Emotionaler Fall "Imane Khelif" Wütender Box-Verband liefert bizarres Schauspiel voller Widersprüche
06.08.2024, 08:33 Uhr
"Ich bin nur hier, um das Chaos zu beseitigen", sagt IBA-Präsident Umar Kremlew.
(Foto: dpa)
Um die beiden Boxerinnen Imane Khelif und Lin Yuting ist bei den Olympischen Spielen eine hitzige Geschlechter-Debatte entbrannt. Nun beruft der umstrittene Box-Verband IBA kurzerhand eine Pressekonferenz in Paris ein - und gerät dabei selbst unter Druck.
Mit einem bizarren Schauspiel voller Widersprüche hat der umstrittene und vom Internationalen Olympischen Komitee suspendierte Box-Weltverband IBA in der extrem hitzigen Genderdebatte um zwei Boxerinnen bei den Olympischen Spielen weiteres Öl ins Feuer gegossen - und mehr Fragen aufgeworfen als Antworten geliefert. "Wir haben wissenschaftliche Tests, die zeigen, dass sie männlich sind", behauptete der bei einer Medienrunde in Paris zugeschaltete Präsident Umar Kremlew. Diese Tests hätten "sehr hohe Testosteronwerte gezeigt", man könne aber nicht sagen, "ob es Transgenderfälle sind oder nicht".
Ioannis Filippatos, Ex-Vorsitzender des medizinischen Komitees der IBA, erklärte: "Das Problem ist, dass wir zwei Blutuntersuchungen mit einem männlichen Karyotyp (Erscheinungsbild des Chromosomensatzes, Anmerk. d. Red.) haben. Dies ist die Antwort des Labors." Die Ergebnisse könne der Verband aber nicht offenlegen, ergänzte IBA-Generalsekretär Chris Roberts. "Das IOC hat all diese Informationen zu den Tests bekommen. Die interessante Situation hier ist: Das IOC hat nichts damit gemacht." Selbst wenn ein solcher Test XY-Chromosomen anzeigt, bedeutet das jedoch nicht, dass eine Person automatisch männlich ist. Es gibt auch XY-Frauen.
In einem Statement aus der vergangenen Woche hatte der Verband noch behauptet, Testosterontests seien bei der Algerierin Imane Khelif und Lin Yuting aus Taiwan nicht vorgenommen worden. Von IBA-Wettbewerben wurden die beiden Boxerinnen 2023 ausgeschlossen. In Paris sind sie startberechtigt, weil das IOC nach dem Ausschluss der IBA abermals das Boxturnier ausrichtet. Khelif und Lin stehen jeweils im Halbfinale und haben bereits eine Medaille sicher.
"Eine Provokation von Thomas Bach"
"Der Inhalt und die Organisation der IBA-Pressekonferenz sagen alles, was Sie über diese Organisation und ihre Glaubwürdigkeit wissen müssen", teilte das IOC später mit. Deren Sprecher Mark Adams hatte vor Tagen über die Funktionäre des Verbands gesagt: "Diese Menschen sind nur in ihrem eigenen Kopf glaubwürdig." Über den Brief mit den Informationen zu den Tests sagte Adams, dass sich das Internationale Olympische Komitee nicht mit den wissenschaftlichen Standards der Analyse beschäftigt habe, weil es sich um keine legitime Quelle handelte. Das IOC erkennt die IBA nicht an und organisiert das Boxturnier bei Olympia erneut selbst.
Die IBA hatte am Montag kurzfristig Medienvertreter in den Salon des Miroirs im Herzen von Paris eingeladen. Rund 100 Journalisten und etwa zwei Dutzend Kamerateams kamen. Die Veranstaltung begann rund eineinhalb Stunden verspätet und wurde geprägt von technischen Störungen sowie Zwischenrufen aus dem Plenum. Es kam wiederholt zu tumultartigen Szenen.
Der kremlnahe IBA-Boss Kremlew führte sich mit einem 20-minütigen Monolog auf Russisch ein, in dem er das IOC um Präsident Thomas Bach harsch attackierte. "Ich bin nur hier, um das Chaos zu beseitigen", sagte Kremlew, der laut und impulsiv sprach. "Ich möchte alle Boxerinnen und Boxer verteidigen und beschützen." Dass das IOC keine eigenen Tests vor den Spielen vorgenommen habe, nachdem die IBA es informiert hätte, sei "eine Provokation von Thomas Bach". Kremlew schimpft: "Wir zerstören den Sport auf diese Art und Weise."
"Attacke auf die Menschenrechte"
Das IOC vertritt die Ansicht, dass das im Pass angegebene Geschlecht maßgeblich ist für die Zulassung. IOC-Sprecher Adams hatte am Sonntag Gründe aufgezählt, warum ein Geschlechtertest unseriös sei und keine verlässliche Grundlage darstelle. Er sprach von einer "Attacke auf die Menschenrechte dieser weiblichen Athleten". Bach hatte am Samstag erklärt, es habe "nie ein Zweifel" bestanden, dass Khelif und Lin "Frauen sind".
Für die Organisation des Box-Turniers trägt das IOC genau wie drei Jahre zuvor in Tokio die Verantwortung. Der Grund ist die Suspendierung der inzwischen ausgeschlossenen International Boxing Association (IBA) 2019. Die IBA wird für Korruption, Führungsprobleme und Wettbewerbsverzerrung kritisiert, die aktuelle Führung um Kremlew berichtete jedoch von "umfassenden Reformen".
Quelle: ntv.de, tno/dpa/sid