Redelings über Sympathieträger "Solange ich spiele, steigt Werder nicht ab!"
03.05.2016, 11:19 Uhr
Kann man so machen: Mit dem Rücken zur Wand schlägt der SV Werder den VfB Stuttgart mit 6:2. Und das Publikum? Fantastisch - auch schon vorher.
(Foto: imago/Nordphoto)
Werder lebt. Und wie: Was war das für ein Spiel gegen den VfB, was für eine Stimmung im Weserstadion und was für ein wichtiger Sieg. Seit 1981 sind die Bremer ununterbrochen in der Fußball-Bundesliga - tolle, unvergessliche Zeiten.
Schwiegervater wollte ihn ja immer haben. Für unseren VfL Bochum. Aber ich - Sklave des traditionellen Fußball-Aberglaubens - habe da stets viel zu viel Angst gehabt. Ich dachte immer: Mit Fin Bartels steigst du ab. Schließlich ist ihm das mit seinen 29 Jahren in seiner Karriere bereits vier Mal gelungen. Top Fußballer, toller Typ, aber da kann man einfach nix machen. Ist so. Traurig, aber wahr. Und dann legt der am Montagabend beim 6:2 gegen den VfB Stuttgart so ein Spiel hin. Der Wahnsinn! In Bremen scheint dieses Mal tatsächlich alles anders für ihn zu sein. Gott sei Dank. Denn ein Abstieg Werders wäre gleich doppelt schade.
Kaum ein Verein in Deutschland genießt so viele Sympathien wie die Mannschaft vom Weserstrand. Lange Zeit war der Klub so etwas wie der liebenswürdige Gegenentwurf zum verhassten FC Bayern. In den Achtziger- und Neunzigerjahren war man entweder für den SV Werder oder für die Münchener. Für Willi Lemke oder Uli Hoeneß. Dazwischen gab es nichts. Auch wenn sich gerade bei der Betrachtung dieser beiden Persönlichkeiten viel umgekehrt hat in den letzten Jahren, so erinnert man sich gerne an die virtuos-verbalen Scharmützel zwischen dem hageren Norddeutschen Lemke (Reiner Calmund zum Werder-Manager: "Man Willi, du siehst ja echt aus, als sei ’ne Hungersnot ausgebrochen!" Lemkes Antwort: "Und du siehst so aus, als seiest du schuld daran!") und dem immer etwas feisten Süddeutschen Uli Hoeneß. Es war auch ein wenig der Stellvertreter-Kampf zwischen Sozialdemokratie und CSU und Arm und Reich. Willi Lemke war der Macher des Werder-Wunders. Der ideenreiche Geldbeschaffer ("Wo ein Willi ist, ist auch ein Weg", "Kicker"), der ganze Spiele an Autokonzerne verkaufte und dabei doch so pfiffig geerdet wirkte, dass man ihm das glatt verzieh.
Damals war die Welt in Bremen noch in Ordnung – und der wortgewaltige Willi Lemke ("Das beste Trainingslager ist eine Frau - die eigene natürlich") hatte die Fans fest im Griff. So sprach der Werder-Manager dereinst vor einer Live-Sendung des ZDF aus dem Weserstadion einige klare Worte zum Publikum: "Keine Pfiffe, keine Buhrufe, wenn Töppi das erste Tor als abseitsverdächtig und den Elfmeter als zweifelhaft bezeichnet. Wir sind hier nicht bei den Hottentotten und auch nicht in München!"
Ben Redelings ist "Chronist des Fußballwahnsinns" (Manni Breuckmann) und leidenschaftlicher Anhänger des VfL Bochum. Der Autor, Filmemacher und Komödiant lebt in Bochum und pflegt sein Schatzkästchen mit Anekdoten. Seine kulturellen Abende "Scudetto" sind legendär. Für n-tv.de schreibt er stets dienstags die spannendsten und lustigsten Geschichten auf. Sein Motto ist sein größter Bucherfolg: "Ein Tor würde dem Spiel gut tun".
Was soll man sagen: Es blieb ruhig und gesittet. Es war damals auch die Zeit von König Otto und seiner Frau Beate in Bremen. Unter Rehhagel ("Jeder kann sagen, was ich will") feierte der SV Werder nicht nur Titel, sondern lieferte auch die berühmten Schlachten im Europapokal, die als die "Wunder von der Weser" in die Geschichte eingingen, frei Haus. Wer damals vor dem Fernsehapparat saß, wird die Duelle gegen Spartak Moskau, den BFC Dynamo und den RSC Anderlecht nie vergessen. Man litt mit Werder, als Michael Kutzop ("Wenn ich das Ding, diese hässliche Salatschüssel, endlich in den Händen halte, dann beiß ich einen Brilli raus") mit seinem legendären Elfmeter-Fehlschuss die Meisterschaft vergeigte und mit Pannen-Olli Reck ("Druck verspüre ich nur, wenn ich morgens auf die Toilette gehe"), wenn er mal wieder im Tiefflug unter einem Ball hindurchsegelte. Man verteufelte den brutalen Klaus Augenthaler ("Ich sah nur etwas Grün-Weißes auf unseren Strafraum zukommen"), als er die damals noch zu 100 Prozent sympathische und geliebte "Tante Käthe" umsenste. Und eben dieser Rudi Völler brachte uns damals auch zum Lachen, als er dem Waldhöfer Trainer Klaus Schlappner den berühmten Pepita-Hut vom Kopf riss und einmal durch die Lüfte segeln ließ. Rudis Begründung für diese Einlage sprach uns aus dem Herzen: "Da zieht der Schlappi über die Nationalelf und Beckenbauer her und bezeichnet uns fast als Blinde. Und selbst spielt er diesen blinden Bauernfußball."
Später sah man Johan Micoud, Diego und Mesut Özil gerne beim Zaubern zu, verguckte sich in Claudio Pizzaros spitzbübischen Charme und liebte den Mann von der Heilsarmee, Wynton "Kiwi" Rufer, für seinen so wunderbar eigenen Kopf ("Früher war mein Vorbild Pelé. Heute ist es Jesus"). Als Bremens Uli "die Axt" Borowka von 216 Profis zum größten "Treter der Bundesliga" gewählt wurde, hielten wir kurz den Atem an und lachten lauthals, als wir hörten, was eben dieser Borowka zu Andreas "Heulsuse" Möller meinte, als dieser sich über den weiten Weg aus den Katakomben des alten Weserstadions hinaus über die Tartanbahn auf den grünen Rasen bei Uli beschwerte: "Keine Sorge, Andy. Zurück wirst du getragen!"
Als der große Horst-Dieter "Eisenfuß" Höttges für die Grün-Weißen auflief, war sein Credo immer: "Solange ich spiele, steigt Werder Bremen nicht ab!" Er hielt Wort. Doch dann traf es die Elf vom Weserstrand genau in der Saison, nachdem Horst-Dieter Höttges zurückgetreten war. Der Abstieg der Spielzeit 1979/80 war der bis dato letzte. Wenn es nach den Werder-Fans geht, soll das auch so bleiben. Fin Bartels hätte sicherlich ebenfalls nichts dagegen. Spielt er weiter so wie gestern, wird es klappen. Man gönnt es ihm und Werder von Herzen.
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Quelle: ntv.de