Liverpool kocht PSG ab Tuchel hadert, Klopp formt Champions
19.09.2018, 10:41 Uhr
Läuft: Jürgen Klopp und Roberto Firmino.
(Foto: imago/PA Images)
Trainer Thomas Tuchel soll mit Paris Saint-Germain endlich auch international groß aufspielen. Die Niederlage in Liverpool findet er ungerecht, das hat er exklusiv. Kollege Jürgen Klopp indes konstatiert eine "coole Entwicklung".
Paris Saint-Germain ist dank fußballerischer Ausnahme-Erscheinungen wie Neymar, Edinson Cavani, Kylian Mbappé und Ángel Di María stets zu überraschenden Aktionen auf dem Spielfeld in der Lage, doch die größte Verblüffung an diesem wilden Dienstagabend an der Anfield Road löste ihr Übungsleiter aus. "Das Ergebnis erzählt nicht die Geschichte des Spiels. Es ist für mich weder logisch noch korrekt", sagte Thomas Tuchel nach der 2:3-Niederlage im Treffen der deutschen Trainer gegen Jürgen Klopps FC Liverpool zum Start in die Champions League. Er würdigte seine Mannschaft dafür, "mit Tapferkeit und mentaler Stärke" aufgetreten zu sein und sprach davon, dass sie "nie die Ordnung verloren" habe.
Diese Sicht hatte er weitgehend exklusiv. Es gab keinen Zweifel daran, dass der Sieg für den Finalisten der vergangenen Saison verdient war. Von einer Ordnung konnte bei Paris über weite Strecken der ersten Halbzeit keine Rede sein. Tuchels hoch dotierte Auswahl wirkte so sortiert wie Duplo-Steine, die wahllos auf dem Fußboden verschüttet worden waren. Vielleicht befand sich der Trainer einfach unter Schock, als er seine Analyse vortrug. Für ihn hatte sich Geschichte auf traumatische Weise wiederholt.
Vor zweieinhalb Jahren war er schon einmal vorstellig geworden, damals im Viertelfinal-Rückspiel der Europaliga mit Borussia Dortmund. Seine Mannschaft führte gegen Klopps Liverpool 2:0 und 3:1, was nach dem 1:1 im ersten Treffen locker zum Weiterkommen gereicht hätte, verlor am Ende allerdings 3:4 durch einen Treffer in der Nachspielzeit und schied aus. Ähnlich turbulent kam auch die Niederlage mit Paris zustande. Nach dem frühen 0:2-Rückstand hatte Tuchels Mannschaft zurück ins Geschehen gefunden und in der 83. Minute durch Mbappé ausgeglichen, ehe der eingewechselte Roberto Firmino nach Ablauf der regulären Spieldauer das Siegtor schoss. "This is Anfield", stöhnte Tuchel, so als wollte er sagen, die Magie des Stadions würde solche wahnwitzigen Spielverläufe zwangsläufig herbeiführen.
"Meister wird sie sowieso"
Tatsächlich war die Atmosphäre erdrückend, wie immer an solchen Abenden im Europapokal, trotzdem lässt sich das Ergebnis rational erklären. Während Klopp eine Mannschaft geformt hat, die besser ist als die Summe ihrer einzelnen Teile, in der jeder Spieler über sich hinauswächst, ist es Tuchel noch nicht gelungen, die vielen Talente und Begabungen in seinem Kader zu einem Kollektiv zu vereinen, das auf höchstem Niveau bestehen kann.
Allerdings hat er seinen Job auch gerade erst begonnen. Die Niederlage in Liverpool hat die Erkenntnis gebracht, dass er noch viel Arbeit vor sich hat, wenn er mit Paris die Champions League gewinnen will. Nichts anderes sind wegen des großzügigen Sponsorings aus Katar die Erwartungen an den Klub aus Frankreichs Hauptstadt.
In der Liga ist Paris makellos gestartet, aus fünf Spielen gab es fünf Siege, dazu kommt das 4:0 im Ligapokal gegen den AS Monaco. Doch die heimischen Wettbewerbe sind für Tuchels Team nach allgemeinem Dafürhalten nur lästige Pflicht. Gemessen wird die Mannschaft daran, ob es ihr endlich gelingt, auch auf internationaler Bühne groß aufzuspielen. Oder, wie Klopp es vor der Partie formuliert hatte: "Diese Mannschaft wurde gebaut, um die Champions League zu gewinnen. Meister wird sie sowieso." In den vergangenen sechs Jahren scheiterte Paris viermal im Viertelfinale und zuletzt sogar zweimal im Achtelfinale.
"Eine coole Entwicklung"
Die Niederlage an der Anfield Road bei der ersten echten Bewährungsprobe für Tuchel bei seinem neuen Arbeitgeber legt nahe, dass der Klub noch ein gutes Stück entfernt ist von dem Niveau von Europas Elite. Die Mannschaft muss sich steigern, wenn es mit der Champions League klappen soll, sie muss an Wettkampfhärte zulegen. Da ist Liverpool schon deutlich weiter. Klopps Mannschaft ist gewachsen durch den Einzug ins Finale der Champions League in der vergangenen Saison, das 1:3 gegen Real Madrid verloren ging, und zeigte mit dem Sieg zum Start der neuen Kampagne zwei Dinge, nämlich dass das Vorrücken ins Endspiel kein Zufall war und sie auch in der neuen Spielzeit zu den Favoriten gehört.
Aus Klopps Sicht ist es "eine coole Entwicklung", dass Liverpool gegen Mannschaften wie Paris überhaupt Chancen zugerechnet würden: "Vor zwei, drei Jahren hätte jeder gesagt, dass das für uns eine zu große Aufgabe ist." In der Tat hat es ein bisschen gedauert, Liverpool auf das gegenwärtige Niveau zu heben, und es hat viel Geld gekostet. Geschätzt mehr als 180 Millionen Euro hat der Verein alleine in diesem Sommer ausgegeben, um die Mannschaft den entscheidenden Schritt weiterzubringen.
Aus einem Verfolger in der Premier League und einem tragischen Verlierer im Europapokal-Endspiel ist ein echter Anwärter auf die erste Meisterschaft seit 1990 und auf die kontinentale Krone geworden. Der Start in der englischen Liga lief vielversprechend mit fünf Siegen aus fünf Spielen. Und mit dem Erfolg gegen Paris hat Liverpool gezeigt, dass auch in der Champions League alles möglich ist in dieser Saison. Auch wenn Tuchel das Ergebnis ungerecht fand.
Quelle: ntv.de