"Heilige Kühe" sind das Problem "Voetbal Totaal" steckt in der Talentkrise
28.03.2017, 15:46 Uhr
Die Vertreter der Generation "Voetbal Totaal" um ihre prägende Gestalt Johan Cruyff würden an der heutigen Situation im niederländischen Fußball wohl verzweifeln.
(Foto: imago/Kicker/Metelmann)
Über Jahrzehnte werden die Niederlande für ihre Ausbildung, für ihre vielen Top-Talente bewundert. Doch die scheinbar nie versiegende Quelle an hochklassigen Jugendspielern ist seit Jahren ausgetrocknet - mit gravierenden Spätfolgen für den Fußball.
Johan Cruyff, Patrick Kluivert, Arjen Robben - über viele Jahrzehnte brachte die niederländische Fußballschule etliche Stars hervor. Die fußballerische Ausbildung im 17-Millionen-Einwohner-Land war Vorbild für die großen Nationen - und eine scheinbar nie versiegende Talente-Quelle für die eigene Nationalmannschaft. Doch das war einmal. Die Elftal steckt nicht trotz, sondern wegen der Nachwuchsarbeit tief in der Krise.
Dieses Problem werde auch der Nachfolger des am Sonntag entlassenen Bondscoach Danny Blind nicht auf Anhieb lösen können, gibt Huub Stevens zu bedenken. "Ich habe immer gesagt, dass es aktuell nicht das Problem des Nationaltrainers ist, sondern es liegt an der Jugendarbeit", sagte der Niederländer bei Sport1: "Wir müssen immer wieder mit einer gewissen Kreativität gute Fußballer hervorbringen, was nicht leicht ist."
Vor allem nicht, wenn Oranje nach der EM 2016 auch die WM 2018 in Russland verpassen sollte. Doch danach sieht es derzeit aus. Dann würden dem niederländischen Fußballverband KNVB wieder wichtige Einnahmen wegbrechen, vielleicht auch Sponsoren abspringen. Dabei bräuchte der Verband dringend frisches Geld für ein überarbeitetes Nachwuchskonzept. Das jetzige, das sich noch immer nach dem "Voetbal Totaal" der erfolgreichen 70er-Jahre richtet, scheint sich überholt zu haben.
Unantastbar muss antastbar werden
Die "Heiligen Kühe" in der niederländischen Fußball-Ausbildung, das 4-3-3-System mit zwei klassischen Außenstürmern, die Positionstreue und das Streben nach viel Ballbesitz - sie alle stehen auf dem Prüfstand. Denn während die Niederländer an der Perfektion des schönen Spiels werkeln, werden sie von anderen Ländern in Sachen Athletik, Taktik und Flexibilität deutlich überholt.
Den dritten Platz bei der WM 2014 hat die Elftal auch nicht erreicht, weil es überragende Fußballer in ihren Reihen hatte. Sondern weil der damalige Bondscoach Louis van Gaal deutlich defensiver und gegnerorientierter spielen ließ. Mit dem ehemaligen Bayern-Cheftrainer wollen die KNVB-Bosse in Kürze Gespräche über die Zukunft der Nationalmannschaft führen. Blind war van Gaals Co-Trainer, als Bondscoach rückte er von diesem Weg wieder ab. Das Ende ist bekannt.
"Blind ist die Verkörperung einer hartnäckigen, um nicht zu sagen verstockten niederländischen Idee von Fußball. Er hat die Goldenen Jahre mitgemacht", schrieb die Zeitung "Trouw" in einem Kommentar. Doch die Goldenen Jahre sind längst vorbei. Spieler wie Ibrahim Afellay oder Eljero Elia, die heute das Gerüst der Nationalmannschaft stellen sollten, haben aus ihrem großen Talent kaum etwas gemacht. Vielversprechende Nachwuchsspieler gibt es immer noch in Holland, doch die wechseln oft zu früh ins Ausland, wo sie dann meist nur eine Nebenrolle spielen und stagnieren. In der heimischen Liga zu bleiben, ist für viele aber auch keine Alternative, weil das Niveau in der Eredivisie in den vergangenen Jahren stark nachgelassen hat.
Ein weiteres Problem scheint die Mentalität. "Seit vielen Jahren wird darüber geredet, dass wir in den Niederlanden zu wenig Spieler mit einer Sieger-Mentalität haben", sagt Stevens: "Das fängt bei der Jugendarbeit und bei der Erziehung zu Hause an." An Siegermentalität mangelt es Arjen Robben nicht, an Klasse erst recht nicht. Der 33 Jahre alte Bayern-Profi ist momentan der einzige Niederländer von Weltklasseformat - er kommt aber auch aus einer anderen Zeit.
Quelle: ntv.de, Jörg Soldwisch & Christiana Mansfeld, sid