Götze, Schürrle, Reus, Kroos Die beste Bank der Welt
21.06.2012, 19:22 Uhr
Ohne Edelreservisten und dennoch erfolgreich.
(Foto: REUTERS)
In ihren Vereinen sind sie umfeierte Jungstars, im DFB-Team nur hochkarätige Edelreservisten. Für Mario Götze, Marco Reus, Toni Kroos und Andre Schürrle verläuft die EM nicht wie erhofft, Aussicht auf Besserung besteht kaum. Bundestrainer Löw moderiert geschickt und freut sich über die hochkarätigste Ersatzbank des Turniers.
Ihr Marktwert ist riesig, ihr Talent auch, nur ihre Einsatzzeiten bei der EM sind minimal: Nach der Vorrunde hat das Turnier für die Jungstars Mario Götze und Marco Reus immer noch nicht angefangen. Andre Schürrle und Toni Kroos, der in den Vorrundenspielen in der 81., 84. Und 87. Minute eingewechselt wurde, waren nur als Kurzarbeiter gefragt. Eine Hauptrolle durfte auf der großen Bühne Fußball-EM noch keiner aus dem hochgelobten und hochtalentierten Quartett übernehmen - und alle sind damit auch öffentlich dezent unzufrieden, weil das Edelreservistendasein komplett neu für sie ist.
"Klar ist man kurz nach einem Spiel, wenn man wenig oder gar keine Einsatzzeit hatte, immer ein bisschen unzufrieden. Das ist normal. Jeder will spielen und zeigen, was er kann", sagte Andre Schürrle im Gespräch mit n-tv.de. Natürlich sei schon die EM-Teilnahme "ein geiles Erlebnis" für ihn: "Man darf sich aber nicht damit zufriedengeben, nur dabei zu sein." Wichtig sei aber: "Man muss sein Ego hinten anstellen."
Gegen Dänemark durfte Schürrle immerhin sein Turnierdebüt feiern und empfahl sich dabei für weitere Einsätze, wenn auch nur als hochkarätiger Ersatz für Torschütze Lukas Podolski: "Poldi hat gut gespielt, ein Tor erzielt. Aber wenn der Bundestrainer das Gefühl hat, dass er neuen Schwung braucht, bin ich immer da."
Das ist nicht so einfach
Mario Götze muss weiter wohl warten und leiden. Drei Spiele nur Bankdrücker ist für den als "Jahrhunderttalent" gefeierten Dortmunder eine völlig neue Erfahrung. "Ich kannte das weder aus der Jugend noch aus der Bundesliga. Das ist nicht so einfach", sagte der Jungstar von Doublesieger der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung": "Die Situation ist neu für mich. Aber ich versuche mich täglich neu zu motivieren."
Auch sein künftiger Teamkollege Marco Reus, von seinen Profikollegen zum besten Spieler der Saison 2011/12 gewählt, hadert mit seinem Bankdasein: "Für mich ist es brutal schwer, auf der Bank zu sitzen und nicht eingreifen zu können. Diese Situation ist für mich total ungewohnt." Er kenne es nur so, "dass ich auf dem Rasen gebraucht werde".
Zumal Bundestrainer Joachim Löw ihm und Götze vor dem Turnier noch Hoffnungen gemacht hatte, auch bei der EM gebraucht zu werden: "Ich glaube, dass beide bei dieser EM mehr als eine Jokerrolle spielen können", sagte er der "Sport Bild". Das war Ende April. Mitte Juni sieht die Turnierrealität für die beiden Offensivkräfte so aus, dass sie nur im Training mitspielen dürften. Das nagt, auch wenn Götze betont: "Wir sind eine Mannschaft mit einem gemeinsamen Ziel, das wir zusammen verfolgen. Der Erfolg ist wichtiger als das eigene Befinden."
Reservisten bei Laune halten und Vertrauen aussprechen
Zumal Götze weiß: "Die Mannschaft hat gut gespielt und neun Punkte geholt. So soll es sein." Für Bundestrainer Löw geht es aber nicht nur darum, eine siegfähige Mannschaft aufzustellen. Er muss auch seine Reservisten bei Laune halten, ihnen sein Vertrauen aussprechen und Perspektiven aufzeigen, mögen diese auch erst nach der EM liegen. Deutlich machen, "dass sie zu den Auserwählten gehören", wie es DFB-Teammanager Oliver Bierhoff formuliert.
Und Löw tut das, auch öffentlich. Drohende Konflikte wie nach dem Kroos-Interview am Wochenende werden geschickt moderiert ("Ich sehe Ehrgeiz, den Drang zu spielen"), die Unzufriedenen dürfen dezent Interviews geben, aber nicht zu den DFB-Pressekonferenzen. Stattdessen werden Leistung und Engagement gelobt, auch wenn es nur die aus dem Training sind.
"Ich weiß, dass wir in der Hinterhand sehr gute Spieler haben. Ich beobachte ja im Training, was ein Marco Reus, ein André Schürrle, ein Mario Götze leisten", sagte Löw unter der Woche in Danzig: "Das gibt mir das Gefühl, dass ich jederzeit Veränderungen vornehmen kann. Diese Spieler haben eine gute Qualität, deswegen haben wir sie ja auch ausgesucht."
In einem Interview mit n-tv gesteht Löw: "Auf der einen Seite tut es mir natürlich auch weh, weil ich sehe, dass wir zwanzig Feldspieler haben – ich lasse jetzt mal die Torhüter außen vor -, die überragend gut sein können. Aber es ist als Trainer so, die Entscheidungen müssen halt fallen und wir sind in einer Leistungsgesellschaft. Bislang hat die Mannschaft jetzt dreimal gewonnen und von daher gab es in diesen Spielen jetzt für mich keine Möglichkeit, aber Marco Reus, da habe ich schon auch das Gefühl, irgendwie wird mal seine Minute schlagen."
Dass Löw tatsächlich Veränderungen vornimmt, scheint derzeit zweifelhaft. Bislang hat der Bundestrainer bei der EM sehr konservativ gewechselt. Gegen Portugal und die Niederlande kamen jeweils Miroslav Klose, Toni Kroos und Lars Bender ins Spiel. Als gegen Dänemark Rechtsverteidiger Jerome Boateng ausfiel, rückte Bender in die Startelf und Schürrle in die Jokerrolle. Gegen Griechenland ist Boateng wieder spielbereit, weitere Sperren oder Verletzungen gibt es nicht.
Die Konsequenz: Von seinen 20 Feldspielern hat Löw erst 14 eingesetzt , alle haben ihm sein Vertrauen zurückgezahlt. Die offensiv noch blassen Podolski, Thomas Müller und Mesut Özil haben wichtige Defensivaufgaben übernommen und durch Disziplin überzeugt. Ob seine ehrgeizigen Jungstars die auch aufbringen würden, wenn sie endlich spielen und sich beweisen dürften, diese Frage wird sich Löw vor den Alles-oder-Nichts-Spielen in der K.o.-Runde stellen.
So bitter die Situation für Götze und Co. ist, für den deutschen Fußball ist sie ein Qualitätsnachweis. Die Feststellung von Mittelfeldchef Bastian Schweinsteiger, das DFB-Team habe "keine gute Ersatzbank, sondern eine sehr, sehr gute", trifft vor allem für die Offensivabteilung zu. Dort ist das deutsche Team derzeit so gut besetzt wie keine andere Nationalmannschaft. So gut, dass im Verein unverzichtbare Jungstars wie Götze, Kroos, Schürrle und Reus nur die Bank besetzen – mit minimalen Einsatzzeiten, trotz maximalen Talents.
Quelle: ntv.de