Medaillen und Menschwerdung Rekordmann Phelps siegt, weint und geht

Gerührt, völlig ausgepumpt und gar nicht verschämt: Michael Phelps.

Gerührt, völlig ausgepumpt und gar nicht verschämt: Michael Phelps.

(Foto: dpa)

Wäre Michael Phelps ein Land, würde er im ewigen olympischen Medaillenspiegel mehr als 60 Nationen hinter sich lassen. Doch der amerikanische Schwimmer zeigt in Rio mehr als Rekorde und Siege. Nun ist seine Karriere vorbei.

Die Ehrenrunden bei den olympischen Schwimm-Wettbewerben in Rio de Janeiro, man muss es so schreiben, waren welche für die Ewigkeit. Es passierte meist gar nichts Schwimmweltbewegendes. Aber das Posieren für die Fotografen, einzeln, zu zweit, zu dritt, zu viert, zu acht, zu zwölft, doch noch einmal einzeln oder im Kleinstgrüppchen, Kusshände ins Publikum, winken, Medaille zeigen, Flagge schwenken, einmal rum um den Olympiapool, noch einmal Fotografen, alles von vorne - das produziert schöne Bilder und um die geht es bei Olympia immer auch. Das dauert aber auch, in Rio gern ewig.

Als wäre es seine erste Goldmedaille.

Als wäre es seine erste Goldmedaille.

(Foto: imago/ZUMA Press)

Bevor am Samstagabend die letzte Schwimm-Ehrenrunde begann, fing die Ewigkeit schon lange vorher an. 32 Schwimm-Goldmedaillen wurden in Rio vergeben, doch auf keine Siegerehrung mussten die Zuschauer im Aquatics Centre so lange warten wie nach der 4 x 100 Meter Lagenstaffel der Herren. Sie buhten entnervt, als die Hallen-Regie sie zu immerwährender Fröhlichkeit animieren wollte. Sie pfiffen auch. Aber sie blieben. Es galt ja mit Michael Phelps den erfolgreichsten Olympioniken aller Zeiten zu verabschieden, der seine ohnehin unvergleichliche Karriere zuvor durch den finalen Triumph mit der US-Staffel noch ein wenig unvergleichlicher gemacht hatte. Auch wenn es dauerte, bis Phelps kam: Es wurde kein Warten auf Goldot.

Gut eine Stunde nach dem letzten Rennen seiner Karriere, eine Stunde nachdem sich Phelps beim Abgang aus der Halle Tränen aus den Augen gewischt hatte, gerührt, völlig ausgepumpt, gar nicht verschämt und ab sofort 23-facher Olympiasieger, als auf der Tribüne auch Mutter Debbie und Frau Nicole Johnson mit Söhnchen Boomer im Arm geweint hatten, da kamen Phelps und seine US-Kollegen zurück. Begleitet von den zweitplatzierten Briten und den Australiern auf dem Bronzeplatz, die sich die Wartezeit im Aufwärmraum lümmelnd vertrieben hatte, schritt Phelps an der Seite von Ryan Murphy, Cody Miller und Nathan Adrian zur letzten Siegerehrung seiner Laufbahn.

Gerührt und gar nicht verschämt

Sein letztes Einzelrennen hatte der 31-Jährige am Freitag verloren, über 100 Meter Schmetterling gewann er Silber hinter Joseph Schooling aus Singapur. Einen 21-Jährigen, der geboren wurde, als Phelps schon drei Jahre lang schwamm. Der Phelps als sein Idol bezeichnet, seine Inspiration, wie so viele andere Schwimmer auch in Rio, und der ihn zum Weitermachen aufforderte. Keine Chance, "es sei Zeit für etwas anderes", betonte Phelps immer wieder.

Auch nach dem offiziell letzten Rennen, in dem Verlieren keine Option war. Phelps übernahm als dritter Schwimmer der US-Staffel nach Murphy und Miller auf Platz zwei hinter Großbritannien. Als er anschlug, hatten die USA eine halbe Sekunde Vorsprung. Der 23. Olympiasieg von Michael Fred Phelps II war in diesem Moment nur noch Formsache. Dass Startschwimmer Ryan Murphy in 51,85 Sekunden einen neuen Weltrekord über 100 Meter Rücken aufstellte, taugte als hübsches Sahnehäubchen. "Dass Murph mit einem Weltrekord begonnen hat, ist einfach verrückt", sagte Phelps bei seinem Interview-Marathon nach der Staffel: "Ich hatte die Gelegenheit, in einigen der größten Staffeln aller Zeiten zu schwimmen. Das ist wirklich eine Ehre." Murphy gab das Kompliment zurück: "Es war eine Ehre, in Michaels letztem Rennen zu schwimmen. Obwohl ich nicht glaube, dass es das wirklich war."

Eine Ehrenrunde für Ewigkeit

1001 olympische Goldmedaillen sind es für die USA nach diesem Staffelsieg nun, 23 für Phelps plus dreimal Silber und zweimal Bronze bei fünf Olympiasteilnahme. Wenn Michael Phelps ein Land wäre, würde er im ewigen olympischen Medaillenspiegel mehr als 60 Länder hinter sich lassen, darunter Kroatien und Ägypten. Nimmt man nur die Goldmedaillen als Maßstab, würde er auch Österreich, Argentinien, Äthiopien und Jamaika überholen, die Spielerei stammt vom englischen "Guardian".

Für den Übersportler Phelps war es die letzte Etappe auf dem Weg zur Menschwerdung, die auch eine Privatmenschwerdung ist. Nach seinem erstmaligen Rücktritt 2012 in London war er nur wiedergekommen, um diesmal wirklich zu gehen. Als Geläuterter, der seine Alkoholsucht überwunden hatte und im Mai erstmals Vater geworden ist. Der endlich einen Lebensmittelpunkt gefunden hat abseits des Schwimmens.

Zur Eröffnungsfeier führte er das US-Team als stolzer Fahnenträger ins Maracanã-Stadion, obwohl er zwei Tage später seinen ersten Wettkampf hatte. In Rio war er erstmals Kapitän des Schwimmteams, nicht länger die unnahbare, isolierte Schwimmmaschine, die sich konsequent abschottete. Phelps fand auch deutliche Worte gegen Doping im Schwimmsport, ein Thema das ihn angesichts seiner unglaublichen Dominanz während seiner Karriere selbst permanent begleitet hatte. Denn auch wenn seine Medaillenflut gern mit dem Hinweis relativiert wird, es gebe eben auch viele Chancen im Schwimmen: Phelps ist der einzige Olympionike, der eine zweistellige Zahl an Goldmedaillen gewonnen hat.

Phelps auf dem Weg nach Rio und in Rio, das war aber mehr als Medaillen. Es war das letzte Hurra des erfolgreichsten Olympioniken aller Zeiten, um dessen Platz unter den ganz Großen sich die Gelehrten noch streiten. Es wurde eine Ehrenrunde für Ewigkeit, bei der Phelps noch einmal alles aufsog. Und am Samstag um 0.30 Uhr brasilianischer Zeit, da war es vorbei.

Quelle: ntv.de

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