
Jürgen Klinsmann war erst "Strahlemann", dann "ein Fehler".
(Foto: imago sportfotodienst)
Vor fünfzehn Jahren wagt der FC Bayern München ein Experiment, das am Ende fulminant scheitern soll. Jürgen Klinsmann kommt im Sommer 2008 an die Säbener Straße, doch schon Anfang Februar 2009 beginnt der langsame Abgesang auf den Schwaben. Uli Hoeneß kreidet sich bis heute diesen "Fehler" an.
"Nee, das habe ich noch nicht gewusst. Ach du scheiße!" Als die Verpflichtung von Jürgen Klinsmann damals deutschlandweit auf allen Kanälen lief, fragte man auch Martha Klinsmann, die Mutter des Weltmeisters, was sie denn dazu sagen würde, dass ihr Sohn nun neuer Trainer des FC Bayern München werden würde. Ihre spontan ehrliche Reaktion hätte vielleicht sogar Jürgen Klinsmann selbst zu denken geben sollen. Doch im Sommer 2008 war noch alles eitel Sonnenschein bei den Bayern und dem ehemaligen Bundestrainer. Nur sieben Monate später war dann allerdings aus dem "Strahlemann", wie ihn die Boulevardpresse einst taufte, ein Coach geworden, dem das Lachen im kalten Februar im Gesicht gefror. Die Bayern waren nach einer Niederlage beim HSV auf den vierten Tabellenplatz abgerutscht - und langsam kochten die Gemüter in München über.
Wie ernst die Lage vor fünfzehn Jahren beim Rekordmeister tatsächlich war, dokumentiert ein Satz von Uli Hoeneß. Eigentlich hatte der Bayern-Manager für das Jahr 2009 seinen Rücktritt angekündigt, doch nun sagte er sichtlich genervt von der aktuellen sportlichen Situation: "Bei ernsthaften Problemen werde ich mir das noch einmal gut überlegen." Und alle wussten, was er damit meinte.
Nur zwei Jahre später fragte man Uli Hoeneß nach der Entlassung von Louis van Gaal nach den größten Missverständnissen des FC Bayern bei der Trainerwahl - und Hoeneß antwortete ehrlich: "Mit Magath haben wir zweimal das Double geholt. Das war kein Missgriff. Mit van Gaal haben wir das Double geholt und standen im Champions-League-Finale. Dass der menschlich eine Katastrophe war, steht auf einem anderen Blatt. Fachlich war er top. Deswegen war er auch kein Fehler. Klinsmann schon. Und das kreiden wir uns alle an."
Hoeneß zunehmend fassungslos
Dabei hatte im Sommer 2008 alles noch so hoffnungsvoll und versöhnlich begonnen. Uli Hoeneß, der eigentlich seinen Platz auf der Bank gegen einen Sitz auf der Tribüne hatte eintauschen wollen, wurde sogar vom neuen Bayern-Coach Jürgen Klinsmann höchstpersönlich gebeten, diese Idee zu verwerfen. Hoeneß freute sich damals sichtlich über die Bitte des ehemaligen Nationaltrainers und nahm zwischen ihm und seinem Assistenten Martin Vasquez Platz.
Und Klinsmann fand damals genau die richtigen Worte, als er zu seiner unerwarteten Entscheidung meinte: "Uli ist mein Chef, aber auch mein Ratgeber. Das sind 30 Jahre Erfahrung neben mir. Es wäre ja dumm, darauf zu verzichten. Darum habe ich ihn gebeten, sich weiter auf die Bank zu setzen." Doch der Ratgeber reagierte von Woche zu Woche immer verstimmter, ob der neuen Methoden seines Trainers.
In der Öffentlichkeit hielt sich Uli Hoeneß mit Kritik an seinem Coach in diesen Tagen noch zurück, doch sein Gesicht auf der Bank neben Klinsmann sprach Bände. Der Bayern-Manager musste fassungslos mitansehen, dass sein Klub nach den vielen Reformen und Veränderungen seit dem Amtsantritt des blonden Schwaben nicht nur kaum mehr wiederzuerkennen war, sondern auch sportlich immer weiter vom Kurs abkam.
Klinsmann beobachtete Dinge
Und Klinsmann? Der erkannte natürlich auch, dass etwas mit seiner Mannschaft nicht stimmte und sagte: "Wenn man das Gefühl hat, die eine oder andere Veränderung würde der Gruppen-Gemeinschaft helfen, dann ist es die Aufgabe des Cheftrainers zu sagen: Ich habe Dinge beobachtet, die geändert werden müssen." Doch was dies dann konkret für das Team hieß, überraschte am Ende alle.
Denn tatsächlich hatte Klinsmann erkannt, dass "eine saubere Kabine und einfach mehr Disziplin" der Mannschaft wieder Auftrieb geben könnten - und hatte daraufhin entschieden, dass die Putztruppe, die die Umkleideräume der Spieler reinigte, nicht mehr aktiv werden sollte. Die Folge war, dass die Mannschaft am nächsten Tag in eine vollkommen verdreckte Kabine kam und sich hörbar über die "unzumutbaren Zustände" aufregte.
Klinsmanns Erklärung für das Chaos soll die Spieler anschließend zwar zum Nachdenken gebracht und bei einigen auch für Verständnis gesorgt haben (Lucio: "Jürgen Klinsmann achtet mehr denn je auf Disziplin. Er verlangt mehr von den Spielern als zu Saisonbeginn") - doch die ganze Aktion erwies sich als Strohfeuer. Sportlich verschlechterte sich die Lage sogar. Uli Hoeneß wurde auf der Bank neben Klinsmann von Niederlage zu Niederlage immer zorniger.
Heynckes gewann Spiele für 12,50 Euro
Und so kam es, wie es kommen musste. Als die Bayern fünf Spieltage vor Schluss Gefahr liefen, die direkte Qualifikation für die Champions League zu verspielen, handelten sie schnell und schmissen Jürgen Klinsmann nach einer 0:1-Niederlage am 29. Spieltag zu Hause gegen den FC Schalke 04 raus. Doch die Entlassung war noch lange nicht das Ende der Geschichte. Völlig unüblich für den FC Bayern kam es hinterher sogar zu einem echten Streit zwischen Klinsmann und Hoeneß - öffentlich ausgetragen unter anderem in Günther Jauchs Sendung "stern TV".
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Und selbst, als man dachte, dass nun endlich Ruhe in das unsägliche Kapitel zwischen Klinsmann und dem FC Bayern München gekommen sei, da legte Uli Hoeneß nach. Zu tief saß wohl der Stachel dieses großen Trainermissverständnisses beim langjährigen Bayern-Manager. Und so erzählte er noch zwei Jahre nach der Entlassung von Klinsmann süffisant: "Damals haben wir für zigtausend Euro Computer gekauft. Da hat er den Profis in epischer Breite gezeigt, wie wir spielen wollen. Wohlgemerkt wollen."
Und im Vergleich zu seinem Nachfolger meinte Hoeneß: "Jupp Heynckes braucht einen Flipchart und fünf Eddingstifte. Da kostet einer 2,50 Euro. Und da malt er auf die Tafel die Aufstellung des Gegners und sagt ein paar Takte dazu. Mit Heynckes gewinnen wir Spiele für 12,50 Euro, und bei Klinsmann haben wir viel Geld ausgegeben und wenig Erfolg gehabt."
Warum sich Hoeneß den Fehler mit Klinsmann vielleicht noch etwas länger als normal ankreidete, mag auch mit einer anderen Personalie zu tun gehabt haben. Denn eigentlich war sich der Bayern-Manager zum Ende des Jahres 2007 bereits mit einem gewissen Jürgen Klopp über einen Wechsel von Mainz nach München einig - doch dann kam Karl-Heinz Rummenigge "auf die großartige Idee, Jürgen Klinsmann zu verpflichten", wie Hoeneß auch heute noch gerne erzählt. Verständlich, dass diese Narbe von Zeit zu Zeit immer noch schmerzt.
Quelle: ntv.de