Redelings Nachspielzeit

Trauer, Wut und ErlösungEines der denkwürdigsten Spiele der Bundesliga-Geschichte

13.12.2025, 06:52 Uhr Ben-RedelingsVon Ben Redelings
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Hannovers Torhüter Florian Fromlowitz war die Erleichterung anzusehen. (Foto: imago sportfotodienst)

Vor 15 Jahren traten die beiden Teams des heutigen Zweitliga-Topspiels ebenfalls gegeneinander an. Hannover 96 konnte durch das 3:0 beim direkten Konkurrenten VfL Bochum die Klasse halten. Es sollte jedoch aus anderen Gründen eine Partie werden, die man so schnell nicht vergisst!

"Fußball ist wie in der Natur. Die starken Tiere fressen die schwachen Tiere schnell weg. Und wenn ich die Tabelle angucke, sehe ich, dass wir gerade im Moment eher zu den schwachen Tieren gehören. Und da ich nicht gerne gebissen werde und lieber zurückbeiße, werde ich versuchen, die Mannschaft zu motivieren, ab jetzt, und am liebsten schon am kommenden Sonntag, zurückzubeißen." Das waren die Begrüßungsworte des damals neuen Trainers des VfL Bochum, Heiko Herrlich, am 27. Oktober 2009. Knappe fünf Monate später war Heiko Herrlich bereits wieder entlassen - und der VfL Bochum nach einem denkwürdigen Spiel im heimischen Ruhrstadion gegen den direkten Konkurrenten Hannover 96 abgestiegen.

"Jetzt soll's Schmierlapp richten'', hatte die "Sport Bild" vor der "Abstiegsdrama"-Partie am 34. Spieltag gewohnt blumig getitelt. In Bochum hatte man vor der entscheidenden Begegnung gerade Herrlich rausgeworfen und die VfL-Legende Dariusz Wosz zum Interimstrainer für eine Partie befördert. Herrlich hatten sie entlassen, weil er die "Spieler Gedichte schreiben ließ und für seine Motivationsreden belächelt wurde". Hinzu kamen noch seine verbalen Ausreißer, die häufig im Reich der Tiere landeten: "Es darf nicht so sein wie beim Stierkampf, wo der dumme Stier immer in das rote Tuch läuft."

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Doch genau das war passiert. Der "dumme Stier" hatte unter Herrlichs Leitung immer wieder die gleichen Fehler gemacht und stand nun vor dem letzten Spieltag zwei Punkte hinter Hannover 96. Doch noch hoffte man in Bochum. Denn ein Sieg hätte gereicht und man hätte zumindest den direkten Abstiegsplatz verlassen können. Und so setzten die ehemals "Unabsteigbaren" auf Dariusz Wosz, der einst von seinem Präsidenten Werner Altegoer als "Schmierlapp" bezeichnet worden war, weil im Zuge seines Wechsels von Bochum zur Hertha einige Dinge schiefgelaufen waren. Doch das war lange vergessen. Und nun schwor Wosz vor der alles entscheidenden Partie sein Team ausgerechnet auf den kranken Präsidenten ein: "Gewinnt für Werner Altegoer!"

"Immer schwebte Robert über uns"

Doch die frühere Spieler-Legende wusste, dass seine Möglichkeiten begrenzt waren. Natürlich wollte er seine Mannschaft wieder "klar in den Köpfen" werden lassen, aber ansonsten meinte Wosz nur: "Taktisch kann ich nicht viel machen. Wir können diese Woche die ganze Zeit Fußballtennis spielen. Wir können harte Zweikämpfe machen. Wir können nur mit dem schwachen Fuß schießen - das alles ist egal." Und dann passierte etwas, das dem früheren genialen Mittelfeldspieler nur eine Nacht vor der entscheidenden Partie selbst alle Hoffnung nahm: "Ich hatte echt einen blöden Traum. Ich weiß nicht mehr ganz genau, was es war. Aber Bochum ist gegen die Wand gefahren. Danach hatte ich ein ganz beschissenes Gefühl."

Doch so schlimm Bochums Lage damals auch war - im Vergleich zur Saison und der Situation von Hannover 96 war alles zu vernachlässigen. Der Klub hatte am 10. November seinen Keeper Robert Enke durch Suizid verloren. Dass die Mannschaft, der Verein danach überhaupt noch einmal zurückgekommen sind, ist eine der emotional aufwühlendsten Geschichten in der Bundesliga-Historie. Der Mann, der Enkes Platz im Tor eingenommen hatte, Florian Fromlowitz, meinte nach der Rettung in Bochum: "Zwölf Spiele, fast vier Monate lang, konnten wir nach dem Drama in der Liga nicht gewinnen. Immer schwebte Robert über uns. Über mir."

Rat bei Depression und Suizidgefahr

  • Bei Suizidgefahr: Notruf 112
  • Deutschlandweites Info-Telefon Depression, kostenfrei: 0800 33 44 5 33
  • Telefonseelsorge (0800/111-0-111 oder 0800/111-0-222, Anruf kostenfrei)
  • Kinder- und Jugendtelefon (Tel.: 0800/111-0-333 oder 116-111)
  • Deutsche Depressionshilfe (regionale Krisendienste und Kliniken, Tipps für Betroffene und Angehörige)
  • Deutsche Depressionsliga
  • Doch dem Team gelang durch eine fast unmenschliche Leistung schlussendlich mit einem 3:0-Sieg beim VfL der Klassenerhalt. Trainer Mirko Slomka sagte hinterher: "Die Mannschaft ist nach einer Saison voller Rückschläge zurückgekommen. Ich habe größten Respekt vor ihr." Hannover 96 spielte in der letzten Begegnung der Saison furios auf. Und ein Mann stach an diesem Tag, an dem 10.000 Fans aus Hannover im Bochumer Ruhrstadion feierten und weinten im selben Augenblick, heraus. Arnold Bruggink. Einige Jahre später erzählte er über diese besonderen Momente: "Gleich nach dem Spiel haben wir alle als Erstes an Robert gedacht und ihm den Klassenerhalt gewidmet. Fast alle im Team hatten Tränen in den Augen."

    VfL-Sportvorstand versteht Bochumer Fan-Wut

    Während sich auf Seiten von Hannover 96 nach einer "brutalen Saison" (Fromlowitz) die Spannung löste, brachen auf Bochumer Seite alle Dämme. Die Fans und der Verein fühlten sich zu Recht von ihren Spielern im Stich gelassen. Auf der Pressekonferenz nach der Partie konnte Interimstrainer Dariusz Wosz seine Tränen, seine Trauer und seine Bestürzung kaum zurückhalten. Wie tief die Distanz zu einigen seiner Spieler an diesem Tag, in diesen bitteren Stunden tatsächlich war, verrieten anschließend seine Worte: "Ich möchte mich bei allen Fans entschuldigen. Wir wollten von Beginn an Druck machen, aber davon war nichts zu sehen. Das war zu meiner Zeit noch anders. Das war Angsthasen-Fußball. Ich habe keine Erklärung für so eine Leistung."

    Nicht alle Anhänger des VfL wussten in dieser Situation, wohin mit ihrer tiefen Enttäuschung und Wut. Es spielten sich in dieser speziellen Gemengelage unwürdige Szenen ab. Doch sogar der damalige VfL-Sportvorstand Thomas Ernst zeigte auf eine gewisse Art und Weise Verständnis für die Fans, die das Gefühl hatten, von Teilen der Spieler "verarscht" worden zu sein: "Gewalt verurteile ich grundsätzlich. Ich kann aber verstehen, dass sich in diesen 90 Minuten Aggressionen aufgebaut haben."

    Am Ende stand aber auch ein nacktes Ergebnis fest. Bochum musste hinab in die Zweite Liga und es sollte elf lange Jahre dauern, bis man wieder aufstieg. Hannover 96 konnte die Klasse halten und erreichte in der folgenden Saison einen hervorragenden vierten Platz in der Abschlusstabelle. Was bleibt, sind die Erinnerungen an einen seltsamen Tag voller Emotionen - und an eines der denkwürdigsten Spiele der Bundesliga-Geschichte. Ein Nachmittag zwischen Trauer, Wut und Erlösung.

    Quelle: ntv.de

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