
Die Bremer Brücke, die Heimat des VfL.
(Foto: IMAGO/osnapix)
Mit einer eindrucksvollen Siegesserie stürmt der VfL Osnabrück in der 3. Liga aus dem Abstiegs- in den Aufstiegskampf. Trainer Tobias Schweinsteiger hat die Mannschaft wortwörtlich fit gemacht und rund um die Bremer Brücke eine neue Aufbruchstimmung ausgemacht. Das begeistert sogar Oma Isabella.
Die Sorgen der Vergangenheit scheint Oma Isabella hinter sich gelassen zu haben. Jahrelang hatte sie ihren Enkel Erik Engelhardt zum Training gefahren, dort aber "nie zugeschaut, weil sie immer Angst hatte, dass ich mich verletzen könnte", wie der Mittelstürmer des VfL Osnabrück der "Neuen Osnabrücker Zeitung" erzählt hat. "Diesmal hatte sie sehr viel Spaß", sagte Engelhardt nun aber nach dem 4:1-Erfolg seiner Lila-Weißen im Auswärtsspiel beim FC Ingolstadt, zu dem er mit zwei Toren maßgeblich beigetragen hatte - und nach denen er reichlich Kusshände in Richtung der Tribüne schickte, auf der auch Oma Isabella saß.
Es waren seine Treffer fünf und sechs in den vergangenen sieben Drittliga-Spielen, die der VfL allesamt gewonnen hat. Die Siege gegen den SC Verl und im Derby beim SV Meppen gelangen noch vor der WM-Pause, nach dem Jahreswechsel holte Osnabrück auch gegen Viktoria Köln, gegen die zweite Mannschaft von Borussia Dortmund, beim MSV Duisburg, gegen Erzgebirge Aue und jüngst in Ingolstadt die volle Punktzahl. Drohte im November noch der unmittelbare Sturz auf die Abstiegsränge, sind die Niedersachsen Mitte Februar ganz eindeutig ein Aufstiegskandidat. Zehn Plätze haben sie in dieser Zeit in der Tabelle gutgemacht, den Rückstand auf den Relegationsplatz von damals elf auf heute nur noch zwei Punkte verringert.
"Wir haben aktuell einfach einen richtig guten Lauf", fasste daher Mittelfeldspieler Lukas Kunze die längste aktive Siegesserie im deutschen Profifußball zusammen, was die Fans des Traditionsvereins vom siebten Aufstieg in die 2. Bundesliga träumen lässt. Keinem Klub gelang dieser Sprung nach oben öfter, leider auch, weil der VfL mit sechs Abstiegen in die 3. Liga auch den davon schwer zu trennenden Negativrekord hält. Aktuell aber herrscht einmal mehr Aufbruchstimmung rund um die Bremer Brücke, eines dieser inmitten von Wohnsiedlungen gelegenen Stadien, das im allerbesten Sinne altehrwürdig ist.
Die Kaffeetasse gibt die Richtung vor
Hauptverantwortlich dafür, dass die Mannschaft im besten Sinne heiß ist, ist Tobias Schweinsteiger. Erstmals Cheftrainer im Profifußball, seit Ende August im Amt. Der 40-Jährige freute sich nach der Serienfortsetzung in Ingolstadt nicht nur über die Punkte 35, 36 und 37 in dieser Saison, sondern sprach auch über den für ihn "ausschlaggebenden Punkt" für den Erfolg: den respektvollen und wertschätzenden Umgang miteinander und untereinander. Der NOZ sagte er, aus seiner Zeit bei "Klubs mit begrenzten Möglichkeiten" gelernt zu haben, wie "man mit gutem Teamgeist aus wenig viel machen kann". In seiner aktiven Zeit spielte er anders als sein berühmter Bruder Bastian meist abseits des Rampenlichts, traf in 148 Drittliga-Einsätzen für die Spielvereinigung Unterhaching und den SSV Jahn Regensburg 43-mal. Allerdings nie gegen den VfL, der seine Neuzugänge bevorzugt in den vierten Ligen findet und darauf setzt, dass sie in der Stadt des westfälischen Friedens an ihrer Aufgabe wachsen.
So wie bei Erik Engelhardt, der in der Vorsaison mit 19 Toren für Energie Cottbus in der Regionalliga Nordost auf sich aufmerksam machte. Nach holprigem Start ist er inzwischen zur Stammkraft aufgestiegen, erzielte alle seine neun Liga-Tore und vier Vorlagen in den jüngsten zehn Spielen. Oder Ba-Muaka Simakala, kurz "Chance" genannt, der ebenfalls auf neun Treffer kommt und vom SV Rödinghausen nach Osnabrück kam, denselben Weg ging Lukas Kunze, derzeit im Mittelfeld in Topform. Auch Maxwell Gyamfi (HSV II), Sven Köhler (SV Lippstadt 08), Florian Kleinhansl (VfB Stuttgart II) oder Torhüter Philipp Kühn (SV Drochtersen/Assel) spielen mit dem VfL eine Liga höher als zuvor.
Schweinsteiger legt seinen Fokus im täglichen Umgang auch auf "die kleinen Dinge", und nennt Beispiele: ob jemand die Kaffeetasse des anderen mit abräume, die Tische nach dem gemeinsamen Essen sauber gemacht werden. "Die Jungs wissen inzwischen, was ich verlange und für welche Werte ich stehe. Dazu gehört auch, dass ich sanktioniere, wenn etwas nicht funktioniert." Eine Herangehensweise, die Schweinsteiger nach mehreren Stationen als Co-Trainer (unter anderem beim FC Bayern II und beim HSV) erstmals als Cheftrainer anwenden kann. Bei einem Verein, der im Sommer kurzfristig einen neuen suchen musste und diesen beim 1. FC Nürnberg fand.
Vorgänger Daniel Scherning hatte es nach dem vierten Drittliga-Spieltag zu Zweitligist Arminia Bielefeld gezogen, der VfL erhielt im Gegenzug eine sechsstellige Ablöse, außerdem wechselte kurz darauf Noel Niemann aus Ostwestfalen über die Landesgrenze nach Niedersachsen. Der Außenspieler ist mit 7 Torvorlagen in 16 Einsätzen inzwischen ebenfalls kaum mehr aus der Startaufstellung wegzudenken, in Ingolstadt verpasste er seinen ersten eigenen Treffer nur knapp.
Kritik am Vorgänger und neue Rolle für den Kapitän
Gelenkt wird das Spiel der Osnabrücker im Zentrum von Sven Köhler und Robert Tesche, der den Großteil seiner 243 Einsätze in beiden Bundesligen für den VfL Bochum absolvierte, in allen 22 Drittliga-Spielen in der Osnabrücker Startelf stand und jüngst seinen Vertrag bei an der Bremer Brücke verlängerte. Schweinsteiger aber hebt ungern individuelle Leistungen hervor, betont lieber das Kollektiv und erwähnte nach dem Erfolg in Ingolstadt alle Eingewechselten und auch die Ersatzspieler. "Weil alle dazugehören", wie die NOZ resümierte.
Dabei hatte der ehemalige Profi im Spätsommer eine verunsicherte Mannschaft übernommen. Nach dem 1:0-Auftaktsieg gegen den MSV Duisburg blieb der VfL sechsmal sieglos, ehe am achten Spieltag wiederum ein 1:0 gegen Aufsteiger Rot-Weiss Essen den Bann endlich brach. Nachhaltigen Erfolg aber brachte das nicht, erstmals zwei Spiele (und mehr) in Folge gewannen die Osnabrücker mit Beginn der aktuellen Serie. Es ist die derzeit längste in den drei höchsten Spielklassen des Landes, in der Bundesliga haben Dortmund und Union Berlin als "VfL-Verfolger" je fünf Spiele am Stück gewonnen.
"Wir haben das Fitnesslevel spürbar angehoben", sagte Schweinsteiger auf die Unterschiede zu seiner Anfangszeit angesprochen. Daraus lässt sich auch Kritik an der Arbeit des Vorgängers ableiten, der die Mannschaft schließlich auf die Saison vorbereitet hatte. Und das offenbar nicht gut genug, wenn die Ergebnisse der ersten Wochen als Maßstab gelten. "Die Jungs können jetzt das Tempo, das wir für unsere Art des Fußballs brauchen", so der 40-Jährige, der "die Sprintfähigkeit im oberen Bereich" als Erfolgsfaktor ausgemacht hat: "Wer häufiger und schneller sprinten kann, wird im Vorteil sein." Das scheint sich messbar auf die wichtige Statistik im Fußball auszuwirken: In den fünf Spielen vor der Siegesserie (ein Sieg, vier Niederlagen) kassierte der VfL immer mindestens zwei Gegentreffer. Seitdem? Maximal eins, bei immer mindestens zwei eigenen Toren.
Kapitän Marc Heider sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung" in dieser Woche, die Mannschaft habe sich "vor der Winterpause zwei-, dreimal zusammengesetzt, weil wir merkten, dass da noch ein paar Mosaiksteine fehlen, was den Zusammenhalt angeht. Das hat ganz offenbar gefruchtet." Der 36-Jährige war einst aus der VfL-Jugend zu den Profis aufgestiegen und nach Stationen bei Werder Bremen II und Holstein Kiel im Sommer 2016 nach Osnabrück zurückgekehrt. Unter Scherning noch gesetzt, kommt er bei Schweinsteiger bevorzugt von der Bank. "Es war schwer, das zu akzeptieren", gibt der Stürmer zu, der vor seinem 300. Drittliga-Spiel steht und inzwischen in der neuen Rolle aufgeht. Vier Joker-Tore stehen in der Statistik für Heider, der bei den Fans auch wegen seines unermüdlichen Einsatzes und seiner Lauffreude hohes Ansehen genießt.
"Eule" räumt in der Abwehr auf
Die Fans sind in Osnabrück immer schon ein wichtiger Bestandteil des Erfolgs, gehören seit vielen Jahren zu den aktivsten und engagiertesten im deutschen Profifußball. Das enge Stadion an der Bremer Brücke, benannt nach der benachbarten Eisenbahnbrücke auf der Strecke zwischen Osnabrück und Bremen, geht auf seinen 100. Geburtstag zu und steht sinnbildlich für vieles, was die dritte Liga vom Hochglanzfußball darüber unterscheidet. Parkplätze gibt es nur wenige, aus so manchem Wohnhaus lässt sich durch Dachfenster das Spiel auch ohne Ticket verfolgen, das Flutlicht ist weit über die Tribünen hinaus sichtbar - und ob der VfL gerade erfolgreich spielt, ist je nach Windrichtung nicht nur im umgebenden Stadtteil Schinkel, sondern bis in die Innenstadt zu vernehmen.
Für eine enge Bindung zwischen Mannschaft und Fans sorgt auch, dass mit Omar Traoré ein Kind der Stadt einen festen Platz in der Startelf hat. Der 25-Jährige kam einst vom SV Rasensport Osnabrück in die VfL-Jugend, wechselte zunächst zu Eintracht Braunschweig, ehe er über West-Regionalligist Rödinghausen und den KFC Uerdingen in seine Heimat zurückkehrte. Ähnlich wie Abwehrchef Timo Beermann, zumeist "Eule" genannt. In Ostercappeln unweit der 165.000-Einwohner-Stadt geboren, kam er als 14-Jähriger zu den Lila-Weißen, ging 2013 zum 1. FC Heidenheim, mit dem er gleich in seiner ersten Saison die Drittliga-Meisterschaft feierte und aufstieg. Mit 32 Jahren führt er die Mannschaft in Heiders Abwesenheit nun regelmäßig als Kapitän aufs Feld.
Dass die Aufholjagd mit dem Titelgewinn endet, scheint angesichts der Dominanz des SV Elversberg zwar ausgeschlossen - die Saarländer führen die Liga mit neun Punkten Vorsprung an, stellen die beste Abwehr und den besten Angriff -, die Relegation aber ist für die aktuell fünftplatzierten Osnabrücker schon in Reichweite. Gelingt gegen Aufsteiger SpVgg Bayreuth (Samstag, 14 Uhr/MagentaSport und im Liveticker bei ntv.de) der achte Sieg in Serie, bieten sich danach in den Topspielen zu Hause gegen den Zweiten Wehen Wiesbaden und auswärts beim Vierten Saarbrücken zwei große Chancen, noch weiter vorzurücken. Zumal Platz vier in dieser Saison schon reichen könnte, um den Sprung in die 2. Bundesliga zu schaffen, weil die momentan drittplatzierte Zweitvertretung des SC Freiburg nicht aufsteigen darf.
So weit in die Zukunft denkt Schweinsteiger allerdings noch nicht: "Die Liga ist so eng, dass wir nichts anderes tun, als uns auf das jeweilige Spiel zu konzentrieren." Den SV Elversberg, der gerade am Durchmarsch aus der vierten in die zweite Liga arbeitet, sieht der VfL-Übungsleiter zwar als enteilt an, sonst aber sagt er: "Es hilft überhaupt nichts, sich damit weiter zu beschäftigen." So sieht es auch Heider, der den Siegesrausch zwar genießt, aber auch weiß, "dass man von Spiel zu Spiel eher mehr tun muss, um ihn fortzusetzen". Schon allein, damit Erik Engelhardt noch viele Kusshände verteilen kann und Oma Isabella noch ein paar Mal öfter mit viel Freude zuschaut.
Quelle: ntv.de