Redelings Nachspielzeit

Redelings über den Videobeweis Ein Loblied auf die Fehlentscheidung

Die "wunderbare" Einlage des Frankfurters Bernd Hölzenbein im WM-Finale 1974.

Die "wunderbare" Einlage des Frankfurters Bernd Hölzenbein im WM-Finale 1974.

Es wird das Thema zum Start der Bundesliga-Saison: Die neue Wunderwaffe im Kampf gegen Fehlentscheidungen - der Videobeweis. Ab sofort soll alles absolut korrekt ablaufen. Warum das nicht klappen wird, erklärt unser Kolumnist.

Noch bevor der Videobeweis am Wochenende in der Fußball-Bundesliga in seine einjährige Testphase startet, gibt Referee Felix Brych einen tiefen Einblick in die Seele eines Schiedsrichters - und lüftet ganz nebenbei das Geheimnis um die wahren Gründe für die aufwändige Einführung der neuen technischen Wunderwaffe: "Ich will am Abend nach dem Spiel nicht mehr der große Loser sein, wenn mal etwas schiefgelaufen ist. Das bliebe mir mit dem Videobeweis erspart."

So, so. Das klingt doch spannend. Der Fifa-Schiri Brych möchte also nicht mehr länger der alleinige Depp sein, wenn mal wieder ein Fehler der Unparteiischen alle auf die Palme bringt. Klar, so wird es kommen. Denn wenn nun ab Freitag eine falsche Entscheidung eine Partie aus dem Gleichgewicht kegelt, werden so viele Personen an unterschiedlichen Orten mit dem Finger auf den jeweils anderen zeigen, dass am Ende niemand mehr schuld ist. Respekt, aus der Sicht der Schiris also äußerst geschickt gemanagt. Man nennt das wohl eine kreative wie moderne Form von Problemlösung.

Wenn man einmal die besondere Sichtweise von Brych (Grund für die Einführung ist nicht die Fehlervermeidung, sondern der Schutz der Schiedsrichter) für einen Moment vernachlässigt, könnte man eigentlich zum Schluss kommen, dass das alles im Grunde auch viel einfacher, schneller und kostengünstiger ginge. So wie am 23. Spieltag der Saison 2004/2005 beispielsweise. Bei der Partie zwischen Bayer Leverkusen und dem VfB Stuttgart (1:1) kam es zu einem Novum in der Fußball-Bundesliga.

Wack tut etwas Verbotenes

"Ein Tor würde dem Spiel gut tun"

Ben Redelings ist "Chronist des Fußballwahnsinns" (Manni Breuckmann) und leidenschaftlicher Anhänger des VfL Bochum. Der Autor, Filmemacher und Komödiant lebt in Bochum und pflegt sein Schatzkästchen mit Anekdoten. Seine kulturellen Abende "Scudetto" sind legendär. Für n-tv.de schreibt er stets dienstags die spannendsten und lustigsten Geschichten auf. Sein Motto ist sein größter Bucherfolg: "Ein Tor würde dem Spiel gut tun".

Kurz vor der Halbzeit konnte VfB-Keeper Timo Hildebrand einen Schuss von Jacek Krzynowek gerade noch so eben über die Latte lenken. Die Akteure auf dem Platz richteten sich bereits zur Ecke ein, als Schiri Franz Xaver Wack, überraschend für alle, auf Abstoß entschied. Die Leverkusener waren außer sich. Da passierte etwas Einmaliges. Bayer-Spieler Robson Ponte sah die Szene auf der Anzeigetafel, lief zu Wack hin und gemeinsam schauten sie die Wiederholung der Torwart-Rettungstat. Schiedsrichter Wack reagierte schnell, deutete zur Ecke und tat damit eigentlich etwas Verbotenes. Hinterher sprach man damals vom ersten "Videobeweis" in der Bundesligageschichte. Und Bayer-Sportdirektor Völler war zufrieden: "Kompliment an die Stadionregie, dass sie die Szene sofort eingespielt haben."

Ein Videobeweis am Ort des Geschehens also, aufgelöst vor den Augen und Ohren aller Beteiligten, vielleicht noch mit einer akustischen Mehrheitsentscheidung durchs Publikum?! Dem alten Satz von Klaus Allofs folgend: "Es gibt drei Leute im Stadion, die das nicht gesehen haben. Und die, die am Bierstand waren." Hört sich etwas komisch an? Das mag sein. Doch am Ende ist ein solcher Videobeweis nicht schlauer oder blöder als das, was wir dann ab Freitag präsentiert bekommen. Denn eins darf man nie vergessen: Final entscheiden auch wieder "nur" Menschen. Und die machen bekanntlich nun einmal Fehler.

Das Problem mit dem Auslegungsfall

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Schließlich sind die glasklaren Missdeutungen der Schiedsrichter auf dem Platz schon immer verschwindend gering gewesen. Zumeist handelt es sich um Szenen, die man weidlich diskutieren kann und die auch nach der Betrachtung von 24 Spezialkameras immer noch nicht eindeutig aufgelöst werden können. Sogenannte Auslegungsfälle also. Und die wird es selbstverständlich weiter zuhauf geben.

Nach dem WM-Finale 1974 und der wunderbaren Einlage des Frankfurters Bernd Hölzenbein, die uns einen Elfmeter und den Sieg bescherte, waren die Schiedsrichter auf der Hut vor dem Eintracht-Spieler. Der Unparteiische Meuser meinte zu einer Szene beim Spiel Tennis Borussia Berlin gegen die Offenbacher Kickers: "Das ist ein 'Hölzenbein-Elfmeter'" - und gab anschließend keinen Strafstoß. Und auch die Schiri-Legende Walter Eschweiler machte damals nicht vor dem Frankfurter Weltmeister halt. Als Hölzenbein kurz nach der WM im Strafraum fiel, eilte Eschweiler zum gestürzten Eintracht-Profi und beugte sich zu ihm hinunter: "Bernd, stehen Sie schnell wieder auf. Das sitzt noch nicht richtig, das müssen wir noch einmal üben!"

Ach, Hölzenbein schwört übrigens bis auf den heutigen Tag, dass er damals im niederländischen Strafraum eindeutig gelegt worden sei. Der Frankfurter kann sogar richtig fuchsig werden, wenn jemand das vor seinen Ohren in Zweifel zieht. Die Diskussionen werden also auch in der neuen Saison weitergehen. Fehler wird es weiterhin geben und demzufolge eine Partie nie zu 100 Prozent korrekt ablaufen. Irgendwie beruhigend, oder? Denn ein Spiel von Menschen für Menschen sollte doch am Ende auch irgendwie menschlich bleiben. Es hat schon seinen Grund, dass der Schachcomputer sich nie ganz durchgesetzt hat.

Unser Kolumnist Ben Redelings ist gerade mit seinen Programmen unterwegs: Infos und Tickets zur Tour.

Quelle: ntv.de

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