Der Supercup im Schnellcheck Thiago, das war nix
03.08.2019, 23:59 Uhr
(Foto: imago images / Newspix)
Bei Borussia Dortmund sitzt der Schlüsselspieler nur auf der Tribüne, beim FC Bayern entscheidet er den Supercup: Während Mats Hummels seinen nächsten Titel im Sitzen holt, erlebt Thiago einen ganz bitteren Abend.
Titelkampf oder Testspielschaulaufen - was ist da eigentlich passiert in Dortmund?
Jürgen Klopp kommentierte 2013 - "sein" BVB schlug seinerzeit den FC Bayern 4:2 - die Wertigkeit des Supercups so: "Das Gute am Supercup ist ja, dass sich der Verlierer nicht sehr aufregt und der Sieger sich freut. Und wir haben gewonnen, das ist schon geil." Nun also darf sich wieder der BVB freuen und der FC Bayern muss sich nicht ärgern, oder? Jedenfalls holt Borussia Dortmund den Supercup 2019, ein hochoffizieller DFB-Titel für den Briefkopf. Viel wichtiger als der Pokal dürfte aber die Gewissheit sein, dem großen Konkurrenten schon mal ordentlich eine für die kommende Runde mitgegeben zu haben.

Voller Einsatz: Im ersten Kräftemessen der Saison schenkten sich die beiden Titelkandidaten nichts.
(Foto: imago images / Kirchner-Media)
Auch, wenn das Spiel traditionell zu einem eher unangenehmen Zeitpunkt in der Vorbereitung kommt - für die Bayern steht ab übermorgen das zweite Trainingslager an, der BVB kam gerade erst aus Bad Ragatz zurück: Das war weit mehr als eine Pflichtaufgabe, das war ein Härtetest.
Welchen Stellenwert der Test/das Titelmatch für Niko Kovac hatte, lässt sich an der Aufstellung ablesen: Der Bayern-Coach schickte seine wohl stärkste zur Verfügung stehende Formation auf den Rasen, inklusive des zuletzt angeschlagenen Kingsley Coman, um dessen Zustand man noch am Mittwoch im Finale des Audi-Cups gezittert hatte. Ist der Einsatz des Flügelspielers ein weiterer Hinweis auf einen unmittelbar bevorstehenden Transfer von Leroy Sané? Jedenfalls scheint es den Bayern-Verantwortlichen nicht erforderlich, den Franzosen bis zum Saisonstart in Watte zu packen.
Und der BVB? Der musste auf den angeschlagenen Mats Hummels verzichten, dazu fehlten mit Julian Brandt und Thorgan Hazard zwei weitere hochkarätige Neuzugänge, von den Neuzugängen konnte nur Nico Schulz ran. Dabei soll doch Mats Hummels das fehlende Puzzleteil sein, das dem Vizemeister am Ende zum Titel gefehlt hatte. Dortmund deutet an: Das wird eine spannende Saison.
Für den Sieger gibt es übrigens - neben dem neu zu ordernden Briefpapier - noch eine schlechte Nachricht: In der Geschichte des Wettbewerbs wurde der Sieger anschließend sechsmal deutscher Meister - der Verlierer aber siebenmal.
Teams & Tore
Dortmund: Hitz - Piszczek (80. Wolf), Toprak, Akanji, Schulz - Witsel, Weigl - Sancho (81. Bruun Larsen), Reus, Guerreiro (75. Hakimi) - Alcacer. - Trainer: Favre
München: Neuer - Kimmich, Süle, Jerome Boateng, Alaba (70. Sanches) - Thiago (80. Pavard) - Thomas Müller (66. Davies), Goretzka, Tolisso, Coman - Lewandowski. - Trainer: Kovac
Schiedsrichter: Daniel Siebert (Berlin)
Tore: 1:0 Alcacer (48.), 2:0 Sancho (68.)
Zuschauer: 81.365 (ausverkauft)
Gelbe Karten: Jerome Boateng, Lewandowski, Kimmich
Was war gut?
Die Dortmunder Innenverteidigung, die in der vergangenen Saison aufgrund zahlreicher individueller Fehler letztendlich den Unterschied zwischen Titel und titellos ausmachte, zeigte eine starke Vorstellung - obwohl mit Mats Hummels der "Unterschiedsspieler" gar nicht auf dem Feld stand. Ömer Toprak leistete sich unter dem Druck der Bayern nur eine gröbere Unsauberkeit, Manuel Akanji kochte Robert Lewandowski ab.
Die ab der anstehenden Saison gültige Regel, dass der Ball beim Abstoß den Strafraum nicht mehr verlassen muss, dürfte noch für viel Spaß sorgen. Oder Chaos. Jedenfalls wird die neue Situation das Spiel verändern. Die Offensivkräfte des FC Bayern München pressten in vorderster Reihe auf die angespielten Innenverteidiger. Das ging mehr als einmal nach hinten los, als die eigentlich nicht überragend ballsicheren Dortmunder Innenverteidiger die erste Linie überspielen konnten. Das beschwor sofort Gefahr herauf. Das wird spannend. Oder wird der Stress für die Verteidiger doch eher zu einem wilden Gebolze führen? So oder so: Es gibt neue Herausforderungen.
Außerdem gut: In der 50. Minute wurde Bayerns Offensivkraft Kingsley Coman im gegnerischen Strafraum nicht gefoult - und Schiedsrichter Daniel Siebert pfiff nicht Elfmeter. Nicht nur in Bremen weiß man: Das hat man auch schon ganz anders erlebt.
Was war nicht so gut?
Hanno Balitsch sagte einst in Mainz über den Großtrainer Jürgen Klopp, in dessen Teams gehe es zu wie in einer Sekte. Balitschs vermeintlicher Eignung als ZDF-Experte stand dieses Zitat trotz Klopps späterem Werdegang zum zweifachen Deutschen Meister, Pokalsieger und Champions-League-Gewinner offensichtlich nicht im Weg. Dieser Hanno Balitsch jedenfalls hatte vor dem Spiel Tore prognostiziert und meinte: Viele Tore, so wie es in den jüngsten Aufeinandertreffen beider Teams eben üblich war. Dass es diesmal nicht so richtig klappte mit dem Torspektakel, lag aber nicht an den Abwehrreihen. Im Gegenteil: Vor allem die Bayern-Defensive wirkte vor allem in der ersten Halbzeit öfter mal fahrig, nach weniger als einer Minute hätte es nach Ballverlust von Süle schon 0:1 aus Sicht des Rekordmeisters stehen können.
Das Problem der fehlenden Tore lag etwas überraschend bei den Offensivreihen. Während Dortmund in der ersten Hälfte schlicht zu wenig aus den vorhandenen Chancen machte, scheiterten die Bayernspieler auffallend oft daran, über die Flügel konsequent Gefahr heraufzubeschwören: Zu viele flache Hereingaben wurden von Ömer Toprak und Manuel Akanji locker wegverteidigt, aus der gewohnten Bayern-Dominanz entstand zu wenig Gefahr. In der zweiten Halbzeit veränderte sich das Spiel spätestens mit dem 1:0. Vor allem beeinflusst durch einen erschreckend schwachen Münchener Schlüsselspieler.
Denn da war Thiago: Der Spanier, der sich in der Vorbereitung bisher stark in der bayerischen Schaltzentrale präsentiert hatte, lieferte ein ganz schwaches Spiel ab - und riss damit die komplette Bayern-Defensive mit in eine Abwärtsspirale. Erst ermöglichte Thiago durch eine haarsträubende Lässigkeit die Dortmunder Führung, später streute er immer wieder Fehlpässe ein, das Zentrum konnte vom BVB zu oft zu schnell überspielt werden. Wie vor dem 2:0, als Raphaël Guerreiro den Ball am eigenen Strafraum eroberte, direkt einen Sensationspass in den Lauf von Jadon Sancho spielte, der die gesprengte Hintermannschaft einfach überlief und einschob. Frei nach Josip Guardiola, der einst den Bayern-Bossen zurief "Thiago oder nix!": Thiago, das war nix!
Der Tweet zum Spiel
Die Szene des Spiels
Manuel Neuer, "Manu der Libero", der seit dem Weltmeisterschafts-Achtelfinale 2014 gegen Algerien wohl handgeschätzte 300 gegnerische Steilpässe abgelaufen, weggegrätscht, weggeköpft, einfach weggeneuert hat, verlor nach knapp einer Viertelstunde entweder die Nerven oder jedes Timinggefühl - und verpasste rund zehn Meter vor der Mittellinie mit einer Fluggrätsche den Ball. Dortmunds späterer Torschütze Paco Alcacer hatte keine Mühe, den Ball am Nationalkeeper (aber auch am Tor) vorbei zu schicken. Denn über Erfolg oder Misserfolg des neuerschen Ausflugs entschied nicht etwa eine Fußspitze, sondern es fehlten Meter zum 301. erfolgreichen Weggeneuer. Beobachter oszilieren zwischen Verwunderung und Schrecken und man fragte sich: Was bedeutet es für den FC Bayern, wenn er künftig nur noch mit zehn statt bisher elf Feldspielern spielen wird?
Quelle: ntv.de