Herbstgutachten: Konjunktur füllt Kassen Aufschwung treibt Wirtschaft an Grenzen
17.10.2013, 13:45 Uhr
Sonnige Aussichten - die Konjunktur zieht merklich an.
(Foto: picture alliance / dpa)
Experten malen ein rosiges Bild: Die Wirtschaft wird in den kommenden Jahren solide wachsen. Die Beschäftigung erreicht neue Rekorde. Damit steht eine noch vor kurzer Zeit schwer vorstellbare Frage im Raum - wohin mit den sprudelnden Einnahmen?
Die deutsche Wirtschaft steht nach Ansicht führender Forscher vor einem Aufschwung. Stark steigende Investitionen dürften die deutsche Konjunktur im nächsten Jahr kräftig ankurbeln. Getragen werde das Wachstum von der Binnennachfrage, heißt es Herbstgutachten der führenden Forschungsinstitute für die Bundesregierung. Das Bruttoinlandsprodukt werde 2014 um 1,8 Prozent anziehen, nach einem deutlich geringeren Plus von 0,4 Prozent in diesem Jahr. "Das sich bessernde weltwirtschaftliche Umfeld und eine abnehmende Unsicherheit beflügeln die Investitionen." Allerdings gebe es auch Risiken für die Konjunktur - allen voran ein Wiederaufflammen der Schuldenkrise in der Euro-Zone.
Die Unternehmen dürften ihre Ausgaben in Maschinen und Anlagen im nächsten Jahr um sieben Prozent erhöhen. Das Niveau von 2008 und damit aus der Zeit vor der Krise werde aber noch nicht erreicht. Insgesamt werde der Konjunkturanstieg im kommenden Jahr sogar so stark ausfallen, dass die deutsche Wirtschaft an Belastungsgrenzen komme, heißt es weiter. Es werde 2014 keine Unterauslastung der Wirtschaft mehr geben. Die Konjunktur ziehe "schneller als das Produktionspotenzial" an.
Gute Nachrichten haben die Forscher auch für Verbraucher: Diese könnten dank steigender Beschäftigung und spürbarer Lohnerhöhungen mehr Geld ausgeben. Der private Konsum werde in diesem Jahr um 0,9 und im nächsten Jahr um 1,4 Prozent zulegen. Zudem stehen derzeit so viele Menschen in Lohn und Brot wie nie zuvor. Die Zahl der Erwerbstätigen steigt nach Berechnungen der Institute in diesem Jahr auf ein Rekordhoch von 41,8 Millionen. Im kommenden Jahr dürfte die Zahl sogar noch auf 42,1 Millionen steigen.
Forscher sehen Mindestlohn kritisch
In diesem Zusammenhang warnen die Forscher allerdings vor einem flächendeckenden Mindestlohn in Deutschland. Dieser "hätte wahrscheinlich deutlich negativere Folgen für den Arbeitsmarkt als die bisherigen Branchenverträge." Eine Lohnuntergrenze von 8,50 Euro pro Stunde, wie er von der SPD gefordert und in die aktuellen Sondierungsgespräche zur Regierungsbildung eingebracht wurde, könnte in Ostdeutschland zu "einem beträchtlichem Stellenabbau" führen. Denn dort verdienten ein Viertel aller Arbeitnehmer weniger als diesen Stundenlohn. Kleinere Betriebe wären wohl stärker betroffen als große.
Dagegen hält die Industriestaaten-Organisation OECD die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns für akzeptabel. "Der Vorschlag von 8,50 Euro je Stunde ist ganz vernünftig", sagte OECD-Ökonom Mark Keese. "Viele andere Länder, darunter Frankreich und Großbritannien, haben höhere Mindestlöhne im Verhältnis zum Durchschnittslohn eines Vollzeitbeschäftigten."
Zugleich räumte Keese ein, dass ein Mindestlohn von 8,50 Euro in Grenzregionen - speziell in Ostdeutschland - problematisch sein könnte. "Aber das wird kein generelles Problem sein", sagte er. "Die Menschen werden nicht Hunderte Kilometer für einen Friseurbesuch zurücklegen."
Bis 2018 jährliches Wachstum von 1,3 Prozent
Auch mittelfristig sagen die Forscher der Wirtschaft Wachstum voraus: Zwischen 2012 bis 2018 dürfte es im Jahresdurchschnitt ein Plus von 1,3 Prozent geben. Triebfedern seien ein kräftig steigender Privatkonsum sowie dank der globalen Erholung auch wachsende Exporte. Die Forscher machen jedoch einen Wermutstropfen aus: "Die allmähliche Verschlechterung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen aufgrund der hierzulande stärker steigenden Preise dürfte zunehmend dämpfend wirken."
Das halbjährige Gutachten der Forscher trägt diesmal den Titel "Konjunktur zieht an - Haushaltsüberschüsse sinnvoll nutzen". Und auch für die Finanzen haben die Forscher gute Nachrichten. Ihrer Ansicht nach werde sich die Lage der Staatsfinanzen in den kommenden Jahren weiter entspannen wird. So erwarten sie bereits in diesem Jahr einen gesamtstaatlichen Überschuss von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungen von drei Milliarden Euro, der bis 2018 auf rund 53 Milliarden Euro steigen dürfte. Die kommende Bundesregierung könne so ihren Kurs der Haushaltskonsolidierung auch ohne Steuererhöhungen fortsetzen und zugleich mehr Geld in Bildung und Infrastruktur investieren.
Brummende Konjunktur füllt Staatskassen
Allerdings warnen die Institute, dass ein erheblicher Teil des Überschusses auf die gute Konjunktur zurückgehen werde. Sie empfehlen, diesen Anteil zum Abbau von Schulden zu verwenden, die der Staat in schlechten Zeiten machen musste. Damit würde 2018 aber noch immer ein Spielraum von 33 Milliarden Euro entstehen, den der Staat für dringend benötigte öffentliche Investitionen ausgeben könnte. Der Investitionsstau vor allem bei den Kommunen, aber auch bei Bund und Bundesländern dürfte in den absehbaren Koalitionsverhandlungen von Union und SPD eine zentrale Rolle spielen. Um ihn aufzulösen, hatte die SPD im Wahlkampf für Steuererhöhungen geworben, die die Union ablehnt.
Damit bekommt das Gutachten auch politische Brisanz. Um den Investitionsstau im Verkehrsbereich aufzulösen, müsste Deutschland den Forschern zufolge jährlich sieben Milliarden bis acht Milliarden Euro mehr ausgeben. Hinzu kämen 16 Milliarden Euro an zusätzlichen Bildungsausgaben. Wollte man zugleich, wie die Union anstrebt, den Bürgern heimliche Steuererhöhungen ("kalte Progression") zurückgeben, kämen noch einmal Etatbelastungen von 19 Milliarden Euro hinzu. In der Summe wären das also gut 43 Milliarden Euro, die einem strukturellen Etat-Überschuss von 33 Milliarden Euro im Jahr 2018 gegenüberstünden. Die verbleibende Lücke von zehn Milliarden Euro lasse sich durch den Abbau von Steuervergünstigungen und Finanzhilfen schließen.
Warnung vor Geschenken
"Die diskutierten Mehrbelastungen liegen durchaus in Größenordnungen, die ohne Steuererhöhungen zu schultern sind", heißt es in dem Gutachten. Gleichzeitig könnte der Schuldenberg des Staates von 79,3 Prozent des BIP in diesem Jahr bis Ende 2018 auf 64 Prozent sinken. Eine Voraussetzung dafür, dass diese Rechnung aufgeht, ist dem Gutachten zufolge allerdings, dass die künftige Regierung zusätzliche finanzielle Spielräume tatsächlich für Investitionen nutzt und nicht anders einsetzt - zum Beispiel für teure Geschenke an bestimmte Wählergruppen.
Das Herbstgutachten wurde von vier Instituten - das Münchner Ifo, das Essener RWI, das IWH aus Halle und nach mehrjähriger Abstinenz auch wieder das Berliner DIW - erstellt. Es dient als Grundlage für die Konjunkturprognose der Regierung und Basis für die öffentlichen Haushalte. Das Wirtschaftsministerium will am 23. Oktober seine Schätzung aktualisieren. Bisher veranschlagt ist für 2013 ein Anstieg des Bruttoinlandsproduktes von 0,5 Prozent und für 2014 ein Plus von 1,6 Prozent.
Quelle: ntv.de, jwu/rts/AFP