Was man von Freiburg lernen kann Bundesliga schlittert wieder ins Trainer-Beben
05.09.2022, 19:55 Uhr
Bei Christian Streich läuft's, Gerardo Seoane muss schon bangen.
(Foto: dpa)
Wenn der Sommer geht und die ersten Blätter fallen, fallen auch die Trainer. Wie immer um diese Jahreszeit stehen bei einigen Fußball-Bundesligisten bereits wieder die Übungsleiter vor dem Rauswurf. Aber warum eigentlich? Dass es auch anders geht, zeigt der aktuelle Tabellenführer ganz anschaulich.
Mit "Chaos in Freiburg: SC Hollywood" war der Artikel auf den Videotext-Seiten von ran.de vor knapp elf Jahren, am 22. Dezember 2011, überschrieben. Laut "Kicker", so stand es damals im Bericht, habe eine große Mehrheit des SC-Kaders erhebliche Zweifel, ob Trainer Marcus Sorg die fachlichen Qualitäten habe, das Ruder nach nur drei Siegen aus 17 Spielen in der Hinrunde noch einmal herumzureißen. Nur eine Woche später war anschließend die Zeit des Chefcoachs Sorg beim SC Freiburg abgelaufen. Das Amt übernahm sein damaliger Co-Trainer: Christian Streich.
Es ist wie in jedem Jahr zu dieser Zeit: Erst fünf Spieltage sind in der Fußball-Bundesliga absolviert und schon müssen sich fast ein Drittel aller Übungsleiter bereits Sorgen um ihren Job machen. Und jedes Mal aufs Neue stellt sich die Frage, was da eigentlich im Vorhinein falsch gelaufen sein muss, dass nun an fünf, sechs Orten schon wieder alles infrage gestellt wird? Oder anders ausgedrückt: Geht es vielleicht auch anders und kann man dabei unter Umständen vom SC Freiburg etwas lernen, um die Chancen auf Erfolg zu maximieren?
Es ist doch immer wieder verwunderlich, wie sich die Führungskräfte der Bundesligisten in der Trainerfrage entlarven. Denn ganz offensichtlich liegen die Fehler zumeist nicht bei den Übungsleitern selbst, sondern bei der Auswahl derselbigen. Und scheinbar gilt immer noch das Prinzip: Wenn der jeweilige Partner nicht passt, probieren wir es eben mit dem nächsten. Das Ganze hat etwas von einer traurigen Wegwerfmentalität, die zwei Dinge deutlich offenbart: Die fehlende Mühe bei der Auswahl im Vorhinein und das nicht vorhandene Durchhaltevermögen und das Zueinanderstehen in Phasen der Schwäche - wobei das eine das andere natürlich bedingt. Wieso sollte man schließlich einen Trainer weiter unterstützen, von dem man bereits denkt, dass er nicht richtig zu einem passt und den man deshalb schon längst nicht mehr leiden kann?
"Zu große Professionalität" als Kündigungsgrund
Häufig hat das Ganze mit falschen Erwartungen zu tun. Die Tage erzählte der ehemalige Bundesligaspieler und heutige Trainer Dietmar Hirsch von der verrückten Geschichte seiner Entlassung als Coach des mittlerweile nicht mehr existierenden FC Sylt. Damals warf ihn der Vorstand bereits nach dem 5. Spieltag wegen - Obacht - "zu großer Professionalität" raus. Der ehemalige Profi habe laut dem Mäzen einfach zu viel trainieren lassen und zu wenig Wert auf Geselligkeit nach den Spielen gelegt. Ganz offensichtlich prallten damals der Wunsch nach sportlichem Erfolg seitens des Trainers und ein bisschen Kreisliga-Romantik seitens des Vorstands aufeinander. Hätte man sich vorher wohl etwas besser gegenseitig zugehört - dieses Missverständnis hätte vermieden werden können.
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Denn schließlich gibt es bei all den negativen Beispielen in der Liga ja auch die positiven. Beim 1. FC Köln hat man das Gefühl, dass Trainer Steffen Baumgart zu diesem Verein und der Stadt passt wie schon lange kein Coach mehr beim FC. In Bremen scheint die Situation ganz genauso zu sein. Ole Werner vergleicht man nicht umsonst bereits mit Klub-Ikone Thomas Schaaf - und der war stolze vierzehn Jahre Cheftrainer bei Werder, bis er bei seinen anschließenden Ausflügen nach Frankfurt und Hannover feststellen musste, dass die Sache mit Bremen einfach wie Arsch auf Eimer passte. Auch Bo Svensson in Mainz und Edin Terzic in Dortmund haben das Potenzial eine dauerhafte, ganz große Lösung zu werden. Und eigentlich ist die Lage auch beim VfL Bochum mit seinem Coach Thomas Reis ganz ähnlich gelagert, doch da scheinen an entscheidender Stelle momentan die Sinne leider etwas vernebelt zu sein. Was schade ist, wie das Beispiel des SC Freiburg zeigt.
Irgendjemand muss Trainer sein
Im Breisgau begann vor elf Jahren eine Erfolgsgeschichte, die viel damit zu tun hat, dass man die Fähigkeit hatte und hat, zu erkennen, dass die Kombination von Trainer und Verein eine ganz besondere ist. Christian Streich passt wie kein anderer zu diesem Klub und prägt gleichzeitig durch seine Art das Außenbild des Vereins auf spezielle Weise mit. Der sportliche Erfolg und das Ansehen des SC Freiburg gehen dabei Hand in Hand. Und selbst wenn es einmal auf dem Rasen nicht so gut läuft, wie beispielsweise in der Abstiegssaison 2014/15, hält man zusammen, weil beide Seiten wissen, was sie aneinander haben. Diese Kontinuität zahlt sich aus. Man hat sich gesucht und gefunden - und weiß um den Wert des jeweils anderen.
Auch in dieser Spielzeit gibt es wieder zahlreiche Vereine, die mit dem Wissen in die Saison gegangen sind, dass ihr Trainer noch nicht der passende Deckel auf dem Topf ist. Doch da irgendjemand an der Seitenlinie sitzen muss, wird es zwangsläufig dazu kommen, dass in den nächsten Tagen und Wochen wieder der eine oder andere Coach seine Koffer packen muss. Man kann diesen Klubs nur wünschen, dass sie sich bei der Auswahl des nächsten Trainers etwas mehr Mühe geben. Und allen Vereinen, die bereits das Glück hatten, das passende Gegenstück zu finden, nur raten, auch in schwierigen Zeiten zusammenzuhalten. Im günstigsten Fall läuft es dann wie beim SC Freiburg. Vor elf Jahren noch der "SC Hollywood" grüßt der Klub nun von Tabellenplatz eins den Rest der Liga.
Quelle: ntv.de