"Collinas Erben" dröseln auf Der BVB hat großes Glück mit dem VAR
27.02.2023, 06:47 Uhr

Schiedsrichter Martin Petersen stand im Mittelpunkt des VAR-Geschehens.
(Foto: IMAGO/Sportfoto Rudel)
Die brisanten Partien des 22. Spieltags der Fußball-Bundesliga verlaufen für die Unparteiischen problemlos. Im Spiel der TSG 1899 Hoffenheim gegen den BVB jedoch gibt es einen regeltechnisch kniffligen VAR-Eingriff. Was spricht für ihn, was dagegen?
Arg unruhig war es zuletzt um die Schiedsrichter der Fußball-Bundesliga geworden, manch markig formulierter, teils unsachlicher Kritik waren sie ausgesetzt. Der Stuttgarter Trainer Bruno Labbadia etwa fand, die Referees würden durch die Video-Assistenten "enteiert", sein Münchner Kollege Julian Nagelsmann diffamierte die Unparteiischen des Spiels seiner Mannschaft in Mönchengladbach gar als "Pack", was ihm eine Geldstrafe in Höhe von 50.000 Euro eintrug. Der Mainzer Coach Bo Svensson und der Freiburger Übungsleiter Christian Streich kassierten für unsportliches Verhalten während des Spiels jeweils einen Bankverweis, gefolgt von einer Sperre.
Es war deshalb gewiss kein Zufall, dass Schiedsrichter-Chef Lutz Michael Fröhlich am 22. Spieltag einige seiner erfahrensten Spielleiter zu den potenziell brisantesten Partien entsandte: Felix Brych leitete die Begegnung der beiden Champions-League-Achtelfinalisten aus Leipzig und Frankfurt (2:1), Deniz Aytekin pfiff das Kellerduell FC Schalke 04 - VfB Stuttgart (2:1), Marco Fritz beaufsichtigte das Spitzenspiel zwischen dem FC Bayern München und dem 1. FC Union Berlin (3:0), Daniel Siebert waltete seines Amtes im Aufeinandertreffen der für das Achtelfinale in der Europa League qualifizierten Teams aus Freiburg und Leverkusen (1:1).
Sie alle lösten ihre Aufgaben geräuschlos, umsichtig und mit Bedacht, dabei kam ihnen zweifellos zupass, dass in diesen Partien heikle Szenen mit Diskussionspotenzial ausblieben. Ohnehin verlief das Bundesliga-Wochenende für die Referees relativ ruhig. Zur regeltechnisch anspruchsvollsten und interessantesten Entscheidung kam es in der Begegnung zwischen der TSG 1899 Hoffenheim und Borussia Dortmund (0:1) in der 50. Minute, als Schiedsrichter Martin Petersen nach einem Zweikampf zwischen dem ballführenden Hoffenheimer Kevin Akpoguma und Emre Can an der Dortmunder Strafraumgrenze zunächst auf Freistoß für die Gastgeber entschied.
Freistoß, On-Field-Review, Schiedsrichterball - wie kann das sein?
Dann jedoch schaltete sich Video-Assistent Daniel Schlager ein, der dem Unparteiischen ein On-Field-Review empfahl. Als Petersen auf den Rasen zurückkehrte, nahm er die Freistoßentscheidung zurück und setzte das Spiel mit einem Schiedsrichterball fort. Das verwunderte viele: Bei einem Freistoß darf der VAR doch eigentlich gar nicht eingreifen - warum tat er es hier dennoch? Und wie erklärte sich der Schiedsrichterball knapp außerhalb des Strafraums, der mit einem Hoffenheimer Spieler ausgeführt wurde? Die Antworten ergeben sich aus dem VAR-Protokoll, wobei der gesamte Vorgang aus mehreren Teilen bestand.
VAR Schlager überprüfte zunächst die Freistoßentscheidung, weil sich der Zweikampf zwischen Can und Akpoguma an der Strafraumgrenze ereignet hatte und es denkbar war, dass der von Martin Petersen geahndete Kontakt innerhalb des Strafraums erfolgt war, was demzufolge einen Strafstoß zur Folge hätte haben müssen. Der Referee hatte seinem Video-Assistenten - so erklärte er es in zwei Fernsehinterviews - mitgeteilt, ein Stoßen von Can wahrgenommen zu haben. Der VAR habe daraufhin festgestellt, dass sich dieser Kontakt innerhalb des Strafraums zugetragen habe und zudem noch ein Kontakt gegen Akpogumas Fuß auszumachen gewesen sei, ebenfalls im Strafraum der Gäste.
Das hätte logischerweise bedeutet, dass Hoffenheim ein Strafstoß zuzusprechen gewesen wäre. Doch durch die Feststellung, dass der von Petersen als ahndungswürdig bewertete Kontakt im Strafraum stattgefunden hatte, stand Video-Assistent Daniel Schlager nun vor einer weiteren Aufgabe: Er musste beurteilen, ob die jetzt fällige Elfmeterentscheidung klar und offensichtlich falsch ist. Das bejahte Petersen zufolge der VAR, für den Cans handelsüblicher Armeinsatz zu Recht kein Foulspiel war. Da es aber auch einen Fußkontakt gab, den der Schiedsrichter nicht wahrgenommen hatte, "habe ich in der Summe entschieden, mir die Szene noch einmal anzusehen", so der Referee.
Eine verzwickte Gemengelage
Das heißt: Der VAR überprüfte erst den vermeintlichen Tatort und dann die Tat selbst - und kam zu dem Ergebnis, dass es statt des Freistoßes eigentlich einen Strafstoß geben müsste, der allerdings unberechtigt wäre. Es sei denn, sein Kollege auf dem Feld würde jenen Kontakt als strafbar bewerten, den er zuvor gar nicht wahrgenommen hatte. Eine verzwickte Gemengelage, die der Unparteiische dahingehend auflöste, dass er nach dem Gang in die Review Area entschied: Weder der Arm- noch der Fußeinsatz von Can ist regelwidrig, deshalb gibt es keinen Strafstoß.
Sondern vielmehr einen Schiedsrichterball - denn das ist die korrekte Spielfortsetzung, wenn der Referee zu der Erkenntnis gelangt, irrtümlich das Spiel unterbrochen zu haben. Dieser Schiedsrichterball wird innerhalb des Strafraums mit dem jeweiligen Torwart ausgeführt und außerhalb des Strafraums mit einem Spieler jener Mannschaft, die zuletzt den Ball berührt hat, und zwar am Ort dieser Berührung. Das war in diesem Fall die TSG 1899 Hoffenheim, denn Akpoguma hatte den Ball außerhalb des Strafraums am Fuß, als Petersen pfiff.
Rein regeltechnisch ist der Vorgang korrekt abgelaufen: Cans Armeinsatz war eindeutig kein Stoßen, deshalb durfte es hierfür auch keinen Elfmeter geben. Bei Cans Fußeinsatz hingegen sprach einiges für die Bewertung als Foulspiel: Der Impuls gegen die Sohle von Akpoguma führte dazu, dass der Hoffenheimer sich selbst gegen den anderen Fuß trat und daraufhin zu Boden ging. Allerdings hatte Martin Petersen diesen Impuls nicht wahrgenommen. Begreiflich deshalb, dass er ihn sich am Monitor ansehen wollte. Und nachvollziehbar, dass er - auch mit Verweis auf seine generelle Linie bei der Zweikampfbewertung in diesem Spiel - diesen Kontakt nicht als strafwürdig bewertete.
Protokollarisch korrekt, dennoch problematisch
Abseits des VAR-Protokolls und von außen betrachtet ist der Entscheidungsprozess jedoch problematisch. Wenn man den Körpereinsatz von Can gegen Akpoguma in seiner Gesamtheit betrachtet, ist es zumindest nicht klar und offensichtlich falsch, ihn als Foulspiel zu bewerten. Hätte der VAR dem Schiedsrichter deshalb nur mitgeteilt, dass der Pfiff kein eindeutiger Fehler war, der Tatort aber im Strafraum lag - diese Feststellung ist eine faktische, die laut Protokoll keines On-Field-Reviews bedarf - und es deshalb einen Strafstoß geben muss, wäre das allemal akzeptabel gewesen.
Allerdings wäre Martin Petersen mit dieser Entscheidung, wie er sagte, "unglücklich gewesen", weil sie nicht zu seiner insgesamt großzügigen Linie gepasst hätte. Das bedeutet: Der VAR hat hier dazu beigetragen, dass die aus Sicht des Referees bessere Entscheidung getroffen wurde. Ans Protokoll hat er sich dabei gehalten, dennoch ist der Sinn und Zweck des VAR - der Eingriff bei glasklaren Fehlern und schwerwiegenden übersehenen Vorfällen - hier grenzwertig interpretiert worden.
Nicht unterschlagen werden soll jedoch, dass Referee Petersen insgesamt eine wirklich gute Spielleitung gezeigt hat - und dass ein weiterer VAR-Eingriff unstrittig war: Nico Schlotterbecks Tritt auf die Ferse von Ihlas Bebou nach 56 Minuten war ein klares Foulspiel. Dass der kurz darauf erzielte zweite Dortmunder Treffer nach der Intervention von Video-Assistent Schlager annulliert wurde, war somit korrekt. Denn erst durch das Foul eroberte der BVB den Ball und begann jene Angriffsphase, an deren Ende Marius Wolf ins Hoffenheimer Tor traf. Hier gab es an der Kooperation zwischen Schiedsrichter und VAR nichts zu bekritteln.
Quelle: ntv.de