Dynamo-Manager zu Fangewalt "Wir müssen einen scharfen Schnitt machen"
30.04.2016, 12:12 Uhr
Aufstiegsfeier à la Dynamo Dresden: Im Stadion des künftigen Zweitligisten rennen Vermummte auf den leeren Rasen und zünden Rauchbomben.
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Dynamo Dresden zieht die Zügel an: Der Ostklub stellt sich nach der Aufstiegs-Randale konsequenter als bisher gegen die Gewalttäter unter den Fans. Im Interview mit n-tv.de spricht Geschäftsführer Ralf Minge über Maßnahmen, die problematische Tätersuche und ein neues Leitbild.
n-tv.de: Herr Minge, konnten Sie den Aufstieg von Dynamo Dresden in die 2. Liga mittlerweile auch ein wenig genießen oder überlagert die Randale vom 16. April auch weiterhin die Aufstiegseuphorie?
Ralf Minge: Die Aufarbeitung der Ereignisse hat seither einen Großteil meiner Zeit in Anspruch genommen. Wir wollen schließlich seriös analysieren und entscheiden und keine Schnellschüsse abgeben. Es bleibt ein fader Beigeschmack. Wir haben zwei Jahre hart auf den Aufstieg hingearbeitet. Da hatten wir uns diesen Tag alle anders vorgestellt. Das geht 97 Prozent unserer Fans genauso.
Haben Sie auch deswegen die groß angelegte Aufstiegsfeier mit Autokorso und einem Konzert am Elbufer nach dem letzten Spieltag abgesagt?
Wir haben die Aufstiegsfeier nicht abgesagt, sondern es gab in der Planung verschiedene Szenarien. Wir haben jetzt entschieden, dass wir das im Stadion machen. Das hat auch etwas mit finanziellem Verantwortungsbewusstsein zu tun, damit, was wir in der aktuellen Situation stemmen können. Und natürlich ist unsere Sensibilität nach dem Magdeburg-Spiel noch einmal gestiegen, wenn man solche großen Veranstaltungen durchführt.
Das Fanprojekt hat unter anderem 120 Seiten an eingegangenen Berichten von Fans analysiert und der Verein hat acht Präventivmaßnahmen ergriffen, um Gewalttätern den Zugang zu Auswärtstickets zu erschweren.
Wir haben das sehr intensiv analysiert, sind auch mit den Kollegen in Magdeburg im Austausch, waren vor Ort und werden uns noch einmal treffen. Es geht mir jetzt vor allem darum, präventiv zu denken: Wie können wir die Gefahr solcher Ausschreitungen künftig noch weiter verringern? Wir müssen für die Zukunft Konsequenzen und Lehren daraus ziehen. Das ist ein Prozess. Wir sind da in den vergangenen Jahren bereits ein Stück vorangekommen. Aber uns war trotz allem klar, dass die Situation bei weitem nicht so ist, dass wir so etwas ausschließen können. Dem Problem Herr zu werden, wird auch in Zukunft einer unserer Schwerpunkte sein und bedarf großer Anstrengungen.
Dynamo hat direkt nach den Vorkommnissen in Magdeburg und bei der Aufstiegsfeier in Dresden von einer "Horde vermummter, gewaltbereiter, selbstherrlicher und asozialer Hohlköpfe" gesprochen. Gehen Sie jetzt klarer mit dem Problem um, als das in der Vergangenheit der Fall war?
Ralf Minge, Jahrgang 1960, ist bei Dynamo Dresden eine Legende. Von 1980 bis 1991 stürmte er für die SGD. In 222 wettbewerbsübergreifenden Spielen für die Dresdner erzielt Minge 103 Tore. 1989 und 1990 wurde der gebürtige Elsterwerdaer mit Dynamo Meister der DDR-Oberliga, viermal (1982, 1984, 1985, 1990) holt er den FDGB-Pokal.
Nach seiner aktiven Karriere schlägt der 36-malige DDR-Nationalspieler eine Trainerlaufbahn ein. Den Engagements bei Dynamo, Erzgebirge Aue sowie bei Fortuna Köln folgt von 2000 bis 2005 eine Zeit bei Bayer Leverkusen, wo er unter anderem das Nachwuchsleistungszentrum leitet. Im Jahr 2006 assistiert er dem georgischen Nationaltrainer Klaus Toppmöller, ehe er von 2007 bis 2009 nach Dresden zurückkehrt, um dort den Sportdirektoren-Posten zu übernehmen. Aufgrund interner Zerwürfnisse verlässt Minge die SGD und heuert 2010 beim DFB an, wo er bis 2011 die U19-Junioren trainiert. Von 2012 bis 2014 folgt ein zweijähriges Intermezzo bei Bayer Leverkusen als U21-Trainer.
Seit 2014 hat Minge wieder den Posten des Sportdirektors bei Dynamo Dresden inne. Sein ursprünglicher Zweijahresvertrag wurde im Jahr 2015 vorzeitig bis 2017 verlängert.
Wir haben diese Menschen auch in der Vergangenheit schon klar als das bezeichnet, was sie sind: kriminelle Gewalttäter. Punkt. Über Formulierungen allein wird man das Problem nicht besser in den Griff bekommen. Wir haben bereits mit den verschiedensten Fanvertretern in großer Runde zusammengesessen, unseren Präventivmaßnahmen-Plan mit ihnen besprochen und auch den Blick in die Zukunft gerichtet: Was können wir gemeinschaftlich noch tun? Genau das ist der Prozess, den wir brauchen.
Und?
Es gibt so viele positive Aspekte bei Dynamo. Wir haben endlich sportlichen und wirtschaftlichen Erfolg, haben im Zuschauerschnitt und Sponsoring neue Dimensionen erreicht, werden etwa mit dem Spiel gegen Aue den Saison-Zuschauerrekord in der Dynamo-Geschichte aufstellen, hatten auch atmosphärisch im Stadion über viele Monate hinweg eine so stabile Situation wie lange nicht. Das alles wird jetzt getrübt durch den 16. April. Deshalb müssen wir einen ganz scharfen Schnitt machen: Wer will mit uns gehen und wer nicht? Wir haben eine tolle aktive Fanszene, aber negative Aktivität brauchen wir nicht.
Planen Sie neben den bereits gezogenen präventiven Konsequenzen harte Maßnahmen wie dauerhafte Stadionverbote, um die Randalierer konsequent auszugrenzen?
Das ist der kluge Rat von vielen. Aber es geht doch schon damit los, die Täter zu identifizieren. Ich habe vor kurzem ein langes Gespräch mit dem Dresdner Polizeipräsidenten geführt, der mir geschildert hat, wie mühselig es bei Auswärtsspielen ist, Personen verlässlich zu identifizieren. Erst dann kann man ja Strafen umlegen und Konsequenzen ziehen. Wir sind da an einem Punkt, wo wir die Politik stärker mit ins Boot nehmen müssen. Das werden wir in der kommenden Saison forcieren. Das sind schließlich gesellschaftliche Auswüchse. Denn mit dem sportlichen Geschehen haben die Randale ja nichts zu tun. Vor zwei Jahren sind wir gegen Bielefeld abgestiegen, da gab es vergleichbare Zustände in unserem Stadion. Jetzt steigen wir in Magdeburg auf - und es gibt wieder Ausschreitungen. Dahinter stehen also andere Beweggründe als sportliche, das können wir alleine nicht leisten.
Was geschieht also konkret mit denjenigen, die in Magdeburg oder nach der Rückkehr in Dresden randaliert haben?
Wir werden weiterhin intensiv mit der Basis zusammenarbeiten. Aber gleichzeitig muss es das Ziel sein, möglichst schnell persönliche Strafen auszusprechen. Wir müssen schneller handlungsfähig sein, Strafen umlegen und Stadionverbote aussprechen - alles, was der juristische Spielraum zulässt und in unseren Kompetenzen liegt, werden wir in Erwägung ziehen. Aber um mal ein Beispiel zu bringen: Im November 2014 gab es gravierende Zwischenfälle beim Auswärtsspiel in Rostock. Die Aufarbeitung ist immer noch nicht abgeschlossen. Bis heute konnte kein einziger Täter durch die Ermittlungsbehörden identifiziert werden. Genau das müssen wir vereinfachen und da Tempo reinbringen. Sonst sind uns als Verein die Hände gebunden. Das Thema gilt es weiterzudenken und gemeinsam mit Polizei und Politik weiter zu spannen.
Innerhalb des harten Kerns der Fanszene sind viele Gewalttäter bekannt. Muss da nicht auch ein Umdenken stattfinden, sodass die Szene die Straftäter nicht länger aus falsch verstandener Solidarität schützt?

SGD-Sportdirektor Ralf Minge warnt davor, "alle Ultras in einen Topf zu werfen".
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Definitiv. Aber diesbezüglich haben wir auch schon einen Schritt nach vorn gemacht, wenngleich das nach dem Magdeburg-Spiel kaum sichtbar ist. Wir stärken den Fans den Rücken, die sich für unsere Werte und Normen einsetzen. Ich bin beispielsweise weit davon entfernt, alle Ultras in einen Topf zu werfen. Es gibt darunter sehr verantwortungsbewusste Leute, die auch bereit sind, mitzuhelfen. Dazu haben wir die Fangemeinschaft, das Fanprojekt, zwei hauptamtliche Fanbeauftragte - wir gehen das mit Manpower und Kompetenz an.
Die Losung "Ehre, Stärke, Dynamo" nehmen einige Dynamo-Fans wörtlich, begreifen Auswärtsspiele als "Bürgerkrieg". Hat sich Dynamo durch Passivität in den vergangenen Jahren diese Fanklientel selbst ins Haus geholt?
Nach dem Abstieg aus der Bundesliga 1995 gab es ein Vakuum bei der Betreuung der Fanszene. Damals haben sich Besitzstände und Verhaltensnormen entwickelt, die vom Verein nicht begleitet wurden. Daraus hat sich eine Eigendynamik entwickelt. Inzwischen sind wir seit Jahren dabei, das so zu kanalisieren, dass es positiv für Dynamo ist. Frequenz und Intensität der Vorfälle haben zwar abgenommen. Aber wir haben auch medial ein Image verpasst bekommen, das dem Verein meiner Meinung nach nicht mehr ganz gerecht wird. Doch das abzubauen braucht seine Zeit. Diesen Weg werden wir konsequent weitergehen. Aber wir wissen auch, dass es dabei immer mal wieder Rückschläge geben wird.
Haben Sie für diesen Weg in den Vereinsgremien die nötige Unterstützung? Das Aufsichtsratsmitglied André Gasch soll früher selbst Stadionverbot gehabt haben.
Ich kenne dieses Gerücht, das seit seiner Wahl in den Aufsichtsrat immer mal wieder vorgetragen wird, aber bis zum heutigen Tage gibt es dafür keine Belege. Fakt ist: Ich versuche, mir in den Gremien des Vereins die nötige Rückendeckung für das, was ich tue, zu holen, sodass wir geschlossen und gemeinschaftlich auftreten. Aber die Verantwortung liegt klar bei mir. Es gibt in einem Verein wie Dynamo Dresden sehr viele verschiedene Perspektiven und Schnittstellen. Wir sind ein demokratischer Traditionsverein, in dem Mitbestimmung der Vereinsmitglieder ein unverzichtbarer Wert ist und untrennbar zu unserer Identität gehört. Dieser Prozess hat Vor- und Nachteile, ist auch manchmal aufwändig. Aber unsere Satzung ist Produkt aus den Zeiten, als in den 1990er Jahren absolute Misswirtschaft betrieben wurde. Insofern hat das alles seine Berechtigung und hat dem Verein bereits mehrfach das Leben gerettet. Ich bemühe mich, das zu leben und alle mitzunehmen, werde aber immer danach handeln, was aus meiner Sicht gut für Dynamo Dresden ist. Da lasse ich mich nicht irritieren.
Ist der Anspruch, alle mitzunehmen, ein zu diplomatischer?
Das hat nichts mit Diplomatie zu tun. Wir sind mit über 17.000 Mitgliedern der mitgliederstärkste Verein in Ostdeutschland. Dass es da verschiedene Strömungen und Gruppierungen gibt, ist klar. Aber gerade bei so großen Gruppen gilt es, Werte und Normen zu leben. Deshalb sind wir gerade dabei, ein Leitbild für die SGD zu kreieren; ein Prozess, bei dem alle Gruppen eingebunden sind, mitarbeiten und sich wiederfinden können. Es geht dabei darum, bei all den unterschiedlichen Perspektiven den gemeinsamen Nenner zu finden und dass alle in eine Richtung zu gehen. Dazu befragen wir beispielsweise gerade Mitglieder und Fans ebenso wie Nachwuchstrainer, Sponsoren, Journalisten, Angestellte oder Entscheidungsträger, die mit dem Verein befasst sind.
Wissen Sie schon, welche Konsequenzen durch das DFB-Sportgericht auf den Verein zukommen? Die Randale könnten den Klub erneut teuer zu stehen kommen.
Dazu weiß ich noch nichts Näheres. Wir hatten bis Dienstag (26. April, Anm. d. R.) Gelegenheit, Stellung zu beziehen. Das haben wir getan und müssen jetzt auf eine Antwort warten.
Mit Ralf Minge sprach Ullrich Kroemer
Quelle: ntv.de