
Thomas Tuchel kann es doch noch.
(Foto: picture alliance / Dennis Ewert/RHR-FOTO)
Sie können es doch noch: In der Champions League erkämpft sich der FC Bayern ein 2:2-Remis gegen den FC Arsenal. Die Tuchel-Elf besticht durch eine pragmatische Grundhaltung. Die Frage ist nur: Was bedeutet es?
Was ist da im Emirates Stadion in London eigentlich passiert?
England! Flutlicht! Königsklasse! Es geht sogar noch um was! Ein Titeltraum! Und es trat genau das ein, was sich der FC Bayern erhoffte: Das CL-Viertelfinal-Hinspiel gegen den FC Arsenal wurde zu einer Art Erholungskur von der trostlosen Welt in der Bundesliga, wo die unschlagbare Maschine von Xabi Alonso, Bayer Leverkusen, schon meilenweit (16 Punkte) enteilt ist und die Münchner keine Hoffnung mehr auf die Meisterschaft haben.
Und am Wochenende gab es dann auch noch den nächsten schlimmen Tiefpunkt. Was war das für ein Debakel, was sich da am Samstagnachmittag vor den Augen von 15.000 Menschen in Heidenheim an der Brenz ereignete. Als der große FC Bayern schon wieder bei einem Kleinen (1. FC Heidenheim) in sich zusammenbrach wie ein Kartenhaus. Wie schon gegen den danach komplett abgestürzten VfL Bochum, vor ein paar Wochen. Diesmal war es eine komfortable 2:0-Pausenführung, die in einer 2:3-Pleite mündete. Sportvorstand Max Eberl attestierte im Anschluss seinem Klub, wo er nun seit fünf Wochen angestellt ist, "Arroganz".
Und jetzt? Trainer Thomas Tuchel sagte es vor dem Spiel. So eine Pleite wie die gegen Heidenheim hängt vielleicht noch ein, zwei Tage in den Kleidern, danach aber nicht mehr. "So ist das im Leistungssport", sagte er. Nicht nur das, er kündigte noch mehr an: Im Spiel gegen sich selbst, in dem der FC Bayern beweisen sollte, dass er noch etwas mehr leiden kann, machten die Münchner genau das. Tuchel überraschte und schickte eine bemerkenswert pragmatische Elf aufs Feld. Kein Ballbesitz, kein Pressing: Stattdessen sollte es ein Konterspiel mit viel Beton werden. Das erste Indiz dafür gab es schon vor dem Anpfiff, denn Thomas Müller suchte man vergeblich in der Startelf. Es brauchte Tempo für schnelle Gegenstöße.
Und das wurde es auch. Ungeachtet der frühen Arsenal-Führung durch Bukayo Saka (12. Minute). Der FC Bayern wankte zwar (es ist ungewiss, ob er das 2:0 verkraftet hätte), doch er brach nicht in sich zusammen, wie er es vielleicht in der Bundesliga getan hätte. Stattdessen: Die Münchner Mauer hielt, egal, wie sehr die Londoner Handwerker sie nach Löchern abklopften. Da konnten sie passen und zaubern, wie sie wollten. Die Bayern blieben eiskalt. Zwei Konter, ein Elfer und zur Pause führte man 2:1 und das bei 2:9 Torschüssen. In der zweiten Halbzeit setzten sie das fort. Nur einmal kam Leandro Trossard (76. Minute) durch und konnte das 2:2 erzielen. Und, auch das zeichnete den FC Bayern einst aus, das Glück war auch noch da: In der letzten Szene der Nachspielzeit gab es nach einem strittigen Kontakt von Manuel Neuer mit Saka keinen Elfmeter für die Londoner.
Teams und Tore:
Arsenal: Raya - White, Saliba, Gabriel, Kiwior (46. Zinchenko) - Ödegaard, Jorginho (67. Gabriel Jesus) , Rice - Saka, Havertz (85. Thomas), Martinelli (67. Trossard). - Trainer: Arteta
München: Neuer - Kimmich, de Ligt, Dier, Davies - Laimer, Goretzka - Sane (66. Coman), Musiala, Gnabry (70. Guerreiro) - Kane. - Trainer: Tuchel
Schiedsrichter: Glenn Nyberg (Schweden)
Tore: 1:0 Saka (12.), 1:1 Gnabry (18.), 1:2 Kane (32., Foulelfmeter), 2:2 Trossard (76.)
Zuschauer: 55.000
Gelbe Karten: Thomas (1) - Davies (3), Kane (1)
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Warum war das gut, was der FC Bayern da gemacht hat?
Thomas Tuchel war zurück, da, wo man ihn liebt und uneingeschränkt schätzt: in London. Dort holte er mit dem FC Chelsea den Titel in der Königsklasse, bevor der Klub ins Chaos schlitterte, in dem er noch immer hängt. Tuchel zeigte an diesem Dienstagabend, während er an der Seitenlinie immer wieder gestikulierte, warum er eigentlich ein Top-Trainer ist. Gegen Arsenal hatte er tatsächlich das Mittel gefunden, mit dem die Londoner nicht so richtig klarkamen: ganz viel Pragmatismus. Diesen völlig neuen und überraschenden Ansatz probierte er schon einmal gegen eine spielstarke Mannschaft aus. Der 3:0-Erfolg über den VfB Stuttgart war bislang eines der besten Spiele der Saison gewesen.
Der Trainer gab es vor dem Spiel vor, die Elf auf dem Platz setzte es um: Es ging um "Intensität und Hingabe". Die Bayern verteidigten tief, sie überließen dem FC Arsenal die meiste Zeit den Ball. Gegen den wild aufdribbelnden Saka wurde stets gedoppelt, Bayerns Serge Gnabry fungierte als sowas wie ein zweiter Linksverteidiger neben Alphonso Davies. Auf der anderen Seite war es Leroy Sané, der sich in die Zweikämpfe warf. Und sie waren nicht allein, die Innenverteidigung aus Eric Dier und Matthijs de Ligt wuchtete weg, was in den Strafraum flog. Und Leon Goretzka arbeitete in der Zentrale so sehr, dass er sich möglicherweise auch für Bundestrainer Julian Nagelsmann empfehlen konnte. Die Tür ist schließlich noch einen kleinen Spalt offen.
Warum war Arsenal nicht so gut?
Der FC Arsenal steht nicht ohne Grund an der Tabellenspitze der Premier League, sagte Tuchel. Das stimmt auch. Immer wieder blitzte auf, weshalb das Team mit den Teams der Trainergiganten von Pep Guardiola (Manchester City) und Jürgen Klopp (FC Liverpool) mithalten kann: Die Londoner kombinierten sicher und sehenswert.
Und doch gab es ein Problem: Aus den am Ende doch 59 Prozent Ballbesitz konnte die Mannschaft von Arteta nicht so richtig Zählbares kreieren. Auch wenn es etwa der wendige Flügelstürmer Saka immer wieder versuchte. Am Ende hing Kai Havertz, immerhin der derzeit formstärkste Angreifer der Premier League, praktisch in der Luft. Dadurch, dass die Bayern das eigene Zentrum so verdichteten, musste er immer wieder nach außen ausweichen.
Das hatte auch eine andere Folge: Bei Arsenal spielte der Mann, den Tuchel vor der Saison öffentlich umschmeichelte und dessen Spielertyp beim FC Bayern vermisste: Declan Rice. Doch der englische Nationalspieler, der eigentlich für Stabilität vor der eigenen Abwehrkette sorgen sollte, tat das bei Arsenal nicht so richtig. Die meisten Münchner Angriffe liefen durch die Mitte.
Ist das jetzt die große Wende beim FC Bayern?
Das ist die große Frage, wer weiß das schon? Schon einmal gab es eine ähnliche Ausgangslage, als die Münchner eine ähnlich große Leistung im Achtelfinal-Rückspiel gegen Lazio Rom brauchten und mit 3:0 gewannen. Auch zuvor stolperten sie in der Liga: bei dem 2:2-Remis gegen den SC Freiburg. Und nun gab es die gleiche Reaktion: Nach der Blamage gegen Heidenheim spielte die Tuchel-Elf in der Champions League stark auf. Doch Obacht! Es besteht erneut Wiederholungsgefahr: Nach dem kurzen Lazio-Hoch gab es den 0:2-Einbruch im deutschen Klassiker gegen Borussia Dortmund. Das Problem bleibt: Bei dieser Mannschaft des FC Bayern gibt es keine Sicherheiten. Sie können wie eine Spitzenmannschaft auf höchstem Champions-League-Niveau mithalten, sie können aber auch völlig uninspiriert und lustlos eine Bundesliga-Partie verlieren. Nur warum, das weiß niemand.
Die Stimme zum Spiel:
Harry Kane: "Ein großes Spiel für mich. Ich bin sehr glücklich, dem Team geholfen zu haben. Wir haben einen kleinen Schritt gemacht. Wir müssen von Spiel zu Spiel fokussiert sein."
Quelle: ntv.de