Fußball-WM 2018

WM-Zeitreise - 3. Juli 1974 Auf der Wasserwalze ins Finale

Das WM-Gruppenspiel zwischen Deutschland und Polen am 3. Juli 1974 ist als "Wasserschlacht von Frankfurt" bekannt.

Das WM-Gruppenspiel zwischen Deutschland und Polen am 3. Juli 1974 ist als "Wasserschlacht von Frankfurt" bekannt.

(Foto: imago sportfotodienst)

Der Sommer 1974 ist zum Vergessen. Dann jagen auch noch heftige Unwetter über das Frankfurter Waldstadion hinweg. Der Platz ist eine einzige Seenlandschaft. Eigentlich kann hier kein Spiel stattfinden. Doch dann passiert etwas Unglaubliches!

Als im Frühjahr 2008 am 28. Spieltag der Fußball-Bundesliga die Begegnung zwischen dem 1. FC Nürnberg und dem VfL Wolfsburg abgebrochen wird, ist es die erste Partie seit der Gründung der Bundesliga, die wegen schlechter Witterungsbedingungen nicht zu Ende gespielt werden kann. Nach dem Wechsel verschob Schiedsrichter Jochen Drees an diesem Tag zunächst den Anstoß, um das Spiel nach einem längeren Abwarten schließlich komplett zu beenden.

Mit Flachsaugern soll das Frankfurter Waldstadion wieder bespielbar gemacht werden.

Mit Flachsaugern soll das Frankfurter Waldstadion wieder bespielbar gemacht werden.

Schiedsrichtersprecher Manfred Amerell sprach von einer "Entscheidung der Vernunft" und "dass ein regulärer Spielverlauf nicht mehr gewährleistet" sei. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Zuschauer bereits eine lebhafte erste Halbzeit im Dauerregen gesehen, in deren Verlauf immer mehr der Zufall das Geschehen bestimmte. Auch der Führungstreffer durch Saenko war zu großen Teilen den Platzverhältnissen geschuldet. Bei seinem Schuss aus 15 Metern rutschte Wolfsburgs Keeper Diego Benaglio aus und der Ball flutschte an seinen Händen vorbei ins Tor.

Natürlich wurden bei allen Beteiligten Erinnerungen an die "Wasserschlacht von Frankfurt" bei der WM 1974 zwischen Deutschland und Polen wach - vor allem, als durch die Nürnberger Greenkeeper schweres Gerät aufgefahren wurde.

Doch anders als am 11. April 2008 pfiff Schiedsrichter Erich Linemayr aus Österreich am 3. Juli 1974 die Partie nicht nur an, sondern ließ die beiden Mannschaften die Begegnung unter eigentlich nicht regulären Bedingungen auch zu Ende spielen. Bis heute gilt die alles entscheidende Partie in Gruppe B zwischen Deutschland und Polen unter Fußball-Nostalgikern deshalb als legendär.

Seenlandschaft im Waldstadion

Sie sehen: Uli Hoeneß im Schlamm-Duell mit Zygmunt Maszczyk.

Sie sehen: Uli Hoeneß im Schlamm-Duell mit Zygmunt Maszczyk.

(Foto: imago/Colorsport)

Die Zuschauer aus aller Welt, die 1974 bereits in Deutschland zu Gast gewesen waren, müssen sich angesichts des "Sommermärchens" des Jahres 2006 verwundert die Augen gerieben haben. Von solch einem wunderschönen Wetter konnte man 32 Jahre vorher nur träumen. Der Sommer 1974 war kühl - die Durchschnittstemperatur zwischen Juni und Ende August betrug gerade einmal 15 Grad - und vor allem verregnet. In diesen Tagen wurde damals der Hit "Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?" geboren, mit dem Rudi Carrell ein Jahr später außergewöhnlich warme Wonnemonate herbeisang.

Am 3. Juli 1974 jagte ein Unwetter nach dem nächsten über das Frankfurter Waldstadion hinweg. Schon seit Tagen hatte es aus dunklen Wolken immer wieder stark geregnet. Nun war der Boden so tief und feucht, dass er die erneuten Wassermassen einfach nicht mehr aufnehmen konnte. Der letzte Wolkenbruch hatte noch einmal 14 Liter pro Quadratmeter auf dem Rasen ausgekübelt. Das komplette Stadion hatte sich in eine Seenlandschaft verwandelt. An ein Fußballspiel war in einer solchen Situation nicht zu denken - normalerweise. Doch in vier Tagen sollte bereits das Finale in München angepfiffen werden. Eine Verlegung des Endspiels war unmöglich. Doch beide Teams sollten eine annähernd gleichlange Ruhephase vor dem Finale haben. Und so entschied die Fifa der Fairness halber, dass die Partie stattfinden müsse. Bis dahin jedoch war es noch ein weiter Weg.

Helfer versinken im Rasen

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Die Bilder, die von diesem Tag um die Welt gingen, zeigen Hubschrauber, die mit ihren Rotoren das Wasser vom Grün (ver-)treiben sollen. Sie zeigen Feuerwehrmänner, die mit Flachsaugern und Wasserstrahlpumpen verzweifelt versuchen den herabgefallenen Regen vom Rasen zu bekommen. Und sie zeigen Männer ohne Schuhe, die mit nackten Füßen im tiefen Grün versinken und vor sich her eine schwere Walze schieben - immer in der Hoffnung, damit den Wassermassen Herr werden zu können. Jede Bemühung einzeln betrachtet, hätte nicht den gewünschten Effekt gebracht, doch alle Versuche zusammen verleiteten Schiedsrichter Linemayr, trotz allergrößter Bedenken, dazu, die Begegnung mit einer halbstündigen Verspätung anzupfeifen.

Anfangs blieb unter diesen irregulären Bedingungen beiden Mannschaften nicht viel mehr übrig, als im Festival der Zufälle einen kühlen Kopf zu bewahren. Doch nach und nach verstanden es beide Teams immer besser, mit dem ungewohnten Untergrund klarzukommen. Besonders die Polen erspielten sich Chancen - doch der deutsche Keeper Sepp Maier hatte einen echten Sahnetag erwischt. Ersatztorwart Norbert Nigbur attestierte seinem Kollegen hinterher: "Die größte Leistung, die ich je von ihm sah!"

Und obwohl Uli Hoeneß in der 53. Minute sogar einen Elfmeter verschoss, rettete eine Bilderbuchkombination von Bernd Hölzenbein über Rainer Bonhof zum Torschützen Gerd Müller Deutschland die Finalteilnahme. Doch die deutsche Elf war nicht der einzige Gewinner des Tages. Sieger des Fußball-Rouletts in der "Regenschlacht von Frankfurt" waren zudem die vielen Hundert Helfer, die diese Partie am Ende überhaupt möglich gemacht hatten.

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Quelle: ntv.de

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