Löws fulminanter Fußball ist der beste Weg Warum die DFB-Elf zum Titel stürmen muss
16.10.2013, 11:59 Uhr
Den Fans bereitete das Spiel sichtlich Vergnügen - na gut, zumindest in Hälfte zwei.
(Foto: dpa)
Atemberaubende Kombinationen, Tore über Tore, Ballbesitz bis zum Abwinken - die DFB-Elf meistert die Qualifikation zur WM mit Bravour und bietet ein offensives Spektakel. Ob das für den Titel reicht? Wissen wir auch nicht. Aber es geht nur so.
Kaum hatten Deutschlands Fußballer im letzten Qualifikationsspiel zur Weltmeisterschaft die Auswahl Schwedens mit 5:3 besiegt, meldeten sich auf der Pressetribüne der Friends Arena im Stockholmer Vorort Solna die Kritiker. Sie bemängelten: die Schwäche in der Abwehr, die mangelhafte Abstimmung, wieder drei Gegentore. Und überhaupt: Die Offensive gewinnt Spiele, die Defensive aber Titel. Alles nicht falsch. Aber der falsche Ansatz. Denn jetzt ist es mal gut. Fünf Gründe, warum die Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw auf dem richtigen Weg ist. Und ein Plädoyer für einen Fußball, der Spaß macht:
1. Es ging in dieser Partie - um nichts. Wenn die DFB-Elf, das Ticket für die Weltmeisterschaft in Brasilien in der Tasche, nach unkonzentriertem Beginn in einem bedeutungslosen Spiel eine derart fulminante Aufholjagd startet, ist das bemerkenswert. Und wenn Mittelfeldspieler Bastian Schweinsteiger sagt, dass ihm in seinem 100. Länderspiel ein 2:0 lieber gewesen wäre als dieses vogelwilde 5:3, ist das verständlich. Er wird geahnt haben, welche Diskussionen nun wieder auf ihn und seine Kollegen zukommen. Wir aber sagen: Nein, ein 2:0 ist uns nicht lieber. Wir wollen das Spektakel, atemberaubend schnelle Kombinationen, acht Tore. Wir wollen unterhalten werden, Tore bestaunen wie den perfekten Schlenzer in den Winkel von Mario Götze zum 2:2, wie André Schürrles energischen Alleingang zum 3:2. Fußball darf ruhig Spaß machen und Freude bereiten. Darin liegt doch letztlich sein Sinn.
2. Die Bilanz der DFB-Elf ist grandios. Wer ständig die Fehler in der Defensive kritisiert, der unterschlägt, dass die deutsche Mannschaft auch sehr viele Tore schießt. In dem nun beendeten Zyklus waren es bei neun Siegen in zehn Spielen genau 36 - mehr als je zuvor in einer WM-Qualifikation. Zum zweiten Mal hintereinander schaffte es die deutsche Mannschaft ohne Niederlage zu einem großen Turnier. Und immer, wenn eine Mannschaft gegen Deutschland verloren hat, trösten sich die gegnerischen Trainer damit, einem der besten Teams der Welt unterlegen zu sein. Andere haben da größere Probleme: Die Engländer hatten schon den nationalen Notstand ausgerufen und qualifizierten sich erst mit einem Sieg im letzten Gruppenspiel gegen Polen für die WM. Die Italiener spielten viermal Remis, selbst für Welt- und Europameister Spanien reichte es in zwei von acht Partien nur zu einem Unentschieden - zugegeben einmal gegen Frankreich, aber auch einmal gegen Finnland. Nur die Niederländer erreichten wie die Deutschen souverän 28 Punkte. Mit Recht betonte der Bundestrainer nach dem Sieg in Schweden, dass seine Mannschaft seit der WM 2010 von 25 Spielen, in denen es um etwas ging, 23 gewonnen hat. Hinzu kommen das mysteriöse 4:4 gegen Schweden und die schmerzhafte 1:2-Niederlage gegen Italien im Halbfinale der Europameisterschaft 2012 in Warschau.
Tore: 1:0 Hysen (6.), 2:0 Kacaniklic (42.), 2:1 Özil (45.), 2:2 Götze (53.), 2:3 Schürrle (57.), 2:4 Schürrle (66.), 3:4 Hysen (69.), 3:5 Schürrle (76.)
Schweden: Wiland - Bengtsson, Nilsson, Antonsson, Martin Olsson - Elm (58. Svensson), Källström - Larsson, Kacaniklic (73. Durmaz) - Toivonen (84. Wernbloom), Hysen
Deutschland: Neuer - Lahm, Boateng, Hummels, Jansen - Schweinsteiger, Kroos - Thomas Müller (46. Götze), Özil (82. Draxler), Schürrle - Kruse (75. Höwedes)
Referee: Collum (Schottland) Zus.: 49.251
3. Joachim Löw ist nicht dumm. Seine Spieler auch nicht. Der Bundestrainer konzedierte in Stockholm: "Dass wir uns offensiv wie defensiv verbessern müssen in Richtung Brasilien, steht außer Frage." Schweinsteiger kündigte gar an: "Spätestens wenn es zur WM geht, werden wir defensiv gut stehen. Und es wird sehr schwierig sein, gegen uns Tore zu erzielen." Zugegeben: Absichtsbekundungen gewinnen auch keine Titel. Aber Joachim Löw hat das Problem, wenn nicht gebannt, so doch erkannt. Anders als früher räumt er das offen ein. "Wir wissen, dass wir in der Defensive solche Fehler nicht machen dürfen. Aber immer klappt das nicht." Auch er hat gesehen, dass die Schweden vor ihren beiden ersten Toren mit zwei guten Pässen durchs Abwehrzentrum die DFB-Elf ausgehebelt hatten. Dabei sahen die Innenverteidiger Jérome Boteng und Mats Hummels dumm aus, mussten aber letztlich für die Fehler ihrer Vorderleute büßen. Grundsätzlich setzt er darauf, direkt vor der WM mit der Mannschaft längere Zeit trainieren zu können. Sagte auch Kapitän Philipp Lahm und sprach von Abstimmungsproblemen, "die man manchmal hat, weil die Spieler aus verschiedenen Vereinen kommen". Vor einem Turnier habe man aber "Wochen Zeit, das einzustudieren".
4. Schöner Fußball ist kein Selbstzweck. Gegen Schweden verzeichnete die deutsche Mannschaft 70 Prozent Ballbesitz, gegen Irland im vorletzten Qualifikationsspiel am vergangenen Freitag in Köln waren es fast 75 Prozent. Was das betrifft, herrschen bei der DFB-Elf bereits spanische Verhältnisse. Und es spricht für das Selbstbewusstsein, dass sich das Team in Stockholm trotz des Rückstandes gegen verdammt effektive Schweden nicht aus dem Konzept bringen ließ. Sondern im Gegenteil das Tempo noch erhöhte. Oder wie es Joachim Löw formulierte: "Insgesamt haben wir es 90 Minuten durchgezogen und gewonnen." Das sah nicht nur gut aus, sondern war auch erfolgreich. Dennoch ist diese Art des Fußballs kein Selbstzweck, es geht nicht um brotlosen Ballbesitz und darum, in Schönheit zu sterben. Das Vorbild des Bundestrainers, der die Offensive so liebt, sind die Spanier, die seit fünf Jahren das Geschehen dominieren. Um sie irgendwann zu schlagen, so sein Credo, muss die deutsche Mannschaft mithalten können. Nicht etwa versuchen, das Spiel der Spanier zu zerstören. Daher entwickelt der Bundestrainer sein Team ständig weiter, von der eher auf Konter ausgelegten Mannschaft der WM 2010 hin zu einem Team, das immer öfter auf Gegner trifft, die sich einigeln und die Deutschen das Spiel machen lassen. Ja, bisweilen fehlt dem DFB-Team die Balance zwischen solider Abwehr und Spektakel im Angriff. Aber einen anderen Weg gibt es nicht, als genau diese Gratwanderung zu versuchen.
5. Natürlich geht es um’s Gewinnen. Wir reden hier von Profis, die den Anspruch haben, das Bestmögliche zu erreichen. Es geht nicht um Breitensportler, die froh sind, dabei zu sein. Joachim Löw und seine Spieler haben oft genug betont, dass sie im kommenden Jahr in Brasilien Weltmeister werden wollen. So wie sie vor der jüngsten Europameisterschaft angekündigt hatten, in Polen und der Ukraine den Titel gewinnen zu wollen. Warum auch nicht? Was soll denn sonst das Ziel einer Mannschaft sein, die sich seit Jahren in der Qualifikation kaum eine Blöße gibt? Sie sind gut, also wollen sie gewinnen. Das ist nicht nur legitim, das ist notwendig, gerade weil der Traum beim bisher letzten Mal im EM-Halbfinale gegen Italien so jäh geplatzt ist. Wichtig ist, dass sie aus den Fehlern lernen, ohne den Zweifeln zu viel Raum zu geben. Und doch bei aller Akribie nicht vergessen: Titel sind nicht planbar. Das perfekte Spiel gibt es nicht. Vielleicht in den Köpfen der Kritiker. Aber nicht auf dem Platz. Die deutsche Mannschaft ist auf dem richtigen Weg. Und wenn es nicht klappt, haben wir wenigstens Spaß gehabt.
Quelle: ntv.de