Fußball-WM 2018

Hype um fragilen Hoffnungsträger Schland will von Reus gerettet werden

Und dann gehst du nach vorn und machst dein Ding - oder was hat Löw hier Reus zu sagen?

Und dann gehst du nach vorn und machst dein Ding - oder was hat Löw hier Reus zu sagen?

(Foto: imago/Schüler)

Nach dem Mexiko-Fiasko der DFB-Elf ist Fußball-Schland überzeugt: Es muss ein Reus durch Schwedens Abwehr gehen. Um den WM-Debütanten ist ein Hype erwachsen. Die gute Nachricht: Reus ist bereit für Rettungsgroßtaten.

Wer die Tage seit dem "Fiasco Mexicana" des DFB-Teams nicht fußballabstinent verbracht hat - wozu das deutsche Spiel ja eher keine Ausladung war - dem dürfte zu Augen und Ohren gekommen sein: Die deutsche Nationalmannschaft wird in Sotschi auch im zweiten Vorrundenspiel bei dieser Weltmeisterschaft gegen Schweden (ab 20 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) mit elf Spielern antreten. Die große Frage ist allerdings: Warum eigentlich? Denn richten, da scheinen Öffentlichkeit, Experten und Ex-Nationalspieler einig, muss und wird es im frühesten WM-Endspiel der deutschen Fußballgeschichte eh einer ganz allein: Marco Reus von Borussia Dortmund, 29 Jahre alt, Offensivallrounder, Debütant in Russland - und von der zitternden Fußball-Nation nun als Erlöser eingeplant.

Deutschland - Schweden 20 Uhr

Voraussichtliche Aufstellungen

Deutschland: Neuer - Kimmich, Boateng, Süle, Hector - Khedira, Kroos - Müller, Reus, Draxler - Werner (Gomez); Trainer: Löw.
Schweden: Olsen - Lustig, Lindelöf, Granqvist, Augustinsson - Larsson, Ekdal - Claesson, Forsberg - Berg, Toivonen; Trainer: Andersson.
Schiedsrichter: Marciniak (Polen)
Stadion: Olympiastadion Sotschi

Ob Reus gegen Schweden in der Startelf stehen wird, ließ Joachim Löw offen. Er geheimniskrämte bei der Aufstellung, das tut der Bundestrainer auch in der Krise gern, er sagte am Tag vor der Partie: "Ich habe meine Gedanken und meinen Plan für morgen." Das musste genügen. Allerdings muss auch erwähnt werden: Nach Reus gefragt wurde Löw gar nicht erst. Vielleicht, weil der ohnehin als gesetzt gilt. In den Tagen seit dem grotesk hingeschluderten 0:1 zum WM-Start gegen Mexiko ist parallel zur ausufernden Debatte um Mesut Özil ein mindestens mittelgroßer Hype um den Dortmunder erwachsen. Die Fußball-Kanzlerin hat sich zwar noch nicht zur Causa eingelassen, angesichts ihrer eigenen Abwehrprobleme (Stichwort "Fiasko Bajuwariano") ist das aber eine entschuldbare Nachlässigkeit. Und es ändert nichts am Gefühl: Schland will von Reus gerettet werden.

Die frohe Kunde aus Sotschi lautet: Der Heilsbringer ist bereit für Großtaten, und er würde auch sehr gern vom Anpfiff weg zur Großtat schreiten: "Ich hoffe natürlich, dass ich zum Einsatz komme." Wissen tue er es aber noch nicht, beteuerte Reus gut gelaunt im ZDF. Wo er spiele, "ist mir eigentlich egal", hatte er zuvor erzählt, das "muss im Endeffekt der Bundestrainer entscheiden". Der rügte zwar bei der Pressekonferenz vor dem Schweden-Spiel, die Mängel im deutschen Angriff hätten gegen Mexiko alle "alle Offensivspieler" betroffen. Aber wenn sich doch einer davon eher nicht angesprochen fühlen durfte, dann war es Reus.

Deutsche Zweifelwolke über Sotschi

Löws Klamotten waren die auffälligste Kombination im Spiel gegen Mexiko. Der Ball? Eher aus Beton.

Löws Klamotten waren die auffälligste Kombination im Spiel gegen Mexiko. Der Ball? Eher aus Beton.

(Foto: imago/ActionPictures)

Neben seinen starken 35 Minuten gegen Mexiko, in denen er der lahmen DFB-Offensive etwas mehr Tiefe, Tempo und Kombinationsfreude geschenkt hatte, wurzelt der WM-Hype um Reus auch darin, dass es ansonsten an personellen Heilsbringer-Alternativen mangelt - und dass im deutschen Spiel zum Auftakt und auch in den Tagen danach dann doch ernüchternd wenig Hype-Taugliches gewesen war. Löws Kleiderwahl, der blütenweiße Schuhe zum schwarzen Trainingsoutfit trug, blieb als auffälligste deutsche Kombination im Moskauer Luschniki-Stadion in Erinnerung. Manuel Neuers ehrenwerter Einsatz als Krisenmanager konnte die deutsche Zweifelwolke über Sotschi nicht vertreiben, nicht einmal Thomas Müller konnte sie wegwitzeln. Die Einlassung von DFB-Manager Oliver Bierhoff, "irgendein Impuls" werde schon kommen, war irgendwie impulslos.

Auf dem Pressepodium hatte am Mittwoch in Sotschi auch Reus gesessen, der wie Müller 2010 erstmals ins DFB-Team berufen worden war. Links saß also Müller, Weltmeister, zehnfacher WM-Torschütze, 92 Länderspiele, 28 Jahre jung. Und rechts der ein Jahr ältere Reus, der Hoffnungsträger - der wegen seiner absurden Krankenakte sieben Spiele weniger bei Welt- und Europameisterschaften absolviert als Müller WM-Tore geschossen hat. Denn während Müller Torjägerkanone (2010) und WM-Titel (2014) gesammelt hatte, machte sich Reus vor allem um die medizinische Bildung der Nation verdient, die kennt sich jetzt aus mit Syndesmoseband, Schambeinentzündung und Kreuzbandteilrissen. Nur ein Reus-Spiel bei einem großen Turnier gesehen, das hatte die Nation vor dem Mexiko-Fehlstart seit dem Juni 2012 nicht mehr, und da waren es ja auch nur anderthalb gewesen.

Schon 2012 war Reus ein Heilsbringer.

Schon 2012 war Reus ein Heilsbringer.

(Foto: imago/HJS)

Zum Hype in der Heimat sagte Reus in Sotschi übrigens, der schwappe bis ans Schwarze Meer. Das nicht mitzubekommen sei ja "fast gar nicht möglich" - und es wäre in seinem Fall auch besonders kurios, da der Dortmunder das glimmende Personaldebättchen nach dem Mexiko-Spiel selbst zum Flächenbrand angefacht hatte. Die Frage, warum er nicht von Beginn an gespielt hatte, beantwortete er bekanntlich damit, dass der Bundestrainer halt "vor allem in den wichtigen Spielen" auf ihn baue. Das war wahrheitsgemäß, das bezog sich auf seinen verletzungsanfälligen Körper, der ihm in dieser Saison erst in der Rückrunde Spiele für den BVB ermöglicht hatte. Noch im Trainingslager in Südtirol hatte Löw über Reus den nach Intensivstation klingenden Satz gesagt: "Ich hoffe für uns und für ihn, dass er die nächste Woche durchsteht."

"Der Bundestrainer kennt mich schließlich auch schon länger"

Die Reus'sche Ehrlichkeit war aber auch ähnlich unbedarft wie das deutsche Abwehrverhalten gegen Mexiko. Und es erinnerte schmerzhaft an die EM 2012 in Polen und der Ukraine. Damals hatte Reus als 23-Jähriger im EM-Viertelfinale bei der 4:2-Zertrümmerung der Beton-Griechen in Danzig sein Turnierdebüt gefeiert, er hatte herausgeragt. Das fand auch der Bundestrainer, der Reus deshalb im Halbfinale gegen Italien wieder aus der Startelf rotierte - offenbar um den schon damals fragilen Hochbegabten für ein Endspiel zu schonen, das es nie geben sollte.

Die vercoachte Finalteilnahme gilt bislang als schwerste Niederlage Löws, das nun drohende Aus in der WM-Vorrunde würde sie natürlich locker toppen. Gegen Italien wurde Reus damals in der 46. Minute für Lukas Podolski eingewechselt, zu spät. Und nun? Konkrete Startelf-Forderungen stellt er nicht. Er könne sich nur im Training anbieten. Aber in den 15 öffentlichen Minuten bei der Abschlusseinheit im Fisht-Stadion war ihm anzusehen, wie sehr er für die WM und sein Startelfdebüt brennt, so virtuos streichelte er den Ball beim Kreiseln, so selbstverständlich leitete er ihn mit nur einem Ballkontakt zum Mitspieler weiter, perfekt in den Fuß, wie es auch gegen Schwedens Abwehr von Vorteil wäre.

"Der Bundestrainer kennt mich schließlich auch schon länger, er weiß um meine Fähigkeiten", hat Reus in Sotschi zu seinen Chancen gesagt. Das war mitnichten ein Eigenlob, Reus ist ein Bessermacher. Die Erwartungshaltung, die den vielseitigen Offensivspieler umflirrt, liegt eben auch an den "außergewöhnliche Fähigkeiten", die nicht nur Löw ihm zuschreibt. Und daran, dass sich Schland, anders als an den Künsten eines Müller oder Toni Kroos, bei Großturnieren eben noch nicht an ihnen sattsehen konnte. "Wahnsinnig geschickt, intelligent und raffiniert im Torabschluss", so hatte Löw im Trainingslager über Reus geschwärmt. Was der mache, "wirkt immer so leicht", und die verlorene Leichtigkeit war nach dem Mexiko-Spiel ja ein großes Thema im DFB-Team. Aber damit noch nicht genug der Lobhudelei. Der Dortmunder, sagte der Bundestrainer auch, sei "eine Rakete". Jetzt muss sie nur noch zünden dürfen.

Quelle: ntv.de

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