Wer kommt bloß ins Viertelfinale? Die Uefa verwirrt die Welt

Sind wir jetzt weiter oder raus - fragt sich Kroatiens Luca Modric.

Sind wir jetzt weiter oder raus - fragt sich Kroatiens Luca Modric.

(Foto: dpa)

War Fußball immer schon so kompliziert? Wer kommt denn nun weiter? Mit dem neuen EM-Modus stiftet die Uefa Verwirrung und sorgt für wahnwitzige Rechenspiele. Plötzlich fällt es selbst hartgesottenen Fans schwer, zu erklären, welches Team die nächste Runde erreicht.

Es ist das Schöne und das Spannende bei jeder Welt- und Europameisterschaft. Nach dem dritten und damit letzten Vorrundenspieltag gilt's: Die Mannschaften, die die ersten beiden Plätze jeder Gruppe belegen, kommen weiter. Die zwei übrigen dürfen ihre Sachen packen und nach Hause fahren. Für die Zuschauer war das lange Zeit ganz einfach: Wer die meisten Punkte hat, der gewinnt. Danach entscheidet die Tordifferenz. Im Notfall zog man die Anzahl der erzielten Tore und den direkten Vergleich heran. Das verstand jedes Kind, das machte die Welt des Fußballs so schön einfach.

Reglement bei Punktgleichheit

Falls zwei oder mehr Mannschaften nach Abschluss der Gruppenspiele die gleiche Anzahl Zähler aufweisen, wird die Platzierung nach folgenden Kriterien in dieser Reihenfolge ermittelt:

1. größere Punktzahl aus den direkten Begegnungen zwischen den betroffenen Teams, 2. bessere Tordifferenz aus den direkten Duellen, 3. größere Anzahl erzielter Tore aus den direkten Duellen, 4. bessere Tordifferenz aus allen Gruppenspielen, 5. größere Anzahl erzielter Tore aus allen Gruppenspielen, 6. Platzierung in der Uefa-Koeffizientenrangliste, 7. Fair-Play-Verhalten (Rote Karten, Verhalten gegenüber Gegnern und Schiedsrichtern), 8. Losentscheid.

Treffen zwei Mannschaften im letzten Gruppenspiel aufeinander, die dieselbe Anzahl Punkte, die gleiche Tordifferenz sowie dieselbe  Anzahl Tore aufweisen, und endet das betreffende Spiel  unentschieden, wird die Platzierung der beiden Teams durch  Elfmeterschießen ermittelt. Haben weitere Mannschaften derselben Gruppe dieselbe Anzahl Punkte, könnte auch der Uefa-Koeffizient entscheiden. Dieser wird nach den Spielen bei vorangegangenen EM- und WM-Turnieren ermittelt.

Aber inzwischen ist alles anders: Denn zumindest bei Europameisterschaften änderte die Uefa den Modus.Fußballfans benötigen zusätzlich zum Turnier-Spielplan seitdem auch einen Beipackzettel, den Viertelfinalrechner mit dem vollständigen Regelwerk. Was ist jetzt anders? Nun kommt bei Punktgleichheit von mehr als zwei Mannschaften sofort der direkte Vergleich von jeweils nur zwei der betroffenen Teams untereinander zum Tragen. Bringt das keine Entscheidung, greift die Tordifferenz aus den direkten Duellen, drittes Kriterium ist die Anzahl der geschossenen Tore im direkten Vergleich. Ist doch ganz leicht, oder? Das müssen sich wohl auch die Herren von der Uefa gedacht haben. Details zu den Kriterien vier bis acht – von Fairplay-Verhalten, Losentscheid und einem nachträglichen Elfmeterschießen – ersparen wir uns an dieser Stelle (mehr siehe Infobox).

Wozu das Chaos?

Bei dieser EM sorgt die Regel jedenfalls wieder für abstruse Situationen, beispielsweise in Gruppe A. Griechenland und Russland waren nach den Vorrundenspielen punktgleich. Die Russen hatten sowohl die bessere Tordifferenz als auch mehr geschossene Tore. Früher wären sie weitergekommen, aber jetzt scheiden sie aus. Denn die Griechen haben den direkten Vergleich gewonnen. Der zählt im Jahr 2012 stärker als die Tordifferenz aus allen Gruppenspielen, die früher meist ausschlaggebend war.

Auch die deutsche Mannschaft war dem EM-Aus während des dritten Spiels näher als gedacht. Hätte das Team von Joachim Löw gegen Dänemark mit 2:3 verloren und Portugal Holland 2:0 geschlagen, hätten Deutschland, Dänemark und Portugal je sechs Punkte insgesamt und je drei Zähler aus den direkten Spielen untereinander. Dänemark wäre mit 5:5 Toren aus den direkten Duellen besser als Deutschland und Portugal (je 3:3). Hier würde nun der direkte Vergleich (1:0) den Ausschlag für Deutschland geben und nicht - wie nach den alten Statuten - das Gesamttorverhältnis (5:3/Portugal zu 5:4/Deutschland) für Portugal.

Widersprüchliche Internetseite

Dabei hat die Uefa übrigens noch zusätzlich zu der Verwirrung beigetragen. Auf der offiziellen Turnierseite im Internet veröffentlichte der Verband bislang einen veralteten Modus. Demnach hätte bei Punkt- und Torgleichheit mehrerer Mannschaften untereinander nach der Vorrunde die Tordifferenz aus allen Gruppenspielen über den Einzug in die nächste Runde entschieden. Tatsächlich hatte die Uefa aber bereits im März ihre Regeln geändert, diese aber nicht in dem per Internet publizierten Regel-Dokument aktualisiert.

Wozu das ganze Chaos? Moderatoren verlieren die Orientierung und verheddern sich in ausschweifenden Deutungen der neuen Regelkunde. Der geneigte Fußballfan gerät  selbst gegenüber fussballunwissenden, aber quartalsbegeisterten EM-Mitguckern in Erklärungsnot. Es bleibt der Eindruck, dass einige Herren von der Uefa nur eine Duftmarke hinterlassen wollte. Ihr Lebenswerk: die Entmachtung von Altbewährtem, der Tordifferenz.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen