Disziplin statt Egotrip Deschamps räumt Frankreichs "Saustall" auf
03.07.2014, 09:53 Uhr
Erfolgscoach: Unter Didier Deschamps spielt Frankreich wieder Fußball.
(Foto: dpa)
Chaostruppe 2010, WM-Mitfavorit 2014: Frankreichs Fußballer tilgen in Brasilien die Schmach von Südafrika. Einer hat einen gehörige Anteil daran: Trainer Didier Deschamps. Unter ihm wird die Equipe Tricolore wieder zur Mannschaft. Das DFB-Team ist gewarnt.
Die Franzosen haben wieder Grund zur Freude. Es ist nicht etwa die bessere Wirtschaftslage, die unsere Nachbarn wieder lächeln lässt. Und auch ihr oft sauertöpfisch dreinschauender Staatspräsident François Hollande ist nicht dafür verantwortlich. Der ist bei den Franzosen unten durch. König Fußball sorgt in der Republik für gute Stimmung. Genauer gesagt, und das ist bemerkenswert, das eigene Team.
Bei der Weltmeisterschaft vor vier Jahren in Südafrika sah das noch anders aus. Frankreichs Fußballer galten als undiszipliniert und untrainierbar. Vor laufenden Kameras ließen Patrice Evra, Franck Ribéry, Nicolas Anelka und andere ihren eigenwilligen Coach Raymond Domenech auflaufen. Die Revolte rief sogar Staatschef Nicolas Sarkozy auf den Plan, er schickte Sportministerin Roselyne Bachelot zum "Aufräumen" nach Südafrika.
Doch auch die Dame erreichte nichts, sondern sorgte für noch größere Unruhe. "Was ist das für ein Saustall hier?", soll sie die Spieler angefahren haben. Die Mannschaft, die keine war, sondern eine Ansammlung selbstverliebter Einzelakteure, fuhr nach der Gruppenphase nach Hause. Domenech, mit dem man bei der Fußball-WM 2006 in Deutschland fast noch Weltmeister geworden war, wurde in die Wüste geschickt.
Die Wunden wurden auch noch bei der Europameisterschaft in Polen und der Ukraine zwei Jahre später geleckt. Domenech-Nachfolger Laurent Blanc führte die Mannschaft wenigstens noch ins Viertelfinale, doch gegen die übermächtigen Spanier war nach einer 0:2-Niederlage Feierabend. Erst mit Didier Deschamps sollte die Wende zum Besseren eintreten. Dazu kam noch Trauma-Bewältigung auf französische Art: Der Mannschaftsbus der "Les Bleus" von 2010 wurde dem Schrotthändler übergeben.
"Weiß, wie ein Team zu führen ist"

Didier Deschamps 1998 mit Frankreichs Präsident Jacques Chirac und dem WM-Pokal.
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"Er war Weltmeister, er weiß, wie ein Team zu führen ist", sagte Abwehrspieler Bacary Sagna über Deschamps. Dieser nahm diese Äußerung wohlwollend zur Kenntnis, faltete seinen Spieler aber kurze Zeit später dennoch zusammen. Sagna hatte sich zu weit aus dem Fenster gelehnt und getönt: "Das Verpassen des Titels wäre ein Scheitern." Der Disziplinfanatiker Deschamps hasst Übermut und Großmäuligkeit. Deshalb hat er nach eigenen Angaben auch "nicht unbedingt die besten Spieler berufen, sondern die, mit denen ich die beste Gruppe auf die Beine stellen kann". Ribérys verletzungsbedingter Ausfall war für den Coach deshalb auch keine große Katastrophe. Den schwierigen Samir Nasri ließ er gleich zu Hause. Die unflätige Reaktion von Nasris Freundin via Twitter auf diese Entscheidung wird Deschamps in seiner Meinung nur noch bestärkt haben.
Fußball ist Mannschaftssport, Deschamps weicht kein Jota von diesem Prinzip ab. Er war als aktiver Fußballer ein Vorzeigeprofi. Nicht Superstar Zinedine Zidane, sondern Deschamps war beim Gewinn der Weltmeisterschaft 1998 im eigenen Land und beim Erringen des EM-Titels zwei Jahre später Mannschaftskapitän. Er war der verlängerte Arm des legendären Trainers Aimé Jacquet auf dem Platz. Wie dieser setzt auch Deschamps bei der aktuellen Nationalmannschaft auf soziale Kompetenz. Schert einer aus, dann haut er dazwischen. Sagna kann ein Lied davon singen.
Deschamps hat bislang fast alles richtig gemacht. Den Stress in der Relegation zur WM gegen die Ukraine - in Kiew verlor man 0:2, wetzte diese Scharte aber mit einem 3:0 in Stade de France wieder aus - hätte sich der Coach gerne erspart. Dafür lief die Vorbereitung auf die WM ordentlich. Kurz vor der Abreise nach Brasilien wurden Winfried Schäfers Jamaikaner mit 8:0 regelrecht zerpflückt. Bereits vor dem Turnier krähte der gallische Hahn sehr laut.
Humorlos, effektiv, ohne große Schnörkel
Nun stehen die Franzosen im Viertelfinale und treffen in Rio de Janeiro auf die deutsche Mannschaft. Das Team spielte bislang wie seinerzeit sein Trainer: humorlos, effektiv und ohne große Schnörkel. Sehr schnell waren die Experten der Meinung, dass Frankreich zum Favoritenkreis gehört. Deschamps blieb ruhig, denn er wusste, dass seine Mannschaft mit Ecuador, der Schweiz und Honduras nicht gerade die schwersten Gruppengegner erwischt hatte. Die ohne Tempowechsel spielenden Nigerianer waren im Achtelfinale auch nicht der härteste Brocken, dennoch registrierte Deschamps, dass sich seine Mannschaft - muss sie das Spiel gestalten - damit sehr schwer tut: die erste Halbzeit pfui, die zweite so lala. Für Deutschland wird das im Viertelfinale nicht reichen.

Fataler Zusammenstoß: DFB-Keeper Toni Schumacher kollidiert im WM-Halbfinale 1982 mit Patrick Battiston und verletzt den Franzosen schwer.
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Deutschland gegen Frankreich - das ist ein WM-Klassiker. Bei den Weltmeisterschaften 1982 in Spanien und 1986 trafen beide Mannschaften aufeinander. Obwohl Frankreich mit ihrer legendären Mittelfeldachse Alain Giresse, Michel Platini, Jean Tigana damals vielleicht die spielstärkste Mannschaft der Welt aufbot, gewannen die spielerisch eher limitierten Deutschen. In der heißen Nacht von Sevilla, in der DFB-Keeper Toni Schumacher Patrick Battiston übel foulte, unterlagen die Franzosen im Halbfinale im Elfmeterschießen. Vier Jahre später in Guadalajara war Frankreich, das 1984 erstmals den EM-Titel geholt hatte, in der Runde der letzten Vier erneut das bessere Team. Wieder siegte Zweckmäßigkeit über Schönspielerei: Andreas Brehme (9.) und Rudi Völler (90.) verhinderten den französischen Einzug ins Endspiel.
Akribische Vorbereitung
Sind aller guten Dinge drei? Für Deschamps ist das kein Thema. Er bereitet die Mannschaft akribisch auf den Klassiker vor. Er weiß um die Stärken und Schwächen seiner Mannschaft. So hat das 45-minütige Experiment mit Olivier Giroud in der Sturmmitte und Karim Benzema auf der linken Seite gegen Nigeria nicht funktioniert. Erst mit Benzema in der Mitte wurden die Franzosen gefährlicher. Auch die innere Abwehr mit Raphael Varane und Laurent Koscielny - er lief für den verletzten Mamadou Sakho auf - war ziemlich hüftsteif.
Linksverteidiger Evra, der 2010 die Revolte gegen Domenech angeführt hatte, spielt einen soliden Part. Hugo Lloris, unter Deschamps Mannschaftskapitän, ist trotz kleinerer Unsicherheiten im Großen und Ganzen ein Rückhalt im Tor. Zufrieden kann Deschamps mit dem quirligen Mathieu Valbuena sein, der Ribérys Abwesenheit vergessen lässt. Auch der junge Antoine Griezmann überzeugte als Joker. Mehr muss aus dem Mittelfeld kommen. Paul Pogba hat trotz zuletzt ansteigender Form noch Reserven.
Deschamps wäre es sicherlich recht, wenn er gegen die Deutschen aus einer leichten Konterhaltung spielen lassen könnte. Die Abwehrschwächen, die die DFB-Auswahl vor allem gegen Ghana und Algerien zeigte, wird der Coach registriert haben. Aber ein gebranntes Kind scheut das Feuer: Joachim Löw wird wohl seinem Kollegen nicht den Gefallen tun, ins Messer zu laufen. Vielleicht denkt er an das alte Motto von Otto Rehhagel: kontrollierte Offensive. Aber egal wie Löw aufspielen lässt: Die französischen Fans werden dem Duell mit dem "liebsten Feind" entgegenfiebern.
Quelle: ntv.de