Nervige Hire-and-Fire-Mentalität Hannover 96 wird immer kindischer
21.03.2017, 15:47 Uhr
Selbstherrlicher Investor: Martin Kind.
(Foto: dpa)
Die Posse um den Trainerwechsel beim Fußball-Zweitligisten Hannover 96 zeigt: Investoren wie Martin Kind können ihre Klubs ins Chaos stürzen. Allerhöchste Zeit, umzudenken, fordert daher nun unser 11Freunde-Kolumnist!
Auf den ersten Blick steht Hannover 96 in der 2. Fußball-Bundesliga nicht so schlecht da. Ein Aufstiegsplatz ist nur drei Punkte weg und die Mannschaft schießt die zweitmeisten Tore. Auf den zweiten Blick haben die 96er ein paar ernsthafte Sorgen. Nämlich, dass der Klub schon mal wie ein natürlicher Aufsteiger aussah. Dass die Mannschaft im Gegensatz zur Konkurrenz aus Berlin und Braunschweig nach der Winterpause nicht so recht in Schwung gekommen ist. Und vor allem, dass sich Hannover angesichts des erstklassigen Gehaltsgefüges eigentlich kein zweites Jahr in der Unterklasse leisten kann.
In einem soliden und seriös geführten Klub hätte es nun intensive Bemühungen gemeinsam mit Coach Daniel Stendel gegeben, die Mannschaft wieder zurück in die Spur zu bringen. Die Klubführung hätte bei jeder sich bietenden Gelegenheit dem Trainer den Rücken gestärkt und sich ansonsten mit halbgaren Beurteilungen der sportlichen Lage ostentativ zurück gehalten. Das allerdings von einem Klub wie Hannover 96 zu erwarten, den der allmächtige Boss Martin Kind seit vielen Jahren ebenso selbstherrlich wie erratisch führt, ist herrlich naiv.
Der Unternehmer aus Großburgwedel heuert und feuert seit das Personal nach eigenem Gutdünken. Gerade noch hoch geschätzte Spieler, Trainer und Manager können schon kurze Zeit später in Ungnade fallen und werden dann durch ein mediales Dauerfeuer mürbe geschossen. Nun hat der aktuelle Umgang mit dem mittlerweile geschassten Coach schon eine besondere Qualität. Stendel, der nach dem Abstieg in beeindruckendem Tempo eine neue und für den ständigen Abnutzungskampf der zweiten Liga geeignete Mannschaft aufgebaut hatte, wurde über Wochen immer wieder infrage gestellt und seine Autorität gegenüber der Mannschaft unterminiert.
Nachfolgersuche statt Trainerbekenntnis
Philipp Köster, Jahrgang 1972, ist Chefredakteur und Herausgeber des Fußballmagazins "11 Freunde". In seiner Kolumne "Kösters Direktabnahme" greift er jeden Dienstag für n-tv.de ein aktuelles Thema aus der Welt des Fußballs auf. Zudem ist er seit der Saison 2016/17 Bundesligaexperte von n-tv.
Kind entblödete sich dabei nicht, eine Woche vor dem Rausschmiss dem Coach noch pathetisch das Vertrauen auszusprechen, wie er es nahezu vor jeder Trainerentlassung tat. Um dann zum Hörer zu greifen und dem "NDR-Sportclub" ein Interview zu geben und freimütig über Nachfolgekandidaten zu plaudern. "Wir beschäftigen uns mit mehreren Namen. Das kann ich bestätigen", verkündete Kind. Das war am Sonntagabend, da war Stendel noch in Amt und Würden.
Und doch ist auch der Umgang mit dem Coach nur eine von vielen Possen, die sich Kind in den vergangenen Jahren geleistet hat und die trotzdem nicht dazu geführt haben, dass er ernsthaft in Schwierigkeiten geraten wäre. Widerspruch und Widerstand innerhalb des Klubs muss Kind längst nicht mehr fürchten. Hannover 96 wird von Kinds Getreuen und Büchsenspannern regiert. Und in diesem Jahr will der Unternehmer obendrein die Mehrheit an der wichtigsten Gesellschaft des Klubs übernehmen - spätestens dann hat sich Kind den Klub endgültig untertan gemacht.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Kind ausgerechnet in der zweiten Liga nach der Macht greift. War er doch immer das leuchtende Beispiel des souveränen und leidenschaftlichen Investors, der seinen Klub seit Jahrzehnten finanziell unterstützt und die Treue hält. Jeder, der in der Vergangenheit den Einfluss von Investoren und Konzernen auf Bundesligaklubs kritisierte, bekam sofort das Hannoveraner Modell entgegengehalten. Wer noch immer glaubt, dass sich der deutsche Profifußball all den Investoren und Finanzbeteiligungsgesellschaften öffnen sollte, weil durch diese die Klubs viel effizienter und erfolgreicher und seriöser gemanagt werden, sollte sich besinnen und nach Hannover schauen. Oder besser noch nach Großburgwedel.
Quelle: ntv.de