Walijewas Worte an Tutberidse Ein überschwänglicher Dank, der Zweifel weckt
22.02.2022, 16:12 Uhr
"Mit ihnen an meiner Seite fühle ich mich sicher", sagt Walijewa.
(Foto: imago images/SNA)
Die Olympischen Spiele in Peking haben dem russischen Eiskunstlaufen einen gewaltigen Image-Schaden verpasst. Die Bilder der gnadenlosen Trainerin Eteri Tutberidse sorgen weltweit für Empörung. In der Heimat hat man dafür kein Verständnis - und baut eine schützende Burg.
Kaum hat sich die Erde nach den olympischen Beben beruhigt, beginnt im russischen Eiskunstlauf-Team die Wiederaufarbeitung. Die Risse im Bollwerk der Dominanz, die vergangene Woche in Peking in offenbarer Gnadenlosigkeit auftraten, werden nun eilig gekittet. Allerdings bleibt die Frage: Wird da solides Handwerk betrieben oder gibt es Pfusch am Bau?
Die dringlichsten Arbeiten werden rund um Eteri Tutberidse betrieben. Die empathielose Trainerin ist verantwortlich für einen der grausamsten Momente der Olympischen Spiele. Als ihre Schülerin Kamila Walijewa vor den Augen der Welt in vier Minuten zerbrochen war, als das Mädchen, das die Last einer positiven Dopingprobe nicht mehr schultern konnte und verzweifelt vom Eis schlich, nach Halt suchend, fand die 15-Jährige nur ihre verärgerte Trainerin. Vorwürfe statt Verständnis.
Einer der kältesten Momente der olympischen Geschichte eskalierte sogar bis an die Spitze des IOC. Präsident Thomas Bach war "verstört" von den Bildern, die Tutberidse lieferte. Der Mann, der sonst das kritische Wort scheut wie der Teufel das Weihwasser, zeigte sich überraschend und plötzlich auf einer Bühne abseits von Schönrederei und einer fremden Sicht auf die Welt. Sogar in Russland, dem Land, dem Bach sonst sehr zugeneigt ist, war man erstaunt über die Sätze von Bach.
Faszination ist größer als der Schreck
Blitzschnell wurde eine schützende Burg um die Trainerin gebaut, die in den vergangenen Jahren die Spitze der Eiskunstlaufwelt geformt hatte. Seit acht Jahren dominieren die so jungen Athletinnen aus ihrer "Quad Squad" die internationalen Wettbewerbe. Sie gehen dafür einen Weg, den man getrost als "Hölle" bezeichnen darf. Nach der olympischen Hässlichkeit wurden immer mehr Details über die knallharten Methoden bekannt. Doch der Erfolg gibt Tutberidse eben recht. So sehen sie das.
Aus dem Kreml hieß es als Reaktion auf kritische Kommentare über die 47-Jährige, dass man wisse, dass Härte und Rigidität einer Trainerin der Schlüssel zum Erfolg seien. Und augenscheinlich ist die Faszination für eine Zusammenarbeit mit der gebürtigen Moskauerin größer als der Schreck vor den Methoden. Das gilt für die 17 Jahre junge neue Olympiasiegerin Anna Schtscherbakow. Und auch für Alexandra Trusowa. Die ebenfalls erst 17-jährige Silbermedaillengewinnerin von Peking war kurz vor den Spielen zu ihr zurückgekehrt.
Auch Walijewa wollte als junges Mädchen, so heißt es, unbedingt in das legendäre Team "Sambo 70" von Tutberidse. Dort reifte das "Jahrhunderttalent" zum neuen Superstar. Mit 15 Jahren galt sie bei den Spielen in Peking bereits als Goldfavoritin. Diesen Status untermauerte sie mit einer magischen Kür im Team-Wettbewerb. Dort triumphierte die Equipe der russischen Athleten, die wegen des Staatsdoping-Skandals bei den Heim-Winterspielen 2014 in Sotschi noch immer nicht wieder offiziell als Russland antreten dürfen. Und wäre im Nachgang dieses magischen Moments nicht der positive Dopingtest bekannt geworden, Walijewa wäre auch im Einzel wohl kaum zu schlagen gewesen.
Verstörendes Video
Aber Walijewa hielt den Druck nicht aus. Es war ein sportlicher und emotionaler Zusammenbruch mit Ansage. Warum hatte man ihr das überhaupt zugemutet? Warum hat man dieses Mädchen nicht be- und geschützt? Antworten sucht man bislang vergeblich. Findet man sie in der Härte des Umfelds? In dem Skandal wurde der Teenager zum Instrument. Ihr Startrecht wurde erstritten. Als Erklärung für den Dopingtest (ein Herzmittel wurde nachgewiesen) wurde eine seltsame Geschichte über einen Schluck aus Opas Glas gestrickt. Walijewa musste alles mitgehen. Wenn sie sprach, dann nur in russischen Medien. Aus offiziellen Runden wurde sie herausgehalten. Warum? Man weiß es nicht.
Auch rund um Walijewa wird eine schützende Burg gebaut. Ob sie mehr Heimat oder Gefängnis ist? Man weiß es nicht. Die Sorge, dass die Laufbahn der 15-Jährigen endet, bevor sie richtig angefangen hat, kontert das russische Verteidigungsministerium. Nur einen Tag nach dem olympischen Horror der jungen Athletin taucht ein verstörendes Video auf. Ein wirklich kleines Mädchen steht auf dem Eis und wird plötzlich von sechs gruseligen Gestalten umzingelt. In der folgenden Szene baut sich das Militär vor ihr auf. Russland stellt sich als unüberwindbarer Beschützer dar. Ein unmissverständlicher Bezug zu Walijewa. Eine kaum missverständliche Botschaft an die Welt. Die seit diesem Montag nochmal eine ganz andere Bedeutung bekommen hat.
"Absolute Meister"
Und wenn es nun darum geht, den internationalen Ruf von Tutberidse wieder reinzuwaschen, auch dann braucht es Kamila Walijewa. Mit Worten voller Pathos schreibt sie bei Instagram zu einem Foto von sich, Tutberidse und zwei weiteren Betreuern: "Ihr seid absolute Meister in eurem Geschäft. Sie trainieren nicht nur, sondern lehren uns auch, uns selbst zu überwinden, was nicht nur im Sport, sondern auch im Leben hilft. Mit ihnen an meiner Seite fühle ich mich sicher und in der Lage, jede Prüfung zu bestehen. Danke, dass ihr mir helft, stark zu sein."
Ehrliche Worte? Inszenierte Worte? Man weiß es nicht. Angesichts der Momente von Peking wirken die Sätze allerdings eher konstruiert als überzeugend. Auch vor dem Hintergrund, dass es in Russland einen schier unerschöpflichen Pool an Talenten gibt. Jeder Fehler kann die Träume final zerstören. Viele Mädchen kamen, sorgten für magische Momente und verschwanden. Wie weggeworfen wirkt das. Wie es für Walijewa weitergeht, die nach ihrer Rückkehr in Russland von einigen Dutzend Fans am Flughafen Scheremetjewo unter Applaus empfangen wurde, ist unklar. Ende März, vom 21. bis zum 27., findet die Weltmeisterschaft statt. Ob sie an den Start geht? Man weiß es - nicht zuletzt wegen des schwebenden Dopingverfahrens - (noch) nicht.
Quelle: ntv.de