Redelings über Partys der Bayern "Kann in diesem Scheißverein keiner feiern?"
10.05.2016, 10:45 Uhr
Hurra, wieder Meister: Thomas Müller und Kollegen feiern in Ingolstadt.
(Foto: imago/DeFodi)
Auch beim FC Bayern können sie feiern. Routinierte Gesten im Stadion, gähnende Leere in der Stadt - dass es auch anders geht, zeigt die Historie. "Pornografie" nannte dereinst Bundestrainer Helmut Schön eine Nackt-Feier.
Hermann Gerland, der Ko-Trainer des FC Bayern, sah am frühen Sonntagnachmittag bei der Ehrung als VfL-Legende im Bochumer Ruhrstadion wahrhaftig nicht so aus, als hätte er die Nacht zuvor zum Tag gemacht. Meistersause, ausgelassen feiernde Menschen, Horden begeisterter Fans auf den Straßen und in den Kneipen der bayrischen Landeshauptstadt? Am Samstag nach dem Titelgewinn in Ingolstadt: Fehlanzeige. Stattdessen viel Häme und Spott all überall im Netz für die Party-Verweigerer. Dabei ist das Nicht-Feiern einer Meisterschaft für die Roten erstens gar nicht mal so ungewöhnlich und zweitens in der Geschichte des FC Bayern fast schon Routine. Beinahe so wie das Abo auf den Titel.
Als die Münchener im Jahre 1973 zum zweiten Mal nach der Saison 1968/1969 den Durchmarsch schafften, also vom ersten bis zum letzten Spieltag Tabellenführer der Fußball-Bundesliga waren und die Runde mit elf Punkten Vorsprung vor dem 1. FC Köln beendeten, schrieb die "Bild"-Zeitung: "Die Bundesliga wird langweilig". Der "Kicker" setzte noch einen oben drauf und konstatierte: "Sekt in Gläsern und nicht in Strömen". Für Torwart Sepp Maier schienen die ruhigen Feierlichkeiten zur Deutschen Meisterschaft auf dem Rasen allerdings komplett normal: "Der Mensch ist ein Gewohnheitstier!"
Doch da hatte er die Rechnung ohne seinen Mitspieler Paul Breitner gemacht. Der wetterte in den Katakomben genervt: "Kann denn in diesem Scheißverein keiner feiern?" Der bärtige Rebell animierte daraufhin seine Mannschaftskameraden noch zu einer feucht-fröhlichen Party im Entmüdungsbecken des Olympiastadions. Und da ein Reporter mit dabei war, sah ganz Deutschland anschließend doch noch feiernde Bayern. Die schillernden Nacktfotos aus der Kabine gefielen eigentlich nur einem nicht: Bundestrainer Helmut Schön. Der stammelte beim Betrachten der Bilder ein einziges Wort: "Pornografie"!
"Am Ende feiern immer die Bayern"
Bayern-Präsident Wilhelm Neudecker beunruhigte hingegen etwas anderes. Und so fragte er seinen Trainer ernsthaft: "Herr Lattek, wollen Sie uns mit den dauernden Siegen das Geschäft kaputt machen?" Doch der Trainer dachte gar nicht daran, die Gegner mit Niederlagen zu verwöhnen. Und so feierte man im Jahr darauf den dritten Bundesligatitel in Folge und den Gewinn des Europapokals der Meister gleich tüchtig und ausgiebig. In der Nacht des Triumphs scherzte Sepp Maier bereits: "Wenn ich morgen in Gladbach im Tor stehe und drei Bälle sausen auf mich zu, nehme ich immer den in der Mitte!"
Auch Manager Robert Schwan war prima drauf. Um 1000 Mark hatte er mit seiner Mannschaft gewettet, dass er vor dem Spiel auf dem Rasen des Bökelberg-Stadions einen Purzelbaum schlagen würde. Zur Belustigung aller tat er es tatsächlich - und kassierte vergnügen das Geld. Anschließend wurde es sofort wieder in hochpreisige Alkoholika auf dem Rückflug umgesetzt. Wie soll man auch angemessen feiern bei einem Klub, bei dem das Gewinnen der Normalfall ist und eine Niederlage fast schon absurd erscheint?
Ben Redelings ist "Chronist des Fußballwahnsinns" (Manni Breuckmann) und leidenschaftlicher Anhänger des VfL Bochum. Der Autor, Filmemacher und Komödiant lebt in Bochum und pflegt sein Schatzkästchen mit Anekdoten. Seine kulturellen Abende "Scudetto" sind legendär. Für n-tv.de schreibt er stets dienstags die spannendsten und lustigsten Geschichten auf. Sein Motto ist sein größter Bucherfolg: "Ein Tor würde dem Spiel gut tun".
So wie damals unter Trainer Dettmar Cramer. Der war zwar für seine genialen Gedanken bekannt ("Es hängt alles irgendwo zusammen. Sie können sich am Hintern ein Haar ausreißen, dann tränt das Auge"), doch dieser Satz - man muss ihn sacken lassen - toppt alles: "Die Wahrscheinlichkeit nicht Meister zu werden, ist größer als die Wahrscheinlichkeit, dem Abstieg nicht zu entgehen." Man kann wie Stefan Effenberg auch einfach ausdrücken: "Bundesliga ist ein richtig spannender Wettbewerb. 18 Mannschaften wollen Deutscher Meister werden - und am Ende feiern immer die Bayern." Da ist es eine wahre Kunst, immer wieder den Moment des Siegens zu genießen. Dass das schwierig ist, wenn "sogar die Putzfrau schon zehnmal Meister geworden ist" (Christoph Daum) und man als Spieler weiß, "Wenn du bei Bayern einen Fünfjahresvertrag unterschreibst, wirst du automatisch dreimal Meister" (Rudi Völler), ist klar.
Deshalb waren die leuchtenden Augen des Bochumer Jungen Hermann Gerland im Jahre 2010 auf dem Rathausbalkon am Marienplatz auch etwas ganz Besonderes. "Wissen Sie, ich bin ein besessener Fußballer, aber ich hatte noch nie einen Titel gewonnen. Und nun war ich dabei, wenn der renommierteste Verein Deutschlands einen Triumph feiert. Da habe ich an meine Bochumer Zeiten als Profi gedacht, wo Mutter meine Trainingsklamotten waschen musste, und wir Spieler, wir durften uns beim Mittagessen entweder für Suppe oder Nachtisch entscheiden. Da gab es nur entweder-oder, beides kriegte keiner. In mir war immer der Wunsch, einmal sagen zu können: Einer aus Bochum war ein bisschen am Gewinn der Deutschen Meisterschaft beteiligt. Und jetzt stand ich da auf dem Balkon und war überwältigt von dem Gefühl: Junge, du hier oben - es hat sich alles gelohnt."
Dass Hermann Gerland auch einer Feier gut tut, bewies er im Jahr 2013. Nach dem Gewinn der Champions League schnappte er sich seinen Freund und Trainer Jupp Heynckes ("Bei so kühlem Wetter bin ich noch nie deutscher Meister geworden", im Frühjahr 2013) und richtete legendäre Worte an ihn: "Josef, Champions-League-Sieger, ich habe einen Wunsch. Ich möchte, dass du mal ein wenig lockerer wirst. Denn irgendwann kommt der Sensenmann. Du kommst in den Himmel, ich komme in die Hölle. Davor müssen wir noch mal richtig die Sau rauslassen!" Die Bilder dieser Nacht zeigen: Auch die Bayern können Party machen - wenn es denn was zu feiern gibt.
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Quelle: ntv.de