DFB-Elf dominiert die USA Schweinsteiger chefig, Lahm spurt, Podolski klebt
27.06.2014, 06:27 Uhr
Schweinsteiger spielte zum ersten Mal von Beginn an und übernahm sofort wieder die Chefrolle. Doch die Kräfte reichten nicht bis zum Schluss. Wie lange geht das gut?
(Foto: imago/Xinhua)
Das war nicht der ganz große Wurf, doch die deutschen Fußballer stehen nach dem Sieg gegen die USA im Achtelfinale der WM. Weil Müller müllert, Schweinsteiger wieder da ist und Lahm in Form kommt. Nur ein Ex-Kölner hat keinen guten Tag.
Es hat ein wenig gedauert, aber am Ende war es doch ein deutsch-amerikanisches Freundschaftsfest. Das Spiel war längst abgepfiffen, als auf der Anzeigetafel in der Arena Pernambuco das Ergebnis erschien, auf das viele gewartet hatten: Portugal zwei, Ghana eins. Spieler und Fans jubelten. "USA! USA!" Und alle im Stadion waren zufrieden.
Die deutschen Fußballer und ihr Trainer Joachim Löw waren es, weil sie in ihrem letzten Vorrundenspiel bei dieser Weltmeisterschaft in Brasilien die Amerikaner mit 1:0 (0:0) geschlagen hatten und nun als Sieger der Gruppe G am Montag im Achtelfinale in Porto Alegre gegen Algerien spielen. Und die Spieler aus den USA und ihr Trainer Jürgen Klinsmann waren es, weil sie sich trotz der Niederlage als Gruppenzweiter zu den 16 besten Mannschaften der Welt zählen dürfen. Das hätte man nicht besser absprechen können, entzieht sich a ber jeglichem Mauscheleiverdacht.
Tor: 0:1 Müller (55.) USA: Howard - Johnson, Gonzalez, Besler, Beasley - Beckerman, Jones - Zusi (84. Yedlin), Bradley, Davis (59. Bedoya) - Dempsey
Deutschland: Neuer - Boateng, Mertesacker, Hummels, Höwedes - Lahm, Schweinsteiger (76. Götze) - Özil (89. Schürrle), Kroos, Podolski (46. Klose) - Müller
Schiedsrichter: Irmatow (Usbekistan)
Zuschauer (in Recife): 41.876 in Recife
Dafür trat die DFB-Elf von Beginn an viel zu dominant auf. Weil es aber mit dem Herausspielen der Torchancen nicht ganz so gut klappte wie sicherlich gewünscht, dauerte es exakt 55 Minuten, bis Thomas Müller an diesem arg verregneten Donnerstag in Recife sein viertes Tor bei diesem Turnier erzielte. Was bleibt, sind ein unspektakulärer und dementsprechend wenig mitreißender Sieg, sieben Punkte aus drei Spielen - und eben der Einzug ins Achtelfinale. Dort geht es, wie der Bundestrainer treffend bemerkte, "um alles oder nichts". Löw erwartet in der K.-o.-Runde Spiele "mit erhöhter Brisanz und Dynamik". Das sind doch schöne Aussichten. Die deutschen Spieler in der Einzelkritik:
Manuel Neuer: Manu, der Libero. Wie das wohl ist, 90 Minuten nahezu arbeitslos im Regen zu stehen? Laut Statistik musste der 28 Jahre alte Münchner in seinem 48. Länderspiel keinen einzigen Schuss parieren. Das aber machte er prima. Zuletzt war es Oliver Kahn so ergangen, bei der WM 2002 in Japan und Südkorea beim 8:0-Auftaktsieg gegen Saudi-Arabien. Gegen Ghana hatte Neuer noch mit einer Slapstick-Einlage geglänzt, als er in letzter Minute den Ball nicht zu einem Kollegen warf, sondern einfach nur nach oben - ihn dann aber volley noch vorne drosch. Auf solche Spielchen aber hatte er in Recife wohl keine Lust. Verdingte sich stattdessen die meiste Zeit als Feldspieler, weit, weit vor seinem Tor.
Jérôme Boateng: "Manni Boateng", raunte ein Kollege auf der Pressetribüne, als der 25 Jahre alte Außenverteidiger des FC Bayern München sich in seinem 42. Länderspiel nach einer Viertelstunde bereits zum dritten Mal nach vorne geschlichen hatte, um den Ball in den amerikanischen Strafraum zu flanken. Und das sogar gut. Aber schließlich hatte er, wie alle eigentlich, vorher gesagt: "Auf Remis zu spielen, ist nicht unser Ding." Machte seine Sache auf der rechten Seite ordentlich, wie erwähnt vor allem offensiv. Den Platz dazu hatte er. Oder wie der Bundestrainer hinterher über die Spieler seines Freundes Klinsmann sage: "Ich hätte sie ein bisschen aktiver erwartet." Nach der Pause konzentrierte sich Boateng dann mehr auf die Abwehrarbeit, auch, weil er zuvor zweimal einen Gegenspieler entwischen ließ. War aber klar der bessere Außenverteidiger - obwohl er eigentlich Innenverteidiger ist.
Per Mertesacker: Per der Libero. Das hat niemand geraunt, sah aber auf dem trotz des Dauerregens gut erhaltenen Rasen der Arena Pernambuco so aus. Der 29 Jahre alte Innenverteidiger des FC Arsenal zeigte gegen die USA in seinem 101. Länderspiel eine gewohnt souveräne Leistung und beeindruckte nicht nur den Gegner damit, dass er nahezu jedes Kopfballduell gewann. So bereitete er auch das Tor des Tages vor, als er nach einer Ecke des Kollegen Kroos den Ball wuchtig im Flug auf das Tor köpfte. Tim Howard, der Torhüter der USA, faustete den Ball - vor die Füße von Thomas Müller. Apropos deutsch-amerikanische Freundschaft: Mertesacker ist ja bekennender Klinsmann-Fan. Hatte 2004 unter ihm in der DFB-Elf debütiert und ist ihm bis heute dafür dankbar. "Was Jürgen Klinsmann damals mitangefangen hat, wird heute noch weitergelebt."
Mats Hummels: Hielt mit Mertesacker den Laden zusammen. Der 25 Jahre alte Dortmunder zeigte im 33. Länderspiel wie sein Nebenmann eine souveräne, zweikampfstarke Abwehrleistung. Sein Plus: Er beteiligte sich aktiv am Spielaufbau, während der Kollege hinten die Stellung hielt - zusammen mit Torhüter Neuer. Hatte, wie alle eigentlich, vorher angekündigt: "Wir spielen auf Sieg. Auf Unentschieden zu spielen ist auch gar nicht unser Ding." Ein Mann, ein Wort. Was noch auffiel: Er spielt in der Nationalelf doch anders als beim BVB. Lange Pässe jedenfalls schlug er in dieser Partie kaum. Konstatierte nach der Partie: "Wir haben eine konzentrierte Leistung abgerufen. Wie wussten, dass die USA gut sind und es kein einfaches Spiel wird." Nun ja, so gut waren die Amerikaner nun auch wieder nicht.
Benedikt Höwedes: Der 26 Jahre alte Schalker stand im dritten Spiel bei dieser WM zum dritten Mal in der Startelf und war in seinem 24. Länderspiel klar der schlechtere der beiden Außenverteidiger. Die linke Abwehrseite bleibt die Problemzone der deutschen Mannschaft. Dafür trägt Höwedes insofern nur bedingt die Verantwortung, als dass er ja eigentlich Innenverteidiger ist. Hatte vor der Partie, wie alle eigentlich, gesagt: "Wir gehen mit dem klaren Gedanken ins Spiel, gewinnen zu wollen." Hat geklappt. Er erledigte, das zu seiner Ehrenrettung, seinen Job solide und kopfballstark, wurde allerdings nach zwölf Minuten und einem taktisch gesehen gar nicht so dummen Foul am Hoffenheimer Fabian Johnson mit Gelb verwarnt. Es war die erste Karte gegen einen Spieler der DFB-Elf bei diesem Turnier.

Philipp Lahm zeigte sein bisher stärkstes Spiel bei der WM und verhinderte mit einem Kung-Fu-Sprung den Ausgleichstreffer der USA.
(Foto: dpa)
Philipp Lahm: Die Diskussion, ob der Kapitän im defensiven Mittelfeld gut aufgehoben ist oder seiner Mannschaft nicht doch als Außenverteidiger, am besten links, mehr helfen würde, wird auch nach diesem Spiel weiter toben. Aber: Der 30 Jahre alte Münchner zeigte in seinem 109. Länderspiele seinen stärksten Auftritt bei diesem Turnier. Im defensiven Mittelfeld natürlich, darauf hat sich der Bundestrainer festgelegt. Davon wird er auch bei dieser WM nicht abrücken. "Diese Diskussion gibt es in Deutschland seit Jahren." Erst sei die Frage gewesen, ob er als linker oder rechter Außenverteidiger besser sei; nun, ob als Mittelfeldspieler oder Außenverteidiger. Gegen die USA war Lahm wie gewohnt sicher am Ball, pendelte zwischen den beiden Strafräumen hin und her und mühte sich redlich, das Spiel seiner Mannschaft anzukurbeln - wenn auch nicht alles gelang. Er tat das im Verbund und Positionswechsel mit seinen Vereinskollegen Bastian Schweinsteiger und Toni Kroos. Und er verhinderte mit einem grandiosen Kung-Fu-Sprung in letzter Sekunde den Ausgleich.
Bastian Schweinsteiger: Rückte für den erschöpften Sami Khedira erstmals bei dieser WM in die Startelf, sah und gab gleich den Chef im dominanten Mittelfelddreieck - bis zu seiner Auswechslung eine Viertelstunde vor dem Abpfiff. Löw drückte das so aus: "Schweinsteiger war, so lange die Kräfte gereicht haben, schon auch kämpferisch sehr gut." Bleibt die Frage, wie lange das gut geht, auf einer so entscheidenden Position mit Spielern zu arbeiten, die immer noch nicht die Kraft für ein ganzes Spiel, geschweige denn für eine Verlängerung haben. Ansonsten aber trat der 29 Jahre alte Münchner in seinem 104. Länderspiel mit dem ernsthaften Ansinnen auf, das Heft in die Hand zu nehmen und nicht wieder herzugeben. Er glänze nicht nur durch unermüdlichen Einsatz, sondern auch mit feinen Pässen und war oft der offensivste in der drei zentralen Mittelfeldspieler. Und wurde auffallend oft und hart gefoult. Nach 76 Minuten dufte er gehen, Mario Götze kam. Der 22 Jahre alte Dortmunder hatte seinen Platz auf dem linken Flügel an Lukas Podolski verloren, war aber in seinem 32. Länderspiel in zentraler Position das, was gerne als belebendes Element bezeichnet wird. Er hatte übrigens vorher die Öffentlichkeit beruhigt: "Gegen die USA holen wir drei Punkte."
Toni Kroos: Plagt sich ja immer noch mit der Rolle des verkannten Genies. Darüber hatte er in dieser Woche mit der „Süddeutschen Zeitung“ gesprochen. "Ich bin präsenter und dominanter geworden, gerade in der abgelaufenen Saison. Meine guten WM-Spiele sind einfach nur ein Beleg für diese Entwicklung." Irgendwann sei der Moment gekommen, "an dem ich mir gesagt habe: Das ziehe ich jetzt 90 Minuten durch." Man kann nicht behaupten, dass der 24 Jahre alte Münchner das in seinem 47. Länderspiel nicht getan hätte. Lief viel wie eh und je, aber das ist es nicht. Er beeindruckte wieder mit unglaublicher Pass- und Ballsicherheit, seiner Übersicht und Ruhe. Ließ sich auch von den Chefansprüchen Schweinsteigers nicht allzu sehr beeindrucken. Das kennt er ja vom FC Bayern, die beiden wechselten sich in der Spieleröffnung einfach ab. So soll es sein. Hat allemal das Zeug, der prägende deutsche Spieler dieses Turniers zu werden.

Lukas Podolski: engagiert, aber oft zu früh dran und ohne Durchschlagskraft auf der linken Seite.
(Foto: dpa)
Mesut Özil: Neben dem Kollegen Boateng einer, der auf dem rechten Flügel nicht dort spielt, wo er gerne würde - als Spielmacher nämlich. Das weiß auch Löw. Aber den Job gibt’s ja so gar nicht mehr seiner WM-Formation. Und wenn, dann hat ihn Toni Kroos inne, weil’s der Bundestrainer so will. Weil er glaubt, dass der dort einfach besser aufgehoben ist. Der 25 Jahre alte Özil vom FC Arsenal hatte angekündigt, sich weiter steigern zu wollen, rechter Flügel hin, rechter Flügel her. Oder wie in der zweiten Halbzeit für Podolski auf der linken Seite. Mit etwas Häme könnte man nach seinem 58. Länderspiel sagen: Dann hat er noch viel Luft nach oben. Ganz so war es aber nicht. Er ist ohne Frage ein großartiger Fußballspieler, und genau daran wird er gemessen. Es war sein bestes Spiel bei dieser WM. Und doch wirkt er, gerade nach zwei vergebenen Chancen wie gegen die USA, als trage er all das Leid dieser Welt auf seinen schmalen Schultern. Und nicht wie ein Fußballprofi, der unbedingt ein Spiel prägen will. Eine Minute vor dem Ende der Partie nahm Löw ihn raus und verhalf dem 23 Jahre alten André Schürrle vom FC Chesea zu seiner 35. Partie im Trikot des DFB.
Thomas Müller: Tja, Müller halt. Hatte sich vor diesem Gruppenfinale ganz in den Dienst der Mannschaft gestellt und verkündet: "Ich habe bereits einen goldenen Schuh. Was hätte ich von einem zweiten?" Und dann schießt der 24 Jahre alte Münchner in seinem 52. Länderspiel doch wieder sein Tor - sein viertes bei diesem Turnier. So viele haben sonst nur der Brasilianer Neymar und der Argentinier Lionel Messi geschafft. Hinterher sagte Müller: "Das war ein gelungenes Spiel." Einen Plan hat er auch: "Wir müssen mit Disziplin und Einsatz weitermachen. Noch etwas Glück - und wir können weit kommen." Noch Fragen?
Lukas Podolski: Ergatterte als Überraschung des Tages einen Platz in der Startelf. Nur hat Özils Vereinskollege seine Chance nicht wirklich genutzt. Wenn der 29 Jahre alte Podolski wie auch in seinem 116. Länderspiel auf der linken Seite spielt, dann spielt er auf der linken Seite. Und zwar nur dort, und trotzdem in Recife nicht konsequent genug. Ihm gelangen kaum Flanken und Schüsse aufs Tor. "Er hatte nicht so ganz die Bindung zum Spiel und ist meist ein bisschen zu früh nach innen gezogen", bemängelte Löw; nicht ohne darauf hinzuweisen, dass der ehemalige Kölner seit Wochen in guter Form und ausgesprochen engagiert sei. Wir tippen, dass am Montag gegen Algerien wieder Götze beginnt. Zur Pause jedenfalls war Schluss. Es kam der 36 Jahre alte Miroslav Klose. Die schlechte Nachricht zuerst: Er schoss in seinem 134. Länderspiel nicht sein 16. WM-Tor, das ihn zum alleinigen Rekordhalter gemacht hätte - obwohl er gleich nach sieben Minuten die Chance dazu hatte. Ronaldo, also der dicke, wird aufgeatmet haben. Das Thema bleibt uns also erhalten. Die gute Nachricht ist: Er kann’s immer noch, rannte wie ein Junger und war sich wie stets auch für die Defensivarbeit nicht zu schade. Es war sein 21. Einsatz bei einer Weltmeisterschaft. Öfter liefen nur der Italiener Paolo Maldini (23) und ein Mann namens Lothar Matthäus (25) auf. Auch dieser Rekord könnte bei diesem Turnier noch ein Thema werden.
Quelle: ntv.de