verdienst von Thomas Tuchel ist es, die Ansammlung außergewöhnlicher Einzelkönner auf eine taktische Idee einzuschwören. Das aggressive Spiel gegen den Ball sorgte heute dafür, dass das einst so mutige RB Leipzig von Anfang an nicht zum Zuge kam. Und dann sollte man nicht vergessen: Das 1:0 erzielte Marquinhos, einer dieser feinfüßigen Arbeiter im Weinberg der großen Herren. Der Brasilianer hatte PSG erst im Viertelfinale gegen Atalanta Bergamo kurz vor Schluss den turniererhaltenden Ausgleich beschert, jetzt gab er wuchtig den Dosenöffner.
Was war schlecht?
Aus Leipziger Sicht war es schlecht, dass Timo Werner inzwischen beim FC Chelsea unter Vertrag steht und keine Lust hatte, die Champions-League-Saison für RB zu Ende zu spielen. Der Nationalstürmer hätte mit seiner Qualität, seiner Geschwindigkeit und seiner Durchschlagskraft das Spiel vor allem in der ersten Halbzeit um viele Meter weiter in Richtung Pariser Tor verlegen können.
So bleibt es beim "hätte, wäre, wenn": Hätte Julian Nagelsmann seiner Truppe vielleicht eine etwas mutigere Gangart verordnen müssen, anstatt die Pariser den Ball erstmal weitestgehend kampflos bis zur Mittellinie tragen zu lassen? Am Ende war es aber doch schlicht so, wie es Nagelsmann anschließend analysierte: "Der Gegner war schlicht besser als wir. Das muss man auch akzeptieren. Wir waren ganz gut drin, dann kriegen wir ein Standardgegentor. Danach ist das Spiel in eine Richtung gekippt, die nicht so förderlich für uns war. Die anderen beiden waren dann Geschenke. Aber das ist keine Kritik von mir. Wir wollen Fußball spielen, und dann passieren Fehler." Die anderen waren besser, manchmal ist es ganz einfach.
Und dann war da aber noch der Anzug von Julian Nagelsmann. In der Bundesliga eher im Baumwoll-Schick unterwegs, ließ der Trainer in der Champions League den Jogginganzug im Schrank - und setzte stattdessen auf einen modisch, nicht eben mit viel Beinfreiheit geschnittenen Anzug. Das Sakko freilich landete schon nach etwa einer halben Stunde in der Ecke. Die Uefa übrigens hat keine Kleidervorschriften, bittet die Trainer aber um "angemessene Kleidung". Das darf dann jeder für sich selbst interpretieren.
Und was sagen die Verantwortlichen?
RB Leipzigs Trainer Julian Nagelsmann: "Der Gegner war schlichtweg besser, das muss man auch mal akzeptieren. Wir waren ganz gut drin, dann kriegen wir ein Standardgegentor. Danach ist das Spiel in eine Richtung gekippt, die nicht so förderlich für uns war. Die anderen beiden waren dann Geschenke. Aber das ist keine Kritik von mir. Wir wollen Fußball spielen, und dann passieren Fehler. Wir waren im Halbfinale, darauf können wir stolz sein. Trotzdem wären wir gerne noch den nächsten Schritt gegangen oder auch zwei."
Thomas Tuchel (Trainer Paris Saint-Germain): "Ich bin sehr erleichtert", sagte der frühere Bundesliga-Trainer Tuchel. "Das ist unbeschreiblich, das zu fühlen. Das sind wahnsinnig enge Spiele. Die Anspannung gehört dazu und entsprechend groß ist die Freude und die Erleichterung." Es sei "unbeschreiblich, so etwas zu fühlen. Ich war furchtbar angespannt bis zur Nachspielzeit, dann erst habe ich es geglaubt. Auch wenn es schwer ist zu zeigen: Ich bin gerade k.o. Wir haben nicht nur Qualität gezeigt, sondern auch Hunger. Wir werden gerade dafür belohnt. Diese Mannschaft ist echt zusammengewachsen."
Der Tweet zum Spiel
Quelle: ntv.de