Collinas Erben

"Collinas Erben" amüsieren sich Gisdol tobt, Holtby knobelt, Huntelaar tritt

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Ganz schön zornig unterwegs, Herr Gisdol.

Ganz schön zornig unterwegs, Herr Gisdol.

(Foto: imago/Michael Weber)

In Ingolstadt ärgern sie sich über nicht gegebene Tore. Auf Schalke verstößt Huntelaar gegen seine Bewährungsauflagen und in Hoffenheim muss Gisdol auf die Tribüne und wirft den Referees deshalb vor, mit zweierlei Maß zu messen.

Auch im manchmal allzu ernsten Profifußball gibt es sie noch, die amüsanten, spaßigen Momente. Einer davon ließ sich am Dienstagabend in Ingolstadt beim Bundesligagastspiel des Hamburger SV beobachten, obwohl die Vorgeschichte eigentlich gar nicht lustig war. Denn nach einem Zweikampf waren der Ingolstädter Benjamin Hübner und sein Gegenspieler Dennis Diekmeier in der 38. Minute verletzt liegengeblieben, die Partie lief jedoch weiter, weil kein Vergehen vorlag. Als allerdings klar wurde, dass die beiden Spieler nicht gleich wieder aufstehen würden, unterbrach Schiedsrichter Knut Kircher die Begegnung, um eine ärztliche Versorgung zu ermöglichen. Nachdem die Behandlung abgeschlossen war, wurde das Spiel wieder aufgenommen, und zwar mit einem Schiedsrichter-Ball.

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Den gibt es - so steht es in der Regel 8 (Beginn und Fortsetzung des Spiels) - wenn der Referee die Partie "aus einem Grund, der in den Spielregeln nicht erwähnt wird, vorübergehend unterbricht". Ein solcher Grund liegt auch vor, wenn ein verletzter Spieler Hilfe benötigt. Im Regelwerk ist weiterhin festgelegt, dass es "weder eine Mindest- noch eine Höchstzahl Spieler gibt, die bei einem Schiedsrichter-Ball mittun dürfen". Der Unparteiische darf auch nicht entscheiden, wer an ihm teilnimmt und wer nicht.

Collinas Erben

"Collinas Erben" - das ist Deutschlands erster Schiedsrichter-Podcast, gegründet und betrieben von Klaas Reese und Alex Feuerherdt. Er beschäftigt sich mit den Fußballregeln, den Entscheidungen der Unparteiischen sowie mit den Hintergründen und Untiefen der Schiedsrichterei. "Collinas Erben" schreiben jeden Montag auf ntv.de über die Schiedsrichterleistungen des Bundesligaspieltags. Unser Autor Alex Feuerherdt ist seit 1985 Schiedsrichter und leitete Spiele bis zur Oberliga. Er ist verantwortlich für die Aus- und Fortbildung in Köln, Schiedsrichterbeobachter im Bereich des DFB und arbeitet als Lektor und freier Publizist.

Beim Schiedsrichter-Ball handelt es sich um die neutralste Spielfortsetzung überhaupt, weil es die einzige ist, die vom Unparteiischen selbst ausgeführt wird und bei der beide Teams um den Ballbesitz kämpfen, sobald das Spielgerät den Boden berührt hat - zumindest theoretisch. In der Praxis sieht es dagegen meist so aus, dass die Mannschaft, die zuletzt den Ball hatte, ihn aus Gründen des Fair-Play kampflos wiederbekommt. Mal wirft der Referee dazu den Schiedsrichter-Ball einfach in ihre Richtung, während der Gegner absichtlich passiv bleibt, mal überlässt er ihn der gegnerischen Elf, die die Kugel dann zurückschießt. Der Unparteiische klärt vor der Ausführung ab, welche Variante zur Anwendung kommen soll. In Ingolstadt war jedoch nicht klar, wem der Ballbesitz zustand, deshalb machten sich der Hamburger Lewis Holtby und der Ingolstädter Pascal Groß kurzerhand einen Jux daraus, das Ganze einfach per "Schnick, Schnack, Schnuck" zu entscheiden. Groß gewann dieses Schulhofspielchen, Kircher ließ den Ball zu Boden fallen und Holtby kickte ihn anschließend zu den Gastgebern. So entspannt kann man eine solche Situation auch lösen.

Mit einem Mal unentspannt

Deutlich unentspannter waren die Hausherren dagegen in der 58. Minute, als das Schiedsrichtergespann ihren Treffer zum vermeintlichen 1:0 wegen einer Abseitsstellung annullierte. Zuvor hatte Markus Suttner einen Freistoß in den Strafraum des HSV geflankt, wo sein Mitspieler Alfredo Morales und der Hamburger Matthias Ostrzolek zum Kopfball hochstiegen. Der Ball gelangte zu Lukas Hinterseer, der ihn ins Tor der Gäste drückte. Tatsächlich stand Hinterseer bereits bei der Freistoßausführung im Abseits, allerdings wurde die Kugel – was jedoch extrem schwer zu erkennen war – nicht von Morales, sondern von Ostrzolek zu ihm verlängert. Und weil der Hamburger hier nicht einfach unkontrolliert angeschossen wurde, sondern gezielt zum Ball ging, lag regeltechnisch ein absichtliches Spielen des Balles vor, bei dem es keine Rolle spielt, ob die Aktion nun wunschgemäß gelingt oder nicht. Somit hätte der Treffer zählen müssen.

Auf der anderen Seite hatten auch die Ingolstädter einmal Glück, als Knut Kircher nach 66 Minuten einem Tor von Johan Djourou die Anerkennung verweigerte, weil Pierre-Michel Lasogga sich zuvor mit den Armen unfair gegen Pascal Groß eingesetzt haben soll. Das war zumindest eine sehr harte Entscheidung. Denn eigentlich war es Groß, der den Hamburger Angreifer festzuhalten versucht hatte und theatralisch zu Boden gesunken war, als Lasogga sich mit etwas Körpereinsatz befreien konnte.

Glück für Huntelaar und Neuer

Klaas-Jan Huntelaar kann sich derweil glücklich schätzen, dass sein Foul gegen Aleksandar Ignjovski in der 52. Minute von Schiedsrichter Felix Zwayer nicht mit einem Feldverweis bestraft wurde. Der Schalker Stürmer hatte den Frankfurter Verteidiger mit der offenen Sohle am Schienbein getroffen und zudem keine Chance, den Ball zu spielen. Wäre Huntelaar dafür vom Platz geflogen, dann hätte sich die folgende Sperre übrigens um zwei Spiele verlängert. Denn nach seiner Roten Karte im Spiel gegen Hannover 96 in der vergangenen Saison hatte der DFB den Niederländer für vier Partien aus dem Verkehr gezogen und zwei weitere Begegnungen bis zum Ende dieser Spielzeit zur Bewährung ausgesetzt. Diese Sperre wäre nun im Falle einer Hinausstellung in Kraft getreten.

Eine wilde Grätsche ohne Folgen für Manuel Neuer.

Eine wilde Grätsche ohne Folgen für Manuel Neuer.

(Foto: dpa)

Viel Glück hatte auch Manuel Neuer in der Partie des FC Bayern gegen den VfL Wolfsburg. Denn in der 39. Minute – als die Gäste mit 1:0 führten und der spätere fünffache Torschütze Robert Lewandowski noch auf der Bank saß – misslang dem Münchner Torwart einer seiner weiten Ausflüge gründlich. Bei einem Klärungsversuch außerhalb des Strafraums versprang Neuer der Ball, was er kurz vor der Mittellinie, als sich ihm Daniel Caligiuri näherte, mit einer wilden Grätsche auszubügeln versuchte. Doch der Sprung ging ins Leere, denn der Wolfsburger tat einen Schritt zur Seite – und ließ den Ball dann zu seinem Mitspieler Josuha Guilavogui abprallen, der aus rund 50 Metern abzog und das verwaiste Tor nur um Haaresbreite verfehlte.

Manche wunderten sich danach, dass Neuer für sein gestrecktes Bein gänzlich straffrei ausging. Doch ein Platzverweis wegen brutalen Spiels wäre hier nur dann in Betracht gekommen, wenn der Keeper Caligiuri getroffen und so seine Gesundheit gefährdet hätte. Weil der Wolfsburger der Grätsche zudem recht mühelos ausweichen konnte und Neuers riskanter Einsatz darüber hinaus dem Ball galt, verzichtete Schiedsrichter Tobias Stieler auch auf die theoretisch denkbare Gelbe Karte. Denn er sah in der Aktion die Grenze zwischen der Fahrlässigkeit und der – verwarnungswürdigen – Rücksichtslosigkeit noch nicht als überschritten an.

Gisdol zürnt: "Zweierlei Maß!"

Unterdessen mochte sich Hoffenheims Trainer Markus Gisdol auch nach dem Schlusspfiff des Spiels seiner Elf gegen Borussia Dortmund nicht so schnell beruhigen. Gisdol hatte kurz nach der Pause infolge einer falschen Abseitsentscheidung gegen seine Mannschaft den Schiedsrichter-Assistenten bestürmt und war dafür vom Unparteiischen Tobias Welz auf die Tribüne verwiesen worden. "Ich berühre den Assistenten und der sagt sofort zu seinem Chef: 'Schick ihn auf die Tribüne!'", erregte sich der Coach auf der Pressekonferenz. "Wenn Pep Guardiola zehn Mal den Schiedsrichter anfasst, den Linienrichter umarmt, die Bibiana Steinhaus in den Arm nimmt und ihr was ins Ohr flüstert, dann wird nicht reagiert. Ich fasse kurz den Assistenten an - ich werde bei einer kleinen Berührung sofort auf die Tribüne geschickt. Da werden zweierlei Maßstäbe angesetzt."

Tatsächlich blieben Guardiolas diverse Annäherungsversuche bislang ungestraft – wohl vor allem deshalb, weil sie vergleichsweise wenig aggressiv vonstattengingen und die Referees und ihre Assistenten daher nicht zur äußersten Konsequenz greifen wollten. Herbert Fandel, der Vorsitzende der DFB-Schiedsrichter-Kommission, hatte gleichwohl im Februar dieses Jahres deutlich gemacht, dass sich das ändern müsse. "Man kann über den Körperkontakt, den er mit den Schiedsrichtern sucht, vielleicht schmunzeln", sagte er nach dem Spiel der Bayern gegen den FC Schalke 04, in dem der Münchner Trainer erneut Grenzen überschritten hatte. "Dennoch werden so auch Distanz und Respekt vor dem Schiedsrichter in Zweifel gezogen. Guardiola täte so gesehen gut daran, dieses Verhalten unmittelbar zu ändern." Ein klarer Hinweis darauf, dass die Unparteiischen ihm seine "Kuschel-Attacken" künftig nicht mehr durchgehen lassen werden – auch deshalb, um sich nicht dem Verdacht einer Ungleichbehandlung auszusetzen.

Quelle: ntv.de

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