
Thomas Häßler schoss Deutschland zur Weltmeisterschaft.
(Foto: imago/Horstmüller)
Vor 35 Jahren saß eine ganze Nation vor den TV-Bildschirmen und fieberte und zitterte mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Nur ein Sieg über Wales konnte der DFB-Elf an diesem Abend zur WM-Qualifikation verhelfen. Und Deutschland machte es spannend.
"Erlösung dank Häßler", titelte der "Kicker" am Morgen nach dem dramatischen Zittersieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft vor 35 Jahren. Der kleine Kölner Mittelfeldmotor, der über sich selbst einmal grinsend sagte - "In Fachkreisen nennt man mich Mr. Uhu, weil mir der Ball immer am Fuß klebt" - hatte mit seinem Treffer in der 48. Spielminute in der Partie gegen Wales zu Hause im Müngersdorfer Stadion einer ganzen Nation die Last und Schande einer Blamage von den Schultern geschossen. Denn die Qualifikation zur Weltmeisterschaft 1990 in Italien stand damals auf Messers Schneide. Nur ein Sieg über das Team von der Insel rund um ihren Stürmerstar Mark Hughes konnte an diesem Abend den Weg über den Brenner ebnen - und Deutschland machte es lange sehr spannend.
"Das wichtigste Spiel meiner Trainerkarriere", hatte Teamchef Franz Beckenbauer vor der letzten Partie der WM-Qualifikation gemeint - und damit die emotionale Messlatte sehr hochgelegt. Denn hätte sich Deutschland an diesem Abend nicht für das Turnier im Sommer 1990 in Italien qualifiziert, der "Kaiser" wäre wohl noch in derselben Nacht ungekrönt zurückgetreten. Und auch Stürmer Rudi Völler hatte vorab schon angekündigt, dass er seine Karriere im Dress der DFB-Elf bei einem Scheitern beenden würde.
Die Anspannung war also beim gesamten Team an diesem Abend riesengroß - vor allem auch deshalb, weil die Niederlande als Gruppenerster bereits als Teilnehmer feststanden und am Nachmittag auch noch Rumänien die Dänen in der Konkurrenzgruppe besiegt hatte. Jetzt half Deutschland nur noch ein Sieg. Doch nach elf Minuten lag das DFB-Team erst einmal mit 0:1 hinten. "Schock für die deutsche Elf", schrieb der "Kicker". "Nach Fehler von Reuter auf der rechten Abwehrseite lässt Allen Libero Augenthaler ins Leere rutschen und anschließend Illgner aus zehn Meter keine Abwehrchance!"
Teamchef Franz Beckenbauer hatte sich an diesem Abend dazu entschlossen, für den zuvor lange verletzten Jürgen Kohler dessen Mannschaftskameraden Stefan Reuter zu bringen. Doch der Bayern-Profi wirkte zu Beginn verunsichert - obwohl mit Klaus Augenthaler sein Teamkollege vom FC Bayern München an seiner Seite spielte. Doch auch der alternde Star und Vizeweltmeister fehlte in dieser spannungsgeladenen Partie "die gewohnte Souveränität". Dabei hatte Franz Beckenbauer mit dem überraschenden Schachzug, Klaus Augenthaler zurückzuholen, genau das Gegenteil bewirken wollen: "Du bekommst mit Buchwald und Kohler zwei Vorstopper, die räumen dir alles weg. Den Rest spielst du mit Anzug und Krawatte, gehst mit nach vorne, bietest dich als Anspielstation an und sorgst für Ruhe."
Zittern bis zum Schluss
Dass die Partie gegen Wales nun wahrlich kein Spiel in "Anzug und Krawatte" werden würde, war eigentlich allen deutschen Fußballfans schon vor der Partie klar - denn zu allem Überfluss fehlte der Mannschaft an diesem nasskalten Abend in Köln auch noch ihr verletzter Kapitän Lothar Matthäus. Doch sein Stellvertreter Pierre Littbarski übernahm Verantwortung, "leistete ein enormes Laufpensum, forderte die Bälle immer wieder" und war auch der Mann, der in der 48. Minute vom linken Flügel aus die entscheidende Flanke auf Thomas Häßler initiierte.
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Über Umwege gelangte die Kugel zum jungen Berliner im Dress des FC, der den Ball schließlich mit dem schwächeren linken Fuß volley in den Kasten des walisischen Keepers Southall hämmerte. Und tatsächlich war nicht nur auf dem Rasen, sondern im gesamten Rund ein Gefühl der Erlösung zu spüren. Deutschland stand nach dem Treffer von Häßler ganz knapp vor der Qualifikation für die WM in Italien.
Am Ende verschoss Kapitän Pierre Littbarski noch einen Elfmeter und Wales köpfte in der vorletzten Minute knapp am Kasten von Keeper Bodo Illgner vorbei. Doch dann war Schluss und Rudi Völler, der Schütze zum zwischenzeitlichen Ausgleich, taumelte emotional zwischen Euphorie und Realismus, als er direkt nach der nervenaufreibenden Partie den Journalisten in die Notizblöcke zitierte: "Wir dürfen nach der Qualifikation nicht jetzt schon überschnappen!" Das hörte sich allerdings schon wenige Tage später bei Lothar Matthäus ganz anders an.
"... dann holen wir den Titel!"
Der Profi von Inter Mailand, der im entscheidenden Spiel verletzt von außen hatte zuschauen müssen, verkündete in einer großen deutschen Fußballillustrierten vollkommen überzeugt von der Stärke der eigenen Mannschaft: "Wir schenken Beckenbauer den Titel!" Der spätere Rekordnationalspieler schwärmte regelrecht von der eigenen Truppe: "Es stehen elf Techniker auf dem Platz. Sie alle können Fußball 'spielen'. Wenn diese junge Mannschaft auch noch die Kampfkraft und Nervenstärke der Vizeweltmeister von 1986 mitbringt, dann holen wir den Titel." Und auch Franz Beckenbauer ahnte, dass das Turnier in Italien mit einem Erfolgserlebnis zu Ende gehen könnte: "Wir können jeden schlagen. Wenn alle gesund sind und wir die Nerven behalten, dann können wir Weltmeister werden!"
Thomas Häßler, der Schütze des entscheidenden Tores vor 35 Jahren an diesem unvergesslichen 15. November 1989, hatte von seinem entscheidenden Treffer gegen Wales zuvor geträumt. Nur sieben Monate später ging dann in Italien für alle deutschen Spieler und Fußballfans ein Traum in Erfüllung. Und noch heute weiß ein jeder, der damals schon mit der DFB-Elf gefiebert und gezittert hat, wem zuallererst der Weltmeister-Titel zu verdanken ist. Denn ohne den kleinen "Icke" Häßler, der Deutschland volley zur WM schoss, wäre das, was danach kam, überhaupt nicht möglich gewesen.
Quelle: ntv.de