Fußball

Die Krise schlägt auch 2020 zu Was beim DFB-Team alles schiefläuft

Unzufrieden.

Unzufrieden.

(Foto: imago images/Eibner)

Dieses Jahr läuft für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft alles andere als optimal. Das 0:6 gegen Spanien im November ist ein neuer Tiefpunkt auf dem Weg zum versuchten Wiederaufbau. Die Argumente, die der Verband für die schwachen Leistungen liefert, sind nicht zufriedenstellend.

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) rühmt sich gerne damit, dass er mit sieben Millionen Mitgliedern der größte nationale Sportverband der Welt ist. Was den DFB-Oberen aber nicht schmeckt, ist, wenn sie unter zu starker medialer Beobachtung stehen. Die Kritik am Verband war nach der 0:6-Schmach gegen Spanien im November so harsch wie schon lange nicht. Wahrscheinlich wurde letztmalig in der Erich-Ribbeck-Ära im Jahr 2000 sehr so auf die Nationalmannschaft und die Verantwortlichen eingehauen.

Das Premiumprojekt, gerne marketinggerecht als "Die Mannschaft" betitelt, erstrahlte nicht im gewünschten Glanz, sondern wirkte wie Ramschware. In den DFB-Führungsetagen wurde intensiv getagt und ein entsprechender Krisenkommunikationsplan entwickelt. Einige Wochen nach der Niederlage in Sevilla trat zunächst Oliver Bierhoff, seines Zeichens DFB-Direktor, vor die Öffentlichkeit. Später äußerte sich dann auch Bundestrainer Joachim Löw, aber eben erst, als Bierhoff den Boden bereitet hatte.

Der Ex-Nationalspieler, der die Krisenära von 2000 als Aktiver miterlebt hatte, teilte anhand von zahlreichen Grafiken und Charts eine interessante, wenngleich zweifelhafte Analyse zur Lage der Nationalmannschaft. Zusammengefasst sagte Bierhoff:

  • Löw habe mit der erfolgreichen EM-Qualifikation, dem Klassenerhalt in der Nations League und dem Sprung in den ersten Topf bei der am kommenden Montag anstehenden Auslosung der WM-Qualifikation alle Vorgaben erfüllt.
  • Zudem habe Löw den Spielstil der Mannschaft seit der WM 2018 weiterentwickelt und ließe nun einen aktiveren Fußball spielen. Der Spielstil werde von der Mannschaft angenommen, könne aber gerade 2020 bei der Belastung physisch nicht immer so umgesetzt werden. Dies sei die Folge der Corona-Pandemie und des nach dem Restart extrem engen Spielplans, der eine genaue Belastungssteuerung erfordere.
  • Die Bewertung der Arbeit eines Bundestrainers könne man "nicht an einem Spiel festmachen". Auch andere Mannschaften und andere Trainer würden sich immer mal wieder mit unerwarteten Niederlagen und nicht immer nachvollziehbaren Formschwankungen konfrontiert sehen. Beim DFB-Team müsse man zudem bedenken, dass es sich um eine "unerfahrene Mannschaft" handle. So habe das aktuelle Team "145 Prozent weniger Länderspiele bestritten" als die Weltmeister-Mannschaft von 2014.

Geradliniger Fußball ist nicht automatisch erfolgreicher

Bierhoff schloss seine Analyse, die zugleich eine Art Stellungnahme des DFB damit ab, dass der Verband "den seit März 2019 eingeschlagenen Weg der Erneuerung der Nationalmannschaft mit Bundestrainer Joachim Löw uneingeschränkt fortsetzen" möchte. Nun ist es per se kein schlechtes Zeichen, wenn sportlich Verantwortliche nach einer schmachvollen Niederlage nicht sofort aufgrund dieses einen Ergebnisses die Reißleine ziehen und den Trainer entlassen. Das geschieht im Profifußball viel zu häufig, wobei zu oft Ergebnisse überschätzt und Leistungen von Mannschaft unterschätzt werden.

Im Fall der deutschen Nationalmannschaft stimmen weder die Leistungen noch die Ergebnisse. Die von Bierhoff diagnostizierte sportliche Weiterentwicklung geschah allenfalls in rudimentären Zügen. Zudem bestehen immer noch Fragen, inwieweit der direkte und schnellere Spielstil überhaupt zu den Offensiv- und Kreativkräften der Nationalmannschaft passt. Nach der blamablen WM von 2018 und den ersten durchwachsenen Vorstellungen im Nachgang wollte Löw seine pfeilschnellen Angreifer wie Serge Gnabry und Timo Werner stärker im Konterspiel nutzen. Heraus kam ein Fußball mit langen Bällen und ohne kreatives Mittelfeld.

Die Zentrale um Toni Kroos und Joshua Kimmich konnte offensiv nur bedingt eingreifen, weil der Ball häufig so schnell nach vorn geschlagen wurde. Im Übrigen waren lange Bälle auch ein versuchtes Mittel gegen Spaniens Pressing im November. Nur die Zuspiele kamen selten vorn an und flogen stattdessen über die Köpfe von Werner und anderen hinweg. Warum gerade die deutsche Nationalmannschaft mit ihren technisch beschlagenen aber keinesfalls bulligen Offensivakteuren nun unbedingt dieses weiträumige Spiel praktizieren muss, bleibt bis jetzt unklar.

Argumente ziehen nicht

Der einzige Erklärungsansatz besteht wohl darin, dass die DFB-Auswahl dadurch weniger Risiko eingeht und zugleich geradliniger spielen kann - Letzteres wird gerne historisch bedingt als "typisch deutsche" Spielweise angesehen. Allerdings gibt die deutsche Mannschaft in Partien gegen Top-Teams damit jegliche Kontrolle aus der Hand und muss ständig verteidigen. Genau das liegt ihr aber überhaupt nicht.

Deutschland mag aktuell keine neue goldene Generation haben, denn gerade in der Defensive ist man im Vergleich zu Frankreich oder auch Spanien weit weg von der Spitze. Aber mit Kimmich, Werner und Gnabry sowie Leroy Sané, Kai Havertz, Leon Goretzka und einigen anderen sollte doch etwas mehr drin sein. Das Argument, dass diese Mannschaft nicht über die notwendige Erfahrung verfügt, ist auch allenfalls bedingt zutreffend. Immerhin gibt es in der Auswahl einige amtierende Champions-League-Sieger sowie knapp ein Dutzend Spieler, die sich auf der internationalen Bühne bewährt haben. Oder zweifelt jemand etwa an der Erfahrung eines Sané, weil dieser bis dato "nur" 25 Länderspiele absolviert hat?

Auch die Corona-Pandemie sollte nicht als Ausrede dienen. Natürlich sind die Begleitumstände nicht optimal, um eine Mannschaft weiterzuentwickeln. Allerdings ist der Kern der Mannschaft bereits seit 2019 zusammen und zudem müssen andere Nationalteams unter sehr ähnlichen Gegebenheiten arbeiten. Die Spanier hatten beim 6:0-Sieg auch eine umgebaute Mannschaft auf dem Feld, die nicht unbedingt nur mit Weltstars besetzt war. Andernorts funktioniert der Umbruch, in Deutschland momentan (noch) nicht.

EM als Prüfung für Löw

Der DFB hat sich hinter Löw gestellt, was angesichts des Timings der Niederlage in Sevilla nicht überraschend war. In rund sechs Monaten spielt Deutschland bei der Europameisterschaft. Ein Trainerwechsel hätte allenfalls für Chaos gesorgt, aber im Kontext einer Nationalmannschaft gewiss nicht zu einem schnellen Impuls geführt, wie man es bei Vereinen häufiger sieht. Der neue Trainer hätte nahezu keine Zeit gehabt, um positiven Einfluss zu nehmen.

Zudem könnte die anstehende EM so eine Art letzte Prüfung für Löw werden, der dann beweisen muss, dass er mit der DFB-Auswahl zumindest leistungstechnisch auf dem richtigen Weg ist. Irgendwann werden auch Bierhoff und anderen Verbandsoberen die Argumente ausgehen.

Quelle: ntv.de

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