Fußball

Barcelonas Doctor Strange Wie Sergio Busquets jahrelang die Zeit manipulierte

Weiß genau wo der Ball gleich hingeht: Sergio Busquets.

Weiß genau wo der Ball gleich hingeht: Sergio Busquets.

(Foto: imago/Pacific Press Agency)

2023 kehren Ikonen des Fußballs Europa den Rücken. Cristiano Ronaldo ist als Galionsfigur eines neuen Transferstroms nach Saudi-Arabien aufgebrochen, Lionel Messi hat sich in den Vorruhestand in Miami zurückgezogen. Begleitet wird er dabei von einem der besten Fußballer aller Zeiten und guten Freund: Sergio Busquets.

Etwas mehr als zwei Minuten sind gespielt, als Sergio Busquets am Mittelkreis den Ball gewinnt. Als ein Verteidiger auf ihn zukommt, stoppt er die Kugel mit dem einen Fuß, mit der Innenseite des anderen spielt er ihn zum Mitspieler. Umgehend marschiert er weiter Richtung Strafraum, dort leitet er den Ball per Hacke zu seinem Nebenmann, bekommt in postwendend zurück und schießt ihn volley unter die Latte zum 2:0. Ein Raunen geht durchs Publikum.

Doch keine Angst, Sie haben nicht eines der schönsten Barça-Tore der letzten Jahre vergessen. Denn die hier beschriebene Szene findet nicht auf grünem Rasen statt. Sie beschreibt ein Tor in einem Hallenfußballspiel im Jahr 2012. Auf dem Feld stehen ausschließlich Spieler des FC Barcelona, am Seitenrand Pep Guardiola und sein langjähriger Assistent und damaliger Nachfolger Tito Vilanova, der 2014 verstirbt.

"Du kommst nicht an ihn ran"

Es ist einer der sehr seltenen Momente, in denen Sergio Busquets etwas für die Galerie tut. In denen die Zuschauer jubeln, wenn er am Ball ist und seine Kollegen zu ihm kommen, um mit ihm ein Tor zu feiern. Knapp 900 Spiele bestreitet er für den FC Barcelona und die spanische Nationalmannschaft, seit Sommer 2023 kommen noch einige für Inter Miami dazu. Wahrscheinlich war er in keinem dieser Spiele der auffälligste Akteur auf dem Feld. In seiner Profi-Laufbahn erzielt er 20 Treffer. Zum Vergleich: Bayern-Legende Javi Martínez kommt auf knapp 49 Tore, der heutige Leverkusen-Coach Xabi Alonso auf 43. Beide haben weniger Spiele.

Steven Gerrard sagt über Busquets: "Irgendwann hörst du auf, ihn zu pressen, weil es so frustrierend ist. Du kommst nicht an ihn ran, du kommst nicht an den Ball ran." Es klingt wie ein Widerspruch. Denn zu seinem auch für einen defensiven Mittelfeldspieler außerordentlich dürftigen Scoring-Output gesellt sich eine Physis, die sich wohl kaum ein Fußballer wünscht. Groß und dürr storcht Busquets jahrelang über die Fußballplätze Europas, ein Körper ohne jedes Anzeichen von Robustheit. Auch ist er trotz seiner Größe kein besonders guter Kopfballspieler. Was für Barcelonas Nummer Fünf sprinten ist, fällt für den Großteil der anderen Beteiligten auf dem Platz eher unter die Kategorie "Joggen".

"Der beste Sechser der Welt"

Dass ein so wuchtiger und dynamischer Spieler wie Steven Gerrard das Gefühl hat, nicht an Busquets heranzukommen, liegt weniger an der Geschwindigkeit in den Beinen, sondern der im Kopf. Scheinbar spazierend begibt sich Busquets immer wieder in Spielsituationen, von denen die meisten seiner Mit- und Gegenspieler nicht wissen, dass sie gleich entstehen. Als würde er die Zeit kontrollieren können, Barcelonas eigener Doctor Strange. Der gedankliche Vorsprung schafft Raum für andere Überlegungen. Wo soll der Ball als nächstes hin? Braucht es einen kurzen Pass, damit mein Mitspieler mir entgegenkommt, oder kann ich ihn in die Tiefe schicken? Wie positioniere ich mich anschließend am effektivsten? Fragen, auf die Sergio Busquets bereits am Frühstücksbuffet des Spieltags eine Antwort zu haben scheint.

Fähigkeiten, die auch Guardiola begeistern, zunächst in der zweiten Mannschaft Barcelonas. 2009 zieht er ihn als neuer Chef-Trainer der Katalanen umgehend in den Profikader. Es dauert nicht lang, da hat der magere Unbekannte einen weiteren prominenten Fan. "Nach zwei oder drei Tagen Training mit ihm kam er zu mir und sagte: 'Ich mag ihn!', erklärte Guardiola einst. "Er" ist Lionel Messi. Für Luka Modrić ist Busquets "einer der besten Mittelfeldspieler, gegen die ich jemals gespielt habe". Modrics früherer Teamkollege Casemiro sieht im Spanier schlicht den "besten Sechser der Welt". Es gibt etliche solcher Zitate über Busquets.

"Der Gerät wird nie müde"

Im "TV Total"-Kult-Ausschnitt "Der Gerät wird nie müde, der Gerät schläft nie ein", geht es nicht um ihn. Könnte es aber. Denn weder körperlich noch mental zeigt Busquets Erschöpfung. Mehr noch, er ist Zeit seiner Karriere geradezu unkaputtbar. Er fällt nie länger als vier(!) Spiele aus. Permanent erreichbar und gruselig konstant wird er zum Liebling seiner Mitspieler. Solang er auf dem Feld steht, ist er anspielbar. Solang er anspielbar ist, behält seine Mannschaft den Ball.

Die ständige Vertretung Kataloniens wird auch in der Nationalmannschaft unersetzlich. Die schon angesprochenen Alonso und Martínez haben auch deswegen weniger Spiele, weil Spaniens Anker über ein Jahrzehnt nicht rosten will. Stattdessen gibt es eine ganze Menge Gold. Weltmeister 2010, Europameister 2012, unzählige Vereinstitel. Er steht durchgehend auf den größten Bühnen, doch das Scheinwerferlicht meidet ihn. Individuelle Auszeichnungen sind im busquetsschen Trophäenschrank Mangelware. Im Jahr 2009 gewinnt er die "Trofeo Bravo", mit der eine italienische Fachzeitschrift den besten Nachwuchsspieler kürt. 2021 gesellt sich die überschaubar prestigeträchtige Trophäe des besten Spielers der UEFA-Nations-League-Endrunde dazu. Es wird aller Voraussicht nach die Letzte bleiben.

Denn auch wenn er die Zeit auf dem Feld scheinbar nach Belieben manipuliert, kann Busquets sie nicht anhalten. Im Sommer 2023 zieht es ihn gemeinsam mit dem langjährigen Weggefährten Jordi Alba vom sonnigen Barcelona ins sonnige Miami, wo sie ihren einstigen Mannschaftskollegen Messi wiedertreffen. Wie es nach dem Karriereende weitergeht? Sein Entdecker Guardiola hat bereits 2018 eine Ahnung: "Früher oder später wird er Trainer. Wir werden Busquets auf der Bank sehen." Seinen zukünftigen Mittelfeldspielern kann man es nur wünschen.

Quelle: ntv.de

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