Gefühlte Pleite gegen Schweizer Neymars Leiden und Brasiliens Klagen
18.06.2018, 10:23 Uhr
Jetzt bloß nicht den Kopf in den Rasen stecken, Neymar!
(Foto: imago/Fotoarena)
Brasilien startet furios ins erste WM-Spiel, muss dann aber feststellen, dass die 7:1-Geister noch immer in den Köpfen sind. Zudem hadert die Selecao mit dem Schiedsrichter und dem robusten Schweizer Gegner.
Die Folgen der Tortur waren nicht zu übersehen, und dies sollte auch so sein. Neymar humpelte mit leidender Miene aus dem Kabinentrankt, sehr langsam absolvierte er die letzten Meter des Arbeitstages, vielleicht langsamer, als es hätte sein müssen. Er führte den Journalisten sein Leid vor, das körperliche aber auch seelische. Der brasilianische Fußball-Superstar, gerade erst kuriert von einer Fußverletzung, fühlte sich gut 90 Minuten lang verfolgt und körperlich gequält von seinen Gegnern. Das alles wäre womöglich zu ertragen gewesen, zumal es laut Mannschaftsarzt Rodrigo Lasmar "kein Problem" gibt und Neymar "zu 100 Prozent spielbereit" ist, hätten die Brasilianer am Ende ihre Auftaktpartie bei dieser WM gewonnen.
Aber die politisch zur Neutralität verpflichtete Schweiz hat sich in der Rostow-Arena als ein sehr feindselig gesinnter Gegner entpuppt, der keine Rücksicht nahm auf brasilianische Befindlichkeiten, Superstars und ein 7:1-Gespenst, das es endlich zu vertreiben gilt. Das 1:1 fühlte sich für die Selecao deshalb wie eine Niederlage an - und ein bisschen war es das ja auch.
Coutinho erlöst Selecao - zunächst
Die Brasilianer waren wild entschlossen, dieser WM gleich im ersten Spiel ihren Stempel aufzudrücken, zu zeigen, dass sie unter Nationaltrainer Tite zum schönen Spiel aber auch effektiven und kompakten Spiel zurückgefunden haben, dass sie Titelfavorit sind und die Schmach im eigenen Land vier Jahre zuvor tilgen wollen. Mit zauberhaften Ballstafetten und unheimlichem Offensivdrang ließen sie der Schweizer Defensive zunächst kaum Luft zum Atmen. Als Philippe Coutinho die Selecao mit einem wunderbaren Treffer in der 20. Minute in Führung brachte, schien der Bann gebrochen. Die Spieler feierten und jubelten, als wäre gerade etwas ganz Wichtiges gelungen und nicht nur ein erstes Tor in einem ersten WM-Spiel.
Aber Brasilien schleppt eben 2014, dieses deutsche 7:1 aus dem Halbfinale mit sich herum, das psychologisch, wie Tite vor diesem Turnier zugab, "eine sehr große Bedeutung" hat. Für das Land, aber vor allem für die Mannschaft, die mittlerweile zwar ein anderes Gesicht hat, aber noch immer ein paar wichtige Spieler in ihren Reihen, die die Schmach damals in Belo Horizonte miterlebt haben. Neymar gehört nicht dazu, er musste im Halbfinale mit gebrochenem Lendenwirbel zuschauen, und vielleicht macht es das besonders schwierig. Mit ihm, da ist sich ganz Brasilien sicher, wäre das nicht passiert, und er fühlt sich verpflichtet, diesen Beweis zu liefern.
Neymar jammert über unfaire Schweizer
Das Tor war wie eine Befreiung, aber nur im Moment des Jubels. "Man konnte fühlen, dass da was passiert", sagte Tite. Die Brasilianer hätten einfach so weitermachen können, fast zwangsläufig wären noch ein, zwei Tore gefallen, aber sie haben sich fatalerweise zurückgezogen. "Das ist nicht unsere Spielweise", gibt der Trainer zu. "Aber die Angst vor dem ersten Spiel war da." Warum sich diese ausgerechnet nach der erlösenden Führung zeigte, weiß aber auch Tite nicht.
Die Schweizer taten dann das, was als spielerisch unterlegene Mannschaft am erfolgversprechendsten ist, sie bekämpften den Gegner mit allen zulässigen und manchmal auch unzulässigen Mitteln. Die Statistiker zählten allein zehn Fouls an Neymar, dem zwar seine längere Pause nach der Verletzung noch anzumerken war, aber er ist eben auch im nicht ganz fitten Zustand nur schwer zu halten. "Die Gegenspieler treten und die Schiedsrichter müssen darauf mehr Acht geben", klagte Neymar.
Für den eidgenössischen Trainer Vladimir Petkovic war es "ein Schlüssel", den Superstar des Gegners aus dem Spiel zunehmen. Der andere, dass Steven Zuber den Ausgleich köpfte, in dem er sich im Strafraum, wie die Brasilianer fanden, mit unfairen Mitteln Platz verschafft hat. "Es war ein Foul, darüber braucht man nicht zu diskutieren", sagte Tite. Aber als Entschuldigung solle diese Entscheidung nicht gelten. Denn danach gab seine Mannschaft zwar die Zurückhaltung auf, verlor sich aber zu sehr in Eins-gegen-Eins-Situationen, statt den Ball laufen zu lassen. "Wir hätten kühlen Kopf bewahren müssen", gibt Tite zu. Aber damit haben die Brasilianer eben so ihre Probleme.
Quelle: ntv.de