Redelings Nachspielzeit

Beckenbauers Leben in Extremen Die Lichtgestalt lebt ewig weiter

Franz Beckenbauer wurde als Spieler und Trainer Weltmeister.

Franz Beckenbauer wurde als Spieler und Trainer Weltmeister.

(Foto: picture alliance/AP Photo)

Der "Kaiser" ist tot, die Fußball-Welt trauert um Franz Beckenbauer. Den Mann mit den herausragenden fußballerischen Fähigkeiten. Den Mann, der sowohl als Spieler als auch als Trainer den WM-Titel gewinnt. Den Mann, der als "Lichtgestalt" niemals in Vergessenheit geraten wird.

Es ist ein Foto wie ein Gemälde. 22 Männer hatten sich im Herbst 2020 unter der italienischen Abendsonne zu einem Gruppenfoto zusammengefunden. Was diese Männer vereinte, war der Gewinn der Weltmeisterschaft 1990 in Italien. Und mitten unter ihnen saß er, der Mann, der diesen Triumph überhaupt erst möglich gemacht hatte: Franz Beckenbauer. Er lächelte - und doch konnte man der Legende des deutschen Fußballs schon damals ansehen, dass es ihr nicht gutging. Seit Längerem plagten Franz Beckenbauer gesundheitliche Probleme. Nun ist der Mann, den sie einst wegen seiner herausragenden fußballerischen Fähigkeiten "Kaiser" tauften, im Alter von 78 Jahren gestorben.

Das Team, das 20 Jahre zuvor den WM-Titel gewann.

Das Team, das 20 Jahre zuvor den WM-Titel gewann.

(Foto: imago sportfotodienst)

Mit dem Ehrenspielführer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft geht unbestritten einer der größten, wenn nicht der größte Fußballer aller Zeiten in Deutschland. Dabei hatte damals beim FC Bayern München Beckenbauers erster Trainer im Profifußball, Tschik Cajkovski, noch einen anderen in ihm gesehen: "Sie Bohnenstange, unten nichts, Mitte nichts, oben nichts. Sie mehr essen. Nix Frauen, nix Rauchen, nix Saufen. Sie aus Schlagsahne. Sie kein Kämpfer. Sie wie Strohhalm. Sie lieber gehen Schuhe putzen als spielen Fußball." Doch schon kurz darauf sah die Welt ganz anders aus. Sein Trainer hatte das unfassbar große Talent seines Spielers endlich erkannt: "Franz. Sie größtes Fußballer seit Tschik. Ich mache Weltmeister aus ihnen. Tschik und Beckenbauer bald größtes Fußballer-Gespann in Europa und in Welt."

Wobei die "Welt" in diesen Jahren für den jungen Franz noch sehr weit weg zu sein schien, schließlich sagte er damals voller Überzeugung: "Ich bin kein Deutscher. Ich bin ein Bayer. Das ist ein ganz großer Unterschied nach meiner Meinung."

Geheime Nummern und kulinarische Vorlieben

Sein sportliches Ansehen wuchs mit den Erfolgen des FC Bayern München seit Mitte der Sechziger Jahre sprunghaft an - und die Menschen und die Medien liebten den attraktiven Mann aus München. Es war eine andere Zeit als heute, in der der junge Franz Beckenbauer aufwuchs. Damals gehörten Hausbesuche mit langen, sehr privaten Fotostrecken wie selbstverständlich noch dazu. So berichtete ein Fußballmagazin einmal in seiner Serie "Zu Gast bei … Franz Beckenbauer" aus den heimischen Stuben des Nachwuchsstars.

Und dabei kamen Dinge ans Tageslicht, die so sicherlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren: "Mit dem Telefon ist das so eine Sache. Die eine Nummer, 798651, steht nicht im Telefonbuch, und die andere ist absolut geheim. 'Nur drei Leute kennen die andere Nummer.' Einer dieser drei sei Herr Schwan, versichert Franz. Schwan ist Berater in allen Lebenslagen. Nicht einmal die Eltern wissen die zweite Telefonnummer. Die Mutter bat sogar darum: 'Bitte, sag mir die Nummer nicht, ich verrate sie dann doch!'"

Da sich diese ungeheure Popularität allerdings auch gut vermarkten ließ, ging Beckenbauer schon früh unter die Buchautoren. Sein Werk "Halbzeit" - das im Alter von 25 Jahren erschien - gestattete einen intimen Einblick in die Privatsphäre des Kaisers: "Meine Frau kocht sehr gut, und wenn echte bayerische Hausmannskost durch die Küche duftet, dann habe ich die vielen Steaks, mit denen wir uns im Sport beschäftigen müssen, schnell vergessen. Kartoffelsuppe, Raiberdatschi, das sind Kartoffelpuffer, ein saftiger Surhaxen mit Kraut bleiben meine Leibspeisen, zumal ich keine Gewichtsschwierigkeiten mit meinen 74 Kilogramm habe. Dazu ein Glas Bier oder ein gutes Glas Wein."

Man muss dazu wissen, dass früher die Ernährungsmethoden im Profifußball tatsächlich noch etwas anders waren als heute, wie Beckenbauer einmal an anderer Stelle erzählte: "Eine Schweinshaxe um 23 Uhr vor einem wichtigen Spiel war früher nahezu das Normalste der Welt." Doch der junge Franz Beckenbauer blieb ohnehin schlank und adrett, sah toll aus und hatte so natürlich nicht nur männliche Fans, wie er im Buch berichtete: "Hunderte von jungen Damen schickten mir ihr Foto, Hunderte von Fußballjungen machten das gleiche. Weit entfernt von Eifersucht klebte meine Frau die Damen sorgfältig in ein besonderes Album und schrieb darauf: der Harem des Franz Anton Beckenbauer. Ich musste lachen. Nur die Liebesbriefe sehe ich nie. Die beantwortet Brigitte persönlich."

"Franz ist wie Marlene Dietrich"

Man muss wohl diesen Werdegang des jungen Franz Beckenbauer in der Öffentlichkeit kennen, um zu verstehen, warum der Mann aus dem Stadtteil Giesing abseits des grünen Rasens zu der Persönlichkeit wurde, als die ihn Generationen später kannten. Viele seiner Wegbegleiter vermuteten, dass es "zwei Beckenbauers" geben müsste. Philipp Lahm hat einmal so schön gesagt: "Es muss zwei Beckenbauers geben, einen, der in der Zeitung schreibt, und den Präsidenten des FC Bayern. Der Präsident ist zufrieden mit mir." Weniger charmant, aber dennoch auf den Punkt gebracht, hat einen anderen wichtigen Aspekt der öffentlichen Wahrnehmung Franz Beckenbauers einmal der knochige Niederbayer Klaus Augenthaler: "Von Beckenbauer habe ich sehr viel gelernt. Vor allem, dass es eigentlich egal ist, was ich gestern gesagt habe".

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Franz Beckenbauer wurde als Fußballer, Trainer und Funktionär geliebt, geschätzt und verehrt - aber dennoch schwang bei allen Fans und Freunden stets immer etwas Verwunderung über die uneingeschränkte Popularität des "Kaisers" mit. Aber im Grunde konnte sich Franz Beckenbauer nie über sein Ansehen beschweren. So sagte der ehemalige Meistertrainer und spätere Kolumnist Max Merkel bereits im Jahre 1970 über ihn: "Dem Franz Beckenbauer hat's der Himmelvater gegeben wie dem Mozart." Und viele, viele Jahre später meinte Otto Rehhagel: "Franz ist wie Marlene Dietrich. Ein alternder Star, den man nach wie vor bewundern muss." Den besonderen Status Beckenbauers als öffentliche Persönlichkeit hat einmal der HSV-Profi Marinus Bester sehr anschaulich beschrieben: "Man kann sich in diesem Geschäft nur wenige Ausrutscher leisten - bis auf Beckenbauer, der kann sagen, was er will. Und wenn er sagt, die Wand ist blau statt grün, glauben ihm die Leute auch das".

Auch Rudi Assauer zeigte sich beeindruckt: "Wenn er sagt, wir spielen künftig mit viereckigen Bällen, dann wird mit viereckigen Bällen gespielt." Und Berti Vogts meinte sichtlich konsterniert: "Der kommt in einen Raum und das Licht geht an. Bei mir aber passiert erst mal gar nichts." Der damalige DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder hat sich einmal mit einer interessanten These an einer plausiblen Erklärung für Beckenbauers Popularität versucht: "Mit dem Licht, das er ausstrahlt, blendet er die Journalisten." Es sollte bei der These bleiben.

"Franz, du spinnst!"

Denn Franz Beckenbauer war auf und abseits des Platzes ein Phänomen. In welchem Spannungsfeld er sich selbst bewegte, zeigt ganz gut die Geschichte seiner Rückkehr 1980 nach Deutschland. Nach seinem USA-Ausflug hatte Beckenbauer beschlossen, für den Hamburger SV in der Bundesliga zu spielen. Einer war damals jedoch nicht so begeistert von diesem Plan. Die überlieferte Reaktion von Beckenbauers Manager Robert Schwan, als ihm der Ex-Nationalspieler verkündete, er möchte gerne wieder nach Deutschland zurückkehren: "Franz, du spinnst!"

Doch die Fans in Hamburg freuten sich. Beckenbauer wurde beim ersten Training von 5000 Kiebitzen empfangen. Mitspieler Manni Kaltz war tief beeindruckt vom Auflauf der Zaungucker: "Sonst gehen sie zu dieser Zeit immer zu Hagenbeck!" Doch das Engagement Beckenbauers beim Hamburger SV kostete natürlich eine Stange Geld. Und so schoss der HSV-Sponsor einen großen Teil des Gehalts bei. Beckenbauers Gegenleistung: Bis zu acht Tage im Monat stand er für Jugendaktionen zur Verfügung. Sein Debüt feierte er schließlich bei einer 3:2-Niederlage in Stuttgart am 14. Spieltag. Die Nachrichtenagentur Reuters tickerte anschließend: "Am Tag, als der Papst nach Deutschland kam, kehrte der Kaiser in die Bundesliga zurück!" Und Beckenbauer selbst meinte nach seinem ersten Spiel: "Als ich die Pfiffe hörte, da wusste ich, ich bin daheim." Diese Tage der Rückkehr stehen sinnbildlich für ein Leben zwischen Jubelarien und Buh-Rufen. Es war ein Leben in Extremen.

Die "Lichtgestalt" bekommt Kratzer

Und doch blieb Franz Beckenbauer stets diese "Lichtgestalt", die so viele Fans und Menschen weltweit bewunderten. Und alle dachten, dass sich daran -"Bei Franz Beckenbauer sagen alle: Du bist der Kaiser. Auf dich hören sie. Du machst nichts falsch, und wenn du was falsch machst, sagen alle, das war richtig" (Reiner Calmund) - nie etwas ändern würde. Doch dann kamen die Bestechungsvorwürfe und Anklagen rund um die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Seit diesen Tagen wurde es ruhiger um Franz Beckenbauer.

Auch wenn der Spieler, Trainer, Funktionär und Kolumnist Franz Beckenbauer seit seinen ersten Karriereschritten eine Person des öffentlichen Lebens war und so vielen Fans und Anhängern so viel Freude geschenkt hat, wird man wohl nie genau wissen, wer Franz Beckenbauer tatsächlich war. Er selbst hat einmal gesagt: "Ein anständiger Mensch würde ich gerne bleiben - oder werden, je nachdem, wie man's sieht." Am Sonntag ist im Alter von 78 Jahren eine der größten Persönlichkeiten der deutschen Nachkriegsgeschichte gestorben.

Quelle: ntv.de

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