Von der Tribüne in die Startelf Wie Labbadia das Big-City-Chaos bändigt
06.06.2020, 11:03 Uhr
"Da geht's lang": Bruno Labbadia gibt der Hertha wieder eine Richtung vor.
(Foto: imago images/Matthias Koch)
Mit viel Aufwind reist Hertha BSC zum BVB. Neu-Trainer Bruno Labbadia schafft es, den verunsicherten Blau-Weißen wieder Selbstvertrauen einzuimpfen. In Dortmund warten auf den 54-Jährigen eine Horror-Serie und eine "außergewöhnliche" Mannschaft.
Fast verlegen grinst Bruno Labbadia und schaut dann doch etwas ungläubig: "Das kann nicht wahr sein, ehrlich?" Doch die Statistik lügt nicht. Der Trainer von Hertha BSC weist gegen Borussia Dortmund eine miserable Bilanz auf: Noch nie konnte er als Coach auswärts bei den Schwarz-Gelben gewinnen. Nicht mit dem VfL Wolfsburg, nicht mit dem Hamburger SV, auch nicht mit dem VfB Stuttgart oder Bayer Leverkusen. "Das hätte ich nicht gedacht, in Dortmund habe ich schon packende Spiele gehabt."
Dieses Mal soll es endlich anders werden (18.30 Uhr im ntv.de-Liveticker). Aktuell sieht es prächtig aus: Seine Hertha holte zehn Punkte aus den ersten vier Spielen seit dem Bundesliga-Restart, seit dem Beginn von Labbadias Amtszeit. "Wenn wir nur die Hälfte geholt hätten, wäre das schon gut gewesen." Das gibt ihm und seinem Team Selbstvertrauen: "Natürlich wollen wir unseren Lauf fortführen." Egal, dass der BVB in Labbadias Augen "eine der zwei besten Mannschaften der Liga" ist. "Wir wollen ein sehr, sehr gutes Spiel", so Labbadia. Wichtig ist, "dass die Mannschaft so weitermacht, unabhängig vom Ergebnis."
Es ist eine Überraschung, dass Labbadia das so selbstbewusst sagen kann. Die Saison der Berliner lief bis zur Corona-Pause alles andere als geordnet. Es beginnt mit dem Windhorst-Einstieg, dem Träumen von der Meisterschaft, großen Namen und dem Big-City-Club. Es folgen die Klinsmann-Posse, andauernde Trainerwechsel und eine verunsicherte Mannschaft. Das ganz große Big-City-Chaos. Dann wurde Labbadia ins Amt befördert – eine Entscheidung, die überraschte. Eine Entscheidung, die nun zum Saisonhoch führt. Der vierte Trainer in der aktuellen Spielzeit hat die Pause zu seinem Amtsantritt genutzt. Das zeigt sich in den Ergebnissen, das zeigt sich in der Tabelle, das zeigt sich im Auftreten der Spieler.

Jordan Torunigha wird unter Bruno Labbadia zur Stammkraft. Unter seinem neuen Trainer verpasst er keine Minute.
(Foto: imago images/Matthias Koch)
Unter anderem bei Jordan Torunarigha. Für das blau-weiße Eigengewächs bietet sich "eine Riesen-Möglichkeit", so Labbadia. In den vier Spielen unter dem neuen Coach verpasste der Innenverteidiger keine einzige Minute. Damit spielte er pro Partie fast so viel wie in der gesamten Hinrunde, als er auf insgesamt 91 Einsatzminuten kam, häufig nicht einmal im Kader stand und von der Tribüne zuschaute. Der 22-Jährige dankt es dem Trainer mit stabilen Leistungen. Beim 2:0-Sieg gegen den FC Augsburg klärte er potenziell gefährliche Angriffe des Gegners frühzeitig, hatte eine gute Zweikampfquote von 50 Prozent. Doch nicht im Spiel gegen, sondern auch mit dem Ball zeigt er sein Talent, was auch Labbadia explizit lobt: "Wenn er die Sicherheit hat, hat Jordan einen sehr guten Spielbaufbau.“
Eben jene Sicherheit bekommt Torunarigha nicht zuletzt durch seinen Nebenmann Dedryck Boyata. Die Auftritte des Belgiers sind wesentlich stabiler als in der Hinrunde. Als gegen Augsburg in der Schlussphase die Kräfte schwanden, eliminierte er die Angriffsversuche des Gegners. In der Luft glänzt der 1,88 Meter große Verteidiger sowieso, aber auch am Boden setzt er sich durch. Gegen den FCA hatte er eine Zweikampfquote von 52 Prozent. "Beide zusammen geben der Mannschaft, was ihr vorher gefehlt hat", erklärt der neue Coach: "Sie spielen miteinander, nicht nebeneinander. Sie schützen sich gegenseitig."
Labbadia lobt viel, setzt auf Ermutigung: Die Spieler spüren diese neugewonnene Sicherheit - setzen sie auf dem Platz um. Torunarigha wird selbstbewusster: "Man merkt einfach, wir sind geschlossener zusammen", sagte er dem Vereins-TV. Gerade Profis, die bei den häufigen Trainerwechseln zuvor in der zweiten Reihe standen, profitieren davon.

Jordan Torunarigha (v.r.) und Javairo Dilrosun jubeln auf coronakonforme Weise über den Führungstreffer gegen Augsburg.
(Foto: picture alliance/dpa)
Einer davon ist Javairo Dilrosun. In der Hinrunde spielte der Niederländer zwar häufig, ihm fehlte aber - wie den meisten seiner Teamkollegen - die Konstanz. In den ersten Spielen unter Labbadia wurde er eingewechselt, spielte gut und durfte gegen Augsburg erstmals für 90 Minuten ran. Besorgte mit einem Geniestreich die wichtige Führung und wurde erst in der 91. ausgewechselt. Da war das Spiel entschieden. "Jav hat Potenzial. Wir müssen den Jungen einfach ein Stück rausbringen", betont Labbadia, "ich will ihm behilflich sein, dass er nicht übersehen wird."
Nicht wenige sagen dem talentierten Niederländer eine große Zukunft voraus. Beim Gastspiel in Dortmund wird er wohl wieder den quirligen Matheus Cunha ersetzen, der mit einer Gehirnerschütterung ausfällt. Der Brasilianer begeisterte zuletzt bei der Hertha, ihn zu ersetzen wird eine Herausforderung für Dilrosun - was ihm gegen den FCA aber schon ganz gut gelang. Folgt man den Aussagen Labbadias ist es auch eine, die der 21-Jährige nutzen könnte, um auf sich aufmerksam zu machen. Schließlich geht es nicht nur um die miserable BVB-Serie seines Trainers, sondern es steht auch ein erneutes Investment von Lars Windhorst im Raum. 150 Millionen Euro, die Erfolg einfordern. Der nächste Schritt soll Labbadias erster Sieg in Dortmund sein.
Quelle: ntv.de