"Collinas Erben" sind zufrieden Schiedsrichter bändigt Ribéry und Ramos
21.11.2016, 09:49 Uhr

Alles im Griff: Links Franck Ribéry, rechts Adrian Ramos - und in der Mitte Schiedsrichter Tobias Stieler.
(Foto: imago/DeFodi)
Beim Topspiel zwischen dem BVB und dem FC Bayern ist der Unparteiische selbst bei den Verlierern kein Thema - dito beim rheinischen Duell. Die Referees können, anders als im Vorjahr, bislang mit der Saison zufrieden sein.
Wenn Borussia Dortmund und der FC Bayern aufeinandertreffen, ist es stets auch von Interesse, welcher Schiedsrichter dieses Spiels leitet, das nicht nur in Deutschland, sondern weltweit Fußballfans in seinen Bann zieht. Als Unparteiischer muss man in dieser brisanten Partie über eine starke Persönlichkeit und Akzeptanz verfügen und zudem ein sehr gutes Spielverständnis sowie ein überdurchschnittliches Konfliktmanagement im Repertoire haben. Der Referee, den der DFB am Samstagabend zur Begegnung zwischen dem Vize- und dem Rekordmeister schickte und dem er solche Eigenschaften somit attestiert, war Tobias Stieler. Wieder einmal, bereits in der vergangenen Saison durfte der Jurist dieses Match im Westfalenstadion leiten - und er tat es damals zur Zufriedenheit aller. Auch diesmal rechtfertigte der 35-Jährige, der seit Februar 2012 Bundesligaspiele leitet und seit 2014 auf der Fifa-Liste steht, seinen Einsatz.
Stieler kam gut in die Partie und entschloss sich, bei der Zweikampfbewertung zunächst keine allzu kleinliche Linie walten zu lassen - was beide Mannschaften annahmen. Als der Dortmunder Innenverteidiger Marc Bartra in der 19. Minute jedoch dem Münchner Thomas Müller in der Nähe der Trainerbänke rustikal umgrätschte, musste der Unparteiische ein Zeichen in Form einer Gelben Karte setzen. Es war das erste heftigere Foul des Spiels und drängte sich für den Einstieg in die Personalstrafen daher geradezu auf.
"Collinas Erben" - das ist Deutschlands erster Schiedsrichter-Podcast, gegründet und betrieben von Klaas Reese und Alex Feuerherdt. Er beschäftigt sich mit den Fußballregeln, den Entscheidungen der Unparteiischen sowie mit den Hintergründen und Untiefen der Schiedsrichterei. "Collinas Erben" schreiben jeden Montag auf ntv.de über die Schiedsrichterleistungen des Bundesligaspieltags. Unser Autor Alex Feuerherdt ist seit 1985 Schiedsrichter und leitete Spiele bis zur Oberliga. Er ist verantwortlich für die Aus- und Fortbildung in Köln, Schiedsrichterbeobachter im Bereich des DFB und arbeitet als Lektor und freier Publizist.
Acht Minuten später spielte Bartra erneut unfair - und bescherte dem Schiedsrichter so eine knifflige Situation. Der Spanier hatte Robert Lewandowski bei einem Konter der Münchner kurz und leicht, aber effektiv festgehalten; der Torjäger der Bayern kam dadurch ins Trudeln und verlor den Ball. Stieler pfiff und musste entscheiden, ob Bartra regeltechnisch gesehen einen aussichtsreichen Angriff der Gäste unterbunden hatte. Ein solches Vergehen, das im Regelwerk noch bis zum Sommer als "taktisches Foul" firmierte, zieht eine Verwarnung nach sich - was für den Abwehrspieler des BVB somit die Gelb-Rote Karte bedeutet hätte. Der Schiedsrichter ersparte den Dortmundern jedoch eine frühe Unterzahl.
Ramos und Ribéry abgekühlt
Gegen diesen Entschluss sprach, dass Lewandowski mit Tempo unterwegs war, ohne das Foul einigen Platz vor sich gehabt hätte, um den Ball voranzutreiben, und Bartra genau das mit unfairen Mitteln verhindern wollte. Für die Entscheidung sprach, dass der polnische Nationalspieler sich weit außen befand, der zurückeilende Sokratis ihm den Weg nach innen wohl versperrt hätte und kein Münchner ernsthaft mitgelaufen war. Man kann also unterschiedlicher Ansicht darüber sein, ob der Angriff der Bayern wirklich das Kriterium "aussichtsreich" erfüllte. Mithin lag ein Grenzfall vor, bei dem sich Stieler gewiss auch gefragt haben dürfte, welche Maßnahme voraussichtlich die größere Gefahr birgt, Unruhe ins Spiel zu bringen: eine (strenge) Gelb-Rote Karte oder der (großzügige) Verzicht auf sie?
Der Spielverlauf schien seine Entscheidung zunächst nicht unbedingt zu bestätigen, denn die Begegnung wurde in den folgenden Minuten erkennbar härter, die Fouls häuften sich. Der Referee pfiff nun sinnvollerweise etwas kleinlicher und musste mehrmals seine ganze Persönlichkeit aufbieten, um die Spieler wieder "einzufangen". Als richtungweisend erwies sich seine deutliche und außenwirksame Ermahnung des Dortmunder Trainers Thomas Tuchel, der nach etwas mehr als einer halben Stunde allzu vehement auf eine Entscheidung des Unparteiischen reagiert hatte. Zum Ende der ersten Hälfte hatten sich die Gemüter wieder einigermaßen beruhigt. Über Bartras Halten gegen Lewandowski sprach da niemand mehr.
Als der aufgedrehte Mario Götze fünf Minuten nach der Pause jedoch frontal in seinen früheren Mitspieler Franck Ribéry hineinrauschte, musste Stieler erneut Gelb zücken. Das zeigte Wirkung, denn obwohl das Spiel eng und umkämpft war, blieb es bis kurz vor Schluss doch recht fair. Dann gerieten Adrian Ramos und Ribéry in einer Spielunterbrechung aneinander und lösten eine "Rudelbildung" aus, in der der Unparteiische gemeinsam mit seine Assistenten jedoch die Ruhe bewahrte und die Streithähne schließlich mit einer Verwarnung abkühlte. In der Nachspielzeit sah schließlich auch noch Bayerns Renato Sanches nach einem taktischen Foul die Gelbe Karte. Und der Referee war nach dem Schlusspfiff selbst bei den merklich angefressenen Verlierern aus München kein Thema - weil er die intensive Partie gut über die Bühne gebracht und auch in kritischen Situationen umsichtig gehandelt hatte.
Lehmann: Rücksichtslos oder brutal?
Auch beim ebenfalls phasenweise hitzigen Duell zwischen Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Köln stand der Schiedsrichter nicht im Mittelpunkt. Manuel Gräfe - ohnehin ein Spielleiter, der es wie kaum ein anderer versteht, seine Ruhe auf alle Beteiligten zu übertragen - bewies bei der Regelauslegung jederzeit das nötige Augenmaß. So zum Beispiel in der zehnten Minute, als er beim Zweikampf zwischen Thorgan Hazard und Dominique Heintz im Strafraum der Gäste sehr gut erkannte, dass der Gladbacher Angreifer durch seinen Ausfallschritt im Laufduell den Kontakt mit seinem Gegenspieler selbst hergestellt hatte, um einen Elfmeter zu schinden, und dass deshalb kein Foul des Kölner Verteidigers vorlag.
Beim überaus rüden Einsteigen von Heintz‘ Mitspieler Matthias Lehmann gegen Mahmoud Dahoud in der 39. Minute hingegen stellte sich nicht die Frage, ob ein Vergehen vorlag, sondern vielmehr, ob es mit der Gelben oder der Roten Karte zu sanktionieren war. Der Gladbacher hatte den Ball gerade in Richtung Außenlinie gespielt, als der Kölner Kapitän ihn mit einem Tritt gegen das Standbein zu Boden beförderte. War das schon gesundheitsgefährdend, also brutal und damit platzverweisreif? Oder ging es noch als rücksichtslos, also lediglich als verwarnungswürdig durch? Letzteres, befand Gräfe, der von seinem durchaus vorhandenen Ermessensspielraum - dieses Wort trifft den Kern auch in regeltechnischer Hinsicht weitaus besser als der überstrapazierte Begriff "Fingerspitzengefühl" - Gebrauch machte und Lehmann mit einer Gelben Karte davonkommen ließ. Was insgesamt auch besser zum Spiel passte.
Gelb nach sieben Sekunden
Die gleiche Farbe sah Florian Niederlechner in der spannenden und hart umkämpften Partie seines SC Freiburg beim 1. FSV Mainz 05 bereits nach gerade einmal sieben Sekunden (!) für einen Ellenbogeneinsatz im Luftkampf, bei dem er Stefan Bell im Gesicht getroffen hatte. Gräfes Kollege Patrick Ittrich musste also schon unmittelbar nach dem Anpfiff hellwach und konsequent sein. Er blieb es bis zum Schluss, sprach den Gastgebern mit Recht einen Foulelfmeter zu - den er streng, aber regelkonform wiederholen ließ, weil Spieler beider Teams schon vor der Ausführung in den Strafraum gelaufen waren - und verweigerte den Gästen in der Nachspielzeit einen Strafstoß, weil er bei Philippe Gbamins Handspiel keine Absicht am Werk sah. Auch das ließ sich zumindest vertreten.
Ohnehin können die Bundesliga-Schiedsrichter nach elf Spieltagen zufrieden ein Zwischenfazit ziehen. Anders als in der vergangenen Saison, als zum gleichen Zeitpunkt schon mehrmals heftige Kritik auf sie niedergegangen war - wegen des nicht geahndeten Hand-Tors von Leon Andreasen und anderer spielentscheidender Irrtümer -, haben die Referees in dieser Spielzeit noch kaum negativ von sich reden gemacht. Spektakuläre Fehlentscheidungen sind bis jetzt ausgeblieben, es dominieren solide bis sehr gute Auftritte, gerade in potenziell besonders brisanten Begegnungen. Auch die im Zuge der Regelreform vom Sommer erfolgten Neuerungen und Änderungen bereiten den Unparteiischen bislang keine Probleme. Wie es scheint, haben sie den Schwung, für den die Schiedsrichter bei der Europameisterschaft gesorgt haben, für sich nutzen können.
Quelle: ntv.de